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Rafsanjani fordert "faire" Prüfung der Wahlbeschwerden

Ex-Präsident bricht sein Schweigen - Spekulationen über Machtkampf in Teherans Führung - Iran verbittet sich Einmischung von EU und G8 - Sorge in Bagdad

Der frühere iranische Präsident Akbar Hashemi Rafsanjani, ein Gegner von Präsident Mahmoud Ahmadinejad, hat am Samstag eine "faire und sorgfältige" Prüfung der in Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl von 12. Juni eingegangenen Beschwerden gefordert. Der als Pragmatiker geltende Politiker beendete damit sein Schweigen seit dem Ende des umstrittenen Urnengangs.

"Verschwörung"

Rafsanjani bezeichnete die Entwicklungen nach der Wahl als Ergebnis einer "Verschwörung" verdächtiger Elemente, die das Volk und das islamische System spalten und das Vertrauen der Menschen erschüttern wollten. "Überall wo Menschen mit ganzer Wachsamkeit aufgetreten seien, seien diese Pläne gescheitert", sagte er nach Angaben der Nachrichtenangenturen ISNA und IRNA ohne nähere Angaben.

Der 75-jährige Rafsanjani gilt seit der Gründung der islamischen Republik als einer der einflussreichsten Persönlichkeiten im Iran. Er hatte im Wahlkampf Ex-Premier Mir-Hossein Moussavi unterstützt. Beobachter erwarten, dass Rafsanjani einen wichtigen Beitrag zur Lösung der gegenwärtigen Krise im Iran leisten könnte.

Spekulationen über Machtkampf

Der Machtkampf im Iran scheint sich an diesem Wochenende von der Straße in das "Herz des Regimes" verlagert zu haben. Zu diesem Schluss kommt der Teheran-Korrespondent der britischen Zeitung "Guardian" unter Berufung auf Berichte, wonach der als Pragmatiker geltende Ex-Präsident Ayatollah Hashemi Rafsanjani derzeit versuche, die Machtbasis des Obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei zu unterminieren.

Die gegen Khamenei gerichteten "Manöver" Rafsanjanis erfolgten parallel zu immer offensichtlicher werdenden Spannungen zwischen Parlamentspräsident Ali Larijani und Präsident Mahmoud Ahmadinejad, so das Blatt. Während es den Sicherheitskräften und Milizen gelungen sei, die Straßenproteste der Anhänger des offiziell unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir-Hossein Moussavi wirksam niederzuschlagen, vertiefe sich die Kluft innerhalb der Führung der islamischen Republik.

In den vergangenen Tagen hatte Larijani - der von Ahmadinejad als Atomunterhändler gefeuert worden war - seine Absicht erklärt, einen Parlamentsausschuss einzurichten, der die Gewaltausbrüche nach den Präsidentschaftswahlen in objektiver Weise untersuchen soll. Daraufhin erörterten Ahamdinejad-Anhänger unter den Parlamentariern, wie der Präsident des Majlis abgesetzt werden könnte.

Gleichzeitig soll Rafsanjani versuchen, Mitglieder der 86-köpfigen mächtigen Expertenversammlung, der er vorsitzt, für den Plan zu gewinnen, Khamenei durch ein kleines Gremium hochrangiger Ayatollahs zu ersetzen, dem auch der jetzige Oberste Führer angehören solle. Sollte Rafsanjani mit diesem Vorhaben Erfolg haben, könnte dies eine grundlegende Machtverschiebung innerhalb des theokratischen Systems zur Folge haben.

"Obwohl Hashemi Rafsanjani im Iran kein populärer Politiker mehr ist, so ist er doch die einzige Hoffnung die die Iraner haben...um eine Annullierung der Wahlen zu erreichen", zitierte der "Guardian" einen namentlich nicht genannten politischen Analysten. "Er ist der einzige, der nach Meinung der Iraner dem Obersten Führer die Stirn bieten kann".

Die Expertenversammlung, der die Wahl des Obersten Führers obliegt, ist in Anhänger Rafsanjanis und eine Gruppe um den einflussreichen Hardliner-Mullah Mohammad-Taqi Mesbah Yazdi gepalten. Letzterer gilt als Unterstützer Ahmadinejads und dessen Mentor Khamenei. Yazdi werden aber auch eigene Ambitionen nachgesagt, Khamenei in dessen jetziger Funktion abzulösen. Er soll zudem viele Anhänger unter den Revolutionsgardisten und Basij-Milizionären haben. (APA)

Quelle: Nachrichtenagenturen; Der Standard-online, 28. Juni 2009

Dokumentiert

Das iranische Außenministerium reagierte am 27. Juni auf die Erklärungen der EU und der G8-Außenminister vom Vortag (siehe "Viele warten seit Monaten auf ihren Lohn"). Wir dokumentieren die Presseerklärung im Wortlaut.

