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"Ahmadinedschad ist äußerst unpopulär"

Wahlen im Iran: Einzig US-Rüstungsindustrie dürfte Interesse an Wiederwahl des Präsidenten haben. Ein Gespräch mit Kambiz Behbahani

Der Iraner Kambiz Behbahani ist Journalist und lebt seit 1973 in Berlin



Die Iraner sind aufgerufen, am 12. Juni einen neuen Präsidenten zu wählen. Wie groß sind die Chancen für Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad auf eine zweite Amtszeit?

Wenn das Militär und die Pasdaran, die Revolutionären Garden, Ahmadinedschad intensiv unterstützen und die Wahlbeteiligung niedrig ist, kann er es mit Ach und Krach in die zweite Runde schaffen. Für einen Sieg im ersten Wahlgang braucht es die absolute Mehrheit. Es ist undenkbar, daß Ahmadinedschad die bekommt. Die Stimmung im Land ist gegen ihn. Er hat nichts vorzuweisen, was er in den vergangenen vier Jahren geleistet hat. Der Staatschef geriert sich als Opfer, das von allen attackiert wird, statt als Macher. Mit allen möglichen materiellen Mitteln versucht Ahmadinedschad, das Volk zu bestechen. Einmal ließ er sogar Kartoffeln verteilen. Das ging aber nach hinten los, die »Hilfeempfänger« fühlten sich gedemütigt.

Neu ist, daß die Herausforderer - Mirhossein Mussawi, Mehdi Karrubi und Mohsen Resai - die miserablen Zustände im Land offen ansprechen. Die Bevölkerung diskutiert engagiert über Politik. Es ist eine ganz neue Stimmung im Land. Im Zuge des Wahlkampfes keimt Hoffnung auf Veränderung auf.

Was würde sich unter einem Präsidenten Mussawi oder Karrubi, die beide dem sogenannten Reformlager angehören, verändern?

Ahmadinedschad hat mit einer aggressiven Rhetorik und einer scheinbaren Unterstützung der Palästinenser Iran isoliert. Die Beziehungen zum Westen können sich nur verbessern. Doch auch innenpolitisch kann es nur besser werden. Nach dem Wahlsieg Ahmadinedschads 2005 sind die Arbeitslosigkeit und die Zahl der Armen gestiegen. Die Verhaftung von Frauen und Studenten hat zugenommen. Es kam zu einer massiven Kapitalflucht aus dem Land. Zahlreiche Intellektuelle haben Iran den Rücken gekehrt und sind ins Ausland gegangen. Hier ist eine Umkehr zu erwarten.

Welche Themen dominieren den Wahlkampf?

Im Gegensatz zur hiesigen Wahrnehmung spielen Israel und der Nuklearbereich keine Rolle. Die alles dominierenden Themen sind die Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und wachsende Armut. Vieldiskutiert werden zudem Korruption und Mißwirtschaft. Ahmadinedschad muß sich der Frage stellen, wo die Milliarden aus den Erdölverkäufen geblieben sind.

Karrubi und Mussawi versuchen zudem, mit »Menschenrechten« zu punkten. Beide wollen gegen die »Basigis« vorgehen, die sich als islamische Sittenpolizisten aufspielen und Frauen auf den Straßen belästigen, indem sie kontrollieren, ob das Kopftuch auch ja richtig getragen wird.

Erstmals beteiligen sich die Frauen der Kandidaten an den Wahlveranstaltungen ihrer Männer. Und: Die Kandidaten betreiben massiv Wahlkampf im Internet. Mussawi wie Karrubi versuchen diesbezüglich, Obamas Kampagne zu kopieren. Im Gegensatz zu früheren Wahlen gibt es dieses Mal keine nennenswerte Boykottkampagne.

Es gab im Vorfeld der Wahlen Anschläge mit mehreren Toten. Auch ein Wahlkampfbüro von Präsident Ahmadinedschad in der Provinzhauptstadt Sahedan wurde überfallen. Ein Attentat auf Expräsident Khatami, der die Herausforderer Ahmadinedschads unterstützt. soll vereitelt worden sein. Die Behörden sprachen von »Feinden«, die eine »Bedrohungslage« vor den Wahlen schaffen wollten. Wer steckt hinter der »Strategie der Spannung«?

Die »Bedrohung« durch das Ausland ist eine fast schon traditionelle Parole im Iran. Seit 30 Jahren werden damit Menschen auf die Straße gebracht. Doch an eine Urheberschaft israelischer oder US-amerikanischer Geheimdienste bei den jüngsten Anschlägen glaubt niemand.

Gleichwohl, allein die USA haben doch mehrere hundert Millionen Dollar für »regime change« in Teheran ausgegeben ...

Auch wenn Organisationen wie die Volksmudschaheddin oder die kurdische PJAK vom Ausland instrumentalisiert und finanziert werden, darf man nicht vergessen, daß der iranische Geheimdienst nicht zimperlich ist. Als Stichwort seien hier nur die »Serienmorde« 1997 genannt, für die anfangs der israelische Mossad verantwortlich gemacht wurde. Später übernahm das Geheimdienstministerium die Verantwortung. Die gegenwärtigen Unruhen dürften eher vom iranischen als amerikanischen Geheimdienst inszeniert sein. Die USA sind nicht festgelegt auf einen Kandidaten. Allein die US-Rüstungsindustrie dürfte größtes Interesse an einer Wiederwahl Ahmadinedschads haben.

Interview: Rüdiger Göbel

* Aus: junge Welt, 9. Juni 2009


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