Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kein Grund für Optimismus

Im Streit um das iranische Atomprogramm zeichnet sich keine Lösung ab. Der Westen schiebt schon das nächste Propagandathema an

Von Knut Mellenthin *

Ajatollah Ali Khamenei, »Oberster Führer der Islamischen Revolution« des Iran, hat am Donnerstag zum zweiten Mal innerhalb eines Monats kritisch zu Äußerungen maßgeblicher Politiker seines Landes im internationalen Streit um das iranische Atomprogramm Stellung genommen. Erneut zog er es vor, mehrere Tage verstreichen zu lassen, bevor er mit sehr entschiedenen Äußerungen öffentlich in die Diskussion eingriff.

Gegenstand war diesmal das Treffen zwischen Vertretern des Iran und der aus den USA, Rußland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland bestehenden Sechsergruppe, das am 26. und 27. Februar in der früheren Hauptstadt Kasachstans, Almaty, stattgefunden hatte. Nach den Gesprächen erklärte der iranische Chefunterhändler Said Dschalili, einige Punkte in den Vorschlägen der Gegenseite seien »realistischer« gewesen als in der Vergangenheit und näher an die iranischen Vorstellungen herangekommen. Das sei »ein positiver Schritt«, »trotz der Tatsache, daß wir noch einen langen Weg vor uns haben«. Geradezu enthusiastisch äußerte sich Außenminister Ali Akbar Salehi, der das Treffen in Almaty als »Meilenstein« und »Wendepunkt« bezeichnete. Er sei »optimistisch«, daß der begonnene Prozeß zu einem Ergebnis führen werde, »das zum Besten beider Seiten ist«. Iranische Medien behaupteten voll Begeisterung, daß die Sechsergruppe von ihren früheren harten Positionen abgerückt sei, und hatten auch gleich die Begründung zur Hand: Der Westen habe einsehen müssen, daß seine Strategie der Sanktionen gescheitert sei und daß eine militärische Aggression angesichts der Stärke der iranischen Streitkräfte aussichtslos wäre.

Solche Stimmungsmache jenseits der Realitäten ist im Iran keineswegs neu oder selten, sondern bricht von Zeit zu Zeit aus wie eine ansteckende Krankheit. Zum Beispiel hatten die Medien im Mai 2012 nach den Verhandlungsrunden in Istanbul (14./15. April) und Bagdad (23./24. Mai) völlig aus der Luft gegriffene Siegesmeldungen verbreitet, daß die Sechsergruppe gezwungen worden sei, Irans Recht auf die Anreicherung von Uran anzuerkennen. Zahlreich meldeten sich aus diesem Anlaß wieder einmal geschwätzige Parlamentarier zu Wort, die allesamt in der praktischen Politik des Landes wenig zu bestimmen haben. Unter ihnen die Abgeordnete Zoreh Elahian mit der Behauptung: »Der Westen hat erkannt, daß die Sprache der Gewalt und der Sanktionen gegen Iran unwirksam ist.«

Illusionäre Beschönigung des Gegners und krasse Selbstüberschätzung gehen in solchen Fällen eine interessante Verbindung ein. Dagegen setzt Khamenei gelegentlich, wenn auch in langatmigen, scholastischen Reden mit etlichen Wiederholungen, Ausführungen, die sich auf dem Boden der wirklichen Verhältnisse befinden. Was das Treffen in Almaty und den weiteren Gang der Gespräche angeht, goß der Ajatollah eiskaltes Wasser in die hochfliegenden Erwartungen. In einer leider nicht in englischer Übersetzung vorliegenden Rede vor Mitgliedern der sogenannten Expertenversammlung, einem der einflußreichen Beratungsgremien seines Landes, sagte Khamenei iranischen Medien zufolge, die Veränderungen der Standpunkte der Gegenseite in Almaty seien in Wirklichkeit nur geringfügig und unbedeutend gewesen. Die Sechsergruppe habe nur einen kleinen Ausschnitt der Rechte der iranischen Nation anerkannt. Die nächste Verhandlungsrunde, die Anfang April wieder in Almaty stattfinden soll, werde eine Probe auf die Ehrlichkeit der westlichen Staaten darstellen.

Ziel »Regimewechsel«

Khamenei wiederholte in diesem Zusammenhang seine schon mehrfach geäußerte Einschätzung, daß es dem Westen letztlich gar nicht um das iranische Atomprogramm gehe, sondern um die Herbeiführung eines »Regimewechsels« mit allen Mitteln. Selbst wenn Iran sich allen Forderungen hinsichtlich seines Atomprogramms unterwerfen würde, hatte Khamenei in der Vergangenheit wiederholt gesagt, würde das die Feindseligkeit des Westens nicht etwa besänftigen, sondern ihn im Gegenteil ermutigen, da alle Zugeständnisse als Schwäche interpretiert werden würden.

Im Februar hatte der »Oberste Führer« mit mehreren Reden sein öffentliches Veto gegen direkte Gespräche mit der US-Regierung zum jetzigen Zeitpunkt und unter den gegenwärtigen Voraussetzungen eingelegt. Anlaß war eine Äußerung des amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz am 2. Februar. Obwohl sich Biden in Wirklichkeit eher negativ über solche Kontakte geäußert hatte – die USA wären dazu nur bereit, wenn Khamenei es »ernst« meinen würde – machten einige iranische Politiker, darunter wieder einmal Salehi, daraus ein »Gesprächsangebot«, das sie sofort als »Schritt in die richtige Richtung« begrüßten.

Der Ajatollah wartete bis zum 7. Februar, bevor er sich erstmals öffentlich dagegen positionierte. In einer Ansprache vor Offizieren der Luftwaffe tadelte er, ohne Namen zu nennen, alle, die aus Naivität oder hintergründigen bösen Absichten Interesse an dem amerikanischen »Angebot« gezeigt hätten. »Verhandlungen mit Amerika lösen keine Probleme, denn über Jahre hin haben sie keines ihrer Versprechen eingelöst.« Als Barack Obama im Jahre 2009 kurz nach Übernahme des Präsidentenamtes Interesse an einer Verbesserung der Beziehungen angedeutet habe, habe man ohne Voreingenommenheit abgewartet, welche praktischen Schritte daraus folgen würden. Aber man habe nur fortgesetzte feindselige Handlungen, einschließlich der Ermordung iranischer Wissenschaftler, gesehen.

Direkte Gespräche könnten grundsätzlich nur sinnvoll sein, sagte Khamenei, wenn auf beiden Seiten guter Wille bestehe und keiner den anderen betrügen wolle. Die US-Regierung halte jedoch eine Waffe auf den Iran gerichtet und drohe abzudrücken. Erpressung und scheinbare Gesprächsangebote vertrügen sich nicht miteinander. Das Thema war dem »Obersten Führer« offenbar so wichtig, daß er am 16. und 17. Februar bei Versammlungen in Teheran und Täbris erneut ausführlich darauf einging. Zuvor war am 10. Februar auf den Massendemonstrationen anläßlich des Jahrestags der »Islamischen Revolution« eine Stellungnahme durch Akklamation angenommen worden, die die USA als »Feind Nummer eins« verurteilte und Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung als Betrug verurteilte. Jede Teilnahme an derartigen Gesprächen ohne eine tatsächliche Verhaltensänderung der USA sei »Verrat« an den Idealen der Revolution und ihren Märtyrern.

Weithin wird außerhalb Irans angenommen oder zumindest behauptet, daß der »Oberste Führer« die höchste Instanz für alle wichtigen innen- und außenpolitischen Entscheidungen sei. Es scheint jedoch zweifelhaft, wie weit das heute noch zutrifft. Erstens ist offensichtlich, daß Khamenei den Aussagen von Verhandlungsführer Dschalili und Außenminister Salehi erst nachträglich und mit mehreren Tagen Verzögerung widersprochen hat. Das sieht nicht so aus, als würden diese Spitzendiplomaten nach einer festgelegten Linie agieren – zumindest nicht nach einer von Khamenei bestimmten. Und zweitens haben die wiederholten Ermahnungen des Ajatollah bisher nicht erreicht, daß Politiker und Journalisten mit der Verbreitung eines irrealen, bewußt zur Schau gestellten »Optimismus« hinsichtlich des weiteren Verlaufs des Atomstreits wirklich Schluß gemacht hätten. Viele wichtige Ausführungen Khameneis werden zudem gar nicht erst ins Englische übersetzt, bleiben also von vornherein im Lande. Die englischsprachigen Medien Irans zitieren sie nur in Bruchstücken. Insgesamt deuten die Zeichen auf eine schwindende, wenn auch nicht offen in Frage gestellte Autorität des »Obersten Führers« hin.

Nur Zwischenlösung

Keiner der iranischen »Optimisten« hat bisher offenbart, worin die angeblich neuen Aspekte der Vorschläge und der Herangehensweise der Sechsergruppe konkret und im Detail bestehen sollen. Die genauen Gegenstände der Gespräche zwischen dem iranischen Verhandlungsteam und der Gegenseite werden vertraulich behandelt und gelangen höchstens in Form von Gerüchten durch »gezielte Indiskretionen« von westlicher Seite an die Öffentlichkeit. Um die iranischen Behauptungen, die Sechsergruppe habe sich ihren Positionen merklich angenähert, nachvollziehen zu können, muß man zunächst das Paket betrachten, das die Gruppe im vorigen Jahr, übereinstimmenden Medienberichten zufolge, vorgelegt hatte.

Es handelte sich dabei um drei Forderungen an den Iran, die ausdrücklich als »Zwischenlösung« und als »vertrauensbildende Maßnahmen« bezeichnet wurden. Mit anderen Worten: Der gesamte übrige Forderungskatalog der Sechsergruppe, der in sechs oder sieben Resolutionen des UN-Sicherheitsrats einbetoniert wurde – nur mit Zustimmung der Vetomacht USA könnte daran überhaupt etwas geändert werden –, bliebe unverändert auf dem Tisch, auch wenn Iran die sogenannte Zwischenlösung akzeptieren würde. Diese wesentliche Tatsache wird von den iranischen »Optimisten« in der Regel ignoriert und in ihren öffentlichen Kommentaren unterschlagen. Zu diesem Katalog der Sechsergruppe gehört der generelle Verzicht auf die Anreicherung von Uran, ganz gleich in welchem Grad, die Einstellung der Bauarbeiten am Schwerwasserreaktor in Arak, der nach offizieller iranischer Planung im Frühjahr 2014 fertig werden soll, und das Verbot, ballistische Raketen zu entwickeln. Nichts davon ist aus allgemein gültigen Rechtsvorschriften und internationalen Abkommen herleitbar. Genau wie gegen Nordkorea wird auch gegen Iran ein vom Sicherheitsrat geschaffenes Sonderrecht angewandt, das den irreführenden Titel »internationale Verpflichtungen« bekommen hat.

Die im Mai 2012 beim Treffen in Bagdad von der Sechsergruppe vorgelegte »Zwischenlösung« konzentrierte sich offenbar auf die zwanzigprozentige Anreicherung von Uran, die im Iran erst seit Februar 2010 praktiziert wird. Das Material wird benötigt, um Brennplatten für den Betrieb eines Reaktors herzustellen, in dem Isotope für medizinische Zwecke, hauptsächlich für die Behandlung von Krebspatienten, produziert werden. Wie alle iranischen Anlagen, in denen mit radioaktiven Stoffen gearbeitet wird, steht auch dieser Reaktor unter ständiger Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), einer Unterorganisation der UNO. Die Iraner haben diese Anreicherungsstufe überhaupt nur gezwungenermaßen aufgenommen, da es ihnen wegen des Drucks der USA nicht möglich war, die Brennplatten auf dem internationalen Markt zu kaufen, wie sie es im Sommer 2009 bei der IAEA ordnungsgemäß beantragt hatten.

Den Berichten zufolge verlangte die Sechsergruppe in Bagdad erstens die Einstellung der Anreicherung auf 20 Prozent und zweitens die Ablieferung des gesamten bisher produzierten Materials. Zum dritten sollte Iran seine erst im Dezember 2011 in Betrieb genommene Anreicherungsanlage in Fordo schließen. Sie wäre mit konventionellen militärischen Mitteln kaum zu zerstören, da sie in einem Tunnelsystem rund 80 Meter tief unter einem Berg liegt.

Im Gegenzug sollte Iran medizinische Isotope geliefert bekommen und technische Hilfe bei der Modernisierung des Teheraner Reaktors erhalten, der noch aus den frühen 1970er Jahren stammt. Außerdem hatten die USA sich angeblich bereit erklärt, Iran Ersatzteile für seine uralten und notorisch unfallträchtigen amerikanischen Passagierflugzeuge zu liefern.

Dagegen soll das neue »Angebot«, das die Sechsergruppe jetzt beim Treffen in Almaty vorlegte, so aussehen: Es bleibt bei der Forderung nach Einstellung der zwanzigprozentigen Anreicherung. Von dem bisher produzierten Material soll Iran jedoch so viel behalten dürfen, wie zur Herstellung des Brennstoffs für den Teheraner Reaktor erforderlich ist. Statt Schließung der Anlage in Fordo wird angeblich nur noch verlangt, daß Iran die Produktion dort einstellt. In den Berichten nicht näher bezeichnete Maßnahmen – wahrscheinlich die Demontage der aufgestellten Zentrifugen und strikte internationale Kontrollen – sollen gewährleisten, daß die Iraner gegebenenfalls mehrere Monate brauchen würden, um Fordo wieder in Betrieb zu nehmen, falls sie sich dazu entschließen würden. Der Unterschied zur alten Forderung scheint vor allem darauf abzuzielen, daß die iranische Führung »ihr Gesicht wahren« könnte, indem sie behauptet, sie habe die Schließung der Anlage abgewehrt und damit einen großen politischen Sieg errungen.

Befristetes Moratorium

Als Gegenleistung soll die Sechsergruppe in Almaty angeblich angeboten haben, daß einige nicht näher bezeichnete Sanktionen – aber keine wirklich bedeutenden, wie es heißt – aufgehoben oder ausgesetzt werden könnten. Erwähnt wurden in diesem Zusammenhang konkret nur die gerade erst in Kraft getretenen US-amerikanischen Bestimmungen, die Iran den Kauf von Gold zur Abwicklung von Teilen seines Außenhandels erschweren sollen. Außerdem habe die Gruppe in Aussicht gestellt, daß weder der UN-Sicherheitsrat noch die Europäische Union neue Strafmaßnahmen beschließen würden. Aufgrund von Andeutungen iranischer Sprecher ist zu vermuten, daß es sich bei dem gesamten Deal zunächst um ein auf sechs Monate befristetes gegenseitiges Moratorium handeln soll. Ungewiß ist, was aus den im Vorjahr angebotenen Flugzeug¬ersatzteilen und der technischen Hilfe für die Modernisierung des Teheraner Reaktors werden soll. Die Lieferung der Isotope könnte dadurch hinfällig geworden sein, daß Iran ermöglicht werden soll, diese selbst zu produzieren.

Die iranischen »Optimisten« irren sich jedoch oder sagen wissentlich die Unwahrheit, wenn sie es so darstellen, als wäre mit diesen neuen Vorschlägen eine Anerkennung des iranischen Rechts auf Urananreicherung (unterhalb von 20 Prozent), eine Streichung aller übrigen Forderungen der Sechsergruppe, eine Schließung der Akten und eine schrittweise Aufhebung sämtlicher Sanktionen verbunden. Davon stimmt offenbar rein gar nichts. Sollte jemand daran gezweifelt haben, so hat die Sechsergruppe es gerade noch einmal deutlich gesagt: Während der Vorstandssitzung der IAEA in der vorigen Woche veröffentlichten die sechs Staaten eine gemeinsame Erklärung, in der Iran zur vollständigen Erfüllung aller »internationalen Verpflichtungen« aufgefordert wurde, die sich aus den bisherigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats ergeben.

Iran könnte sich, selbst wenn es das neue »Angebot« komplett akzeptieren würde, damit nicht von den sehr viel weiter gehenden Forderungen der Sechsergruppe freikaufen. Erst recht könnte es nicht die USA zufriedenstellen, die von Teheran auch eine umfassende Änderung seiner gesamten Außenpolitik verlangen. Ohne Zustimmung der USA kann der Streit um das iranische Atomprogramm nicht beendet werden. Und keine US-Regierung könnte den Streit beenden, wenn der Kongreß, in dem 80 bis 90 Prozent der Abgeordneten und Senatoren in allen Fragen der Nahostpolitik ebenso regelmäßig wie zuverlässig im Sinne der Pro-Israel-Lobby abstimmen, das nicht will. Insofern hat Israel, auch wenn es nicht selbst am Verhandlungstisch sitzt, das Vetorecht gegen jeden Versuch einer diplomatischen Lösung.

Israel hat diese Schlüsselfunktion auch deshalb, weil es durch einen Militärschlag gegen Iran die USA geradezu automatisch in einen Krieg hineinziehen könnte. Von dieser Möglichkeit wirklich Gebrauch zu machen, liegt gar nicht im israelischen Interesse und wäre mit vielen Nachteilen verbunden. Ehemalige und aktive israelische Militärs und Geheimdienstler haben sich sogar mehr oder weniger deutlich gegen einen solchen »Alleingang« ausgesprochen. Allein die ständig offen gehaltene Option reicht jedoch aus, um das Verhalten der USA wesentlich zu beeinflussen.

Noch eine »rote Linie«

Die Gespräche zwischen Iran und der Sechsergruppe sollen am 17. und 18. März auf Expertenebene im türkischen Istanbul fortgesetzt werden. Anschließend wollen sich die Verhandlungsdelegationen am 5. und 6. April wieder in Almaty treffen. Mit einer Einigung ist nicht zu rechnen, weil wahrscheinlich selbst die iranischen »Optimisten« wissen, daß sie damit zwar den Russen und Chinesen entgegenkommen würden, aber sich nicht vom Druck der Sanktionen und akuten Kriegsdrohungen befreien könnten.

Doch selbst wenn Iran wider Erwarten einer Einstellung der Urananreicherung auf 20 Prozent und sogar einer Stillegung der Anlage in Fordo zustimmen würde, liegt mit dem Schwerwasserreaktor in Arak das nächste explosive Streitthema schon bereit. Iran baut dort seit 2004 und hat seinen Zeitplan, der zunächst eine Fertigstellung im Jahre 2009 vorsah, mehrmals ändern müssen. Stand ist derzeit, daß die Iraner gegenüber der IAEA die Inbetriebnahme des Reaktors für das erste Quartal 2014 angekündigt haben. Es wäre überraschend, wenn sie diesen Termin wirklich hielten und es nicht, wie bei dem von russischen Unternehmen gebauten Reaktor Buschehr, zu weiteren jahrelangen Verzögerungen käme. Aber selbst im besten Fall könnte der sogenannte ¬IR-40 in Arak im nächsten Jahr nicht ans Netz gehen, sondern es würden dort nur langwierige Testläufe beginnen.

Indessen haben israelische und pro-israelische Medien schon begonnen, Arak neben Fordo ins Zentrum der Propaganda gegen den Iran und sein Atomprogramm zu rücken. Die Iraner könnten dort, rein hypothetisch, irgendwann in einer noch unbestimmten Zukunft aus verbrauchten Brennstäben Plutonium gewinnen und dieses zum Bau von Nuklearwaffen verwenden. Es wäre genug für zwei Bomben pro Jahr, hieß es beispielsweise am 26. Februar in der britischen Tageszeitung Telegraph.

Um Plutonium zu gewinnen, müßte Iran allerdings eine Wiederaufarbeitungsanlage besitzen. Die hat es nicht, und es arbeitet, laut seinen Mitteilungen an die IAEA, auch nicht an der entsprechenden Technologie. Die Behörde hat bisher keine Zweifel angemeldet, daß diese Auskunft den Tatsachen entspricht. Im übrigen unterliegt der erst in der Installationsphase befindliche Reaktor schon jetzt der Kontrolle durch die IAEA, die dort regelmäßig Inspektionen vornimmt und darüber viermal im Jahr Bericht erstattet.

Die Baustelle Arak könnte »Teil des Prozesses werden, der westliche Militärschläge gegen Iran auslöst«, meint Mark Fitzpatrick vom International Institute for Strategic Studies, der früher für das US-Außenministerium arbeitete. Die nötige Technologie für die Wiederaufarbeitung könne sich Iran aus Nordkorea beschaffen, wenn der Reaktor erst einmal läuft. Wegen der Gefahr der Freisetzung von Radioaktivität wäre ein Angriff auf die Anlage dann »enorm kompliziert«. Deshalb seien »manche Leute« der Meinung, daß »Israels rote Linie für militärische Aktionen« die Zerstörung des Reaktors sei, bevor dieser in Betrieb genommen wird.

Das Thema Arak wird voraussichtlich in den kommenden Monaten stark an Bedeutung gewinnen. Für Optimismus besteht wahrlich kein Grund.

* Aus: junge Welt, Montag, 11. März 2013


Zurück zur Iran-Seite

Zurück zur Homepage