Iran condemns G8 and EU parliament for meddling in internal affairs

ISNA - Tehran, 06-27-2009

TEHRAN (ISNA)-Iran expresses regret over interventionist and hasty stances of the G8 foreign ministers over Iran’s presidential elections, said Foreign Ministry Spokesman Hassan Qashqavi on Saturday.

The election took place with 85 percent of Iranians qualified for voting in a competitive and free atmosphere and according to all regulations which western communities claimant of democracy have no similar record, he reminded.

The world expected the G8 ministerial conference to work according to its predefined agenda and discuss serious problems of the international community, he noted.

Qashqavi, meanwhile, condemned EU Parliament President Hans-Gert Poettering over his “irresponsible and unacceptable” remarks regarding Iran’s elections adding such stances are adopted while the Guardian Council, Iran’s electoral watchdog, is yet studying the candidates’ complaints.

He also added Poettering’s EU parliamentarian delegation visit to Iran will be a positive step in Iran-EU ties while under mutual respect and interests otherwise it will not be helpful.

“Considering his remarks, the trip under current situation not only does not aid improvement and increase of the equations but also is against the friendship and cooperation spirit of the both sides,” he said.

Iran welcomes expansion of parliamentary ties with the EU within the framework of mutual respect but it allows neither the European Parliament nor anyone else to meddle in its domestic affairs, he asserted.

“If Mr. Poettering is honest regarding EU parliament sensitivity on violation of human rights, fundamental freedom and respect for human dignity, it must have defended defenseless people of Gaza when they were under brutal attacks and were killed by Zionist regime.”

Source: ISNA-Iranian Students News Agency; http://isna.ir




Bagdad will keine Partei ergreifen

Viele Iraker sehen Irans Einfluss mit Sorge

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

»Wer immer die Präsidentschaftswahlen gewinnt, sollte die iranische Einmischung in Irak beenden«, so dieser Tage Abbas Mahdi, ein Beamter in der südirakischen Stadt Basra, gegenüber einem Reporter des Instituts für Kriegs- und Friedensberichterstattung (www.iwpr.net). Er steht mit dieser Forderung nicht allein.

Für Abdulhadi al-Hasani, Abgeordneter des schiitischen Mehrheitsblocks der Vereinigten Irakischen Allianz, ist klar: Der Einfluss Teherans im Lande ist die Reaktion auf die massive US-amerikanische Truppenpräsenz. Was in Iran geschehe, wirke sich wenig auf die Beziehungen beider Länder aus, wichtiger sei das Verhältnis zwischen Iran und den USA. Ironischerweise hat die enge Zusammenarbeit Washingtons mit dem Hohen Islamischen Rat in Irak, dem früheren Hohen Rat für eine Islamische Revolution in Irak, dem iranischem Einfluss einst Tür und Tor geöffnet. Dieser Rat entstand unter Führung des Geistlichen Abdulaziz al-Hakim in den 1980er Jahren in Iran. Ideologisch wurde die Organisation auf den Kampf gegen Saddam Hussein und seine Regierung eingeschworen, die religiöse Ausrichtung entsprach dem Velayet-e faqih (Regierung der islamischen Rechtsgelehrten), und für den militärischen Flügel der Organisation, die Badr-Brigaden, wurden 10 000 Mann zu gefürchteten Kämpfern ausgebildet. Sie haben im Windschatten der Invasion 2003 Irak von Osten her infiltriert und sind vermutlich für viele Racheaktionen verantwortlich.

Diese Ansicht ist nicht nur bei sunnitischen und christlichen Irakern weit verbreitet, auch viele Schiiten lehnen den Rat ab. Sie kritisieren seine starke iranische Ausrichtung und verweisen auf grundsätzliche Unterschiede zwischen arabischen und persischen Schiiten. Zudem ist die schiitische Glaubensgemeinschaft seit der islamischen Revolution 1979 gespalten. Großayatollah Ali al-Sistani in Nadschaf, ein gebürtiger Iraner, gehört zu den schärfsten Kritikern des Velayet-e faqih. Der mit Skepsis beobachtete politische und religiöse Machtgewinn der Schiiten nach dem Fall von Saddam Hussein war nicht einer »fünften Kolonne Irans« geschuldet. Gleichwohl ist der Einfluss des schiitischen Klerus aus dem iranischen Qom in den Pilgerstätten Nadschaf und Kerbala gestiegen. Hotels und Gasthäuser, ein neuer Flughafen und neue Infrastruktur wurden nach 2003 mit iranischem Geld wieder auf- und ausgebaut. Die heiligen Schreine der beiden Städte sind wichtige Einnahmequellen des Klerus, verbunden mit nicht geringem politischem Einfluss.

Auch Staatspräsident Dschelal Talabani steht für die Partnerschaft zwischen Irak und Iran nach dem Sturz von Saddam Hussein. Er genