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In defence of Iran / "Fortschritt statt provokativer Rhetorik"

Eine Offener Brief iranischer Intellektueller und Friedensaktivisten, die vor einer Isolation des Landes warnen

Die Präsidentenwahl im Iran ist gelaufen - jedenfalls der Urnengang. Politisch ist längst nicht alles entschieden, wie die Demonstrationen und Proteste in Teheran zeigen. Im Folgenden dokumentieren wir einen Aufruf von iranischen Intellektueller und Antikriegs-Aktivisten aus dem Ausland, der sich gegen die Hardliner-Politik Ahmadinedschads wendet, sich aber gleichzeitig für das souveräne Recht des Landes ausspricht, seine Energiepolitik selbst zu bestimmen. Der Aufruf erschien als "open letter" am 10. Juni, also noch vor der Wahl im Iran, in der britischen Zeitung "The Guardian". Die inhaltlichen Positionen und Forderungen an die iranische Staatsführung sind aber auch über die Wahl hinaus interessant.
Wir doikumentieren den Aufruf zunächst im englischen Original mit der Liste der Unterzeichner/innen und anschließend eine auszugsweise deutsche Übersetzung.



In defence of Iran

We would like to share some ideas that we, as anti-war activists, feel would defend Iran's interests without causing isolation

We are a group of Iranian academic and anti-war activists in Europe and the US who, in the past few years, have consistently defended Iran's national interests in all areas including its right to develop peaceful nuclear technology. Our varied activities in the face of anti-Iran propaganda by the neoconservatives in the west have included organising press conferences, taking part in radio and TV debates, creating anti-war websites, publishing bulletins and newsletters, writing opinion pieces and letters to editors, attending national and international anti-war conferences and petitioning and lobbying western politicians and parliamentarians.

We have campaigned against the policies of the US and its western allies which have unjustifiably targeted Iran – including sending Iran's nuclear dossier to the United Nations security council, issuing security council resolutions against Iran, secret and public efforts to provoke strife in Iran and destabilise the country and threats by the US and Israel of military intervention and bombing of Iran's nuclear facilities.

As we approach Iran's presidential elections, we are duty bound to share the lessons of our anti-war activities and highlight what national policies can defend Iran's interests effectively in the international arena without isolating it or enduring UN sanctions.

In order to safeguard Iran's national rights successfully, we think Iran's president-elect must give priority to the following policies in his programmes and plans:

1) Discarding the questioning of the Holocaust, which has greatly aided the hawks in the west, and replacing it with a constructive foreign policy devoid of any provocative rhetoric.

2) Release of all political prisoners, freedom of press, organisation and political parties, as well as peaceful meetings and gatherings. Recognising the right of all citizens to run for election without any political vetting.

3) Abolishing medieval punishments, such as stoning and cutting limbs, public executions and execution of minors.

4) Recognising full and unconditional equality in all areas for women and ethnic minorities. Recognising the full citizenship and civic rights of official and unofficial religious minorities.

Disregarding these tasks will seriously hinder the social and political development of the country, and will divide the Iranian people in their resistance against the unwarranted neo-colonial pressure and double standards of the western powers. It will also provide powerful propaganda tools to hawks and their allies in mainstream media for isolating Iran and denying its fundamental rights in international organisations.

Taking steps to carry out these measures, on the other hand, will put our country on a fast track to progress, will unite Iranians of all walks of life and disarm the neoconservatives in their aggressive propaganda against Iran.

Signed
  • Professor Ervand Abrahamian, City University of New York
  • Dr Arshin Adib-Moghaddam, School of Oriental and African Studies
  • Professor Haleh Afshar, University of York
  • Professor Mohammad Ala, Persian Gulf Task Force
  • Professor Hamid Dabashi, Columbia University
  • Professor Abbas Edalat, Imperial College London
  • Ali Fathollah-Nejad, University of Muenster and School of Oriental and African Studies
  • Dr Mehri Honarbin, Canterbury Christ Church University
  • Dr Farhang Jahanpour, University of Oxford
  • Mohammad Kamaali, Campaign Against Sanctions and Military Intervention in Iran
  • Professor Mahmoud Karimi-Hakkak, Siena College, New York
  • Professor Fatemeh Keshavarz, Washington University in St Louis
  • Dr Ziba Mir-Hosseini, School of Oriental and African Studies
  • Professor Pirouz Mojtahedzadeh, Tarbiyat Modarres University
  • Professor Davood Nabi-Rahni, Pace University in New York
  • Professor Azam Niroomand-Rad, Georgetown University
  • Dr Ali Rastbeen, International Institute of Strategic Studies Paris
  • Dr Elaheh Rostami, School of Oriental and African Studies
  • Professor Nader Sadeghi, George Washington University Hospital
  • Shirin Saeidi, University of Cambridge
  • Professor Muhammad Sahimi, University of Southern California
  • Leila Zand, Fellowship of Reconciliation
guardian.co.uk, Wednesday 10 June 2009


Fortschritt statt provokativer Rhetorik

Iranische Akademiker und Antikriegsaktivisten rufen den künftigen iranischen Präsidenten auf, den Holocaust nicht in Frage zu stellen, politische Gefangene zu befreien, Frauen- und Minderheitenrechte zu garantieren:

Wir sind eine Gruppe iranischer Akademiker und Antikriegsaktivisten aus Europa und den USA. In den vergangenen Jahren haben wir durchweg Irans nationale Interessen in all ihren Bereichen verteidigt, einschließlich jener des Rechts, friedliche Atomtechnologie zu entwickeln. Im Angesicht der Anti-Iran-Propaganda der Neokonservativen im Westen haben wir zahlreiche Aktionen durchgeführt (…). Wir haben gegen die Politik der USA und ihrer westlichen Verbündeten Friedenskampagnen geführt. Diese Länder haben unberechtigterweise den Iran zur Zielscheibe erklärt, indem sie die iranische Atomakte an den UN-Sicherheitsrat überwiesen, Sicherheitsresolutionen verhängt, verdeckte und offizielle Anstrengungen zur Stiftung von Unruhe und Destabilisierung unternommen und nicht zuletzt – seitens der USA und Israels – mit militärischer Intervention und Bombardierung iranischer Anlagen gedroht haben.

In Bezug auf die Präsidentschaftswahlen im Iran sehen wir es als unsere Pflicht an, die Erfahrungen aus unseren Antikriegsaktivitäten weiterzugeben und zu betonen, welche nationale Politik die Interessen des Iran in nachhaltiger Weise auf internationaler Bühne verteidigen kann, ohne daß das Land isoliert und Opfer weiterer UN-Sanktionen wird. Um die nationalen Rechte des Iran erfolgreich sicherzustellen, sind wir der Ansicht, daß folgende Aspekte in der Agenda des künftigen Staatspräsidenten berücksichtigt werden müssen:

1. Die Infragestellung des Holocaust – welche in hohem Maße den Falken im Westen in die Hände gespielt hat – muß verworfen und durch eine konstruktive Außenpolitik, frei von provokativer Rhetorik, ersetzt werden.

2. Die Entlassung aller politischen Gefangenen, Pressefreiheit, Freiheit zur Bildung von Organisationen und Parteien, sowie Versammlungsfreiheit friedlicher Gruppierungen. Anerkennung des Rechtes aller Bürger, ohne politische Einflußnahme und Überprüfungen bei Wahlen zu kandidieren.

3. Die Abschaffung mittelalterlicher Folter- und Bestrafungsmethoden, wie die Steinigung oder das Abschneiden von Gliedmaßen, sowie die Abschaffung öffentlicher Exekutionen und der Hinrichtung von Minderjährigen.

4. Die Anerkennung umfassender und bedingungsloser Gleichberechtigung von Frauen und ethnischen Minderheiten in allen Bereichen der Gesellschaft; die Anerkennung uneingeschränkter Staatsbürgerschaftsrechte für sowohl offiziell anerkannte als auch nicht anerkannte religiöse Minderheiten.

Die Vernachlässigung dieser notwendigen Schritte würde die gesellschaftliche und politische Entwicklung des Landes nachdrücklich behindern und das iranische Volk in seinem Widerstand gegenüber dem unbefugten neokolonialen Druck und der Doppelmoral des Westens spalten. Zudem würde ein Ausbleiben dieser Schritte den Falken und ihren Verbündeten in den Mainstreammedien mächtige Propagandainstrumente zur Hand geben, um den Iran zu isolieren und ihn seiner fundamentalen Rechte in Internationalen Organisationen berauben. (...)

Deutsche Übersetzung aus: junge Welt, 13. Juni 2009


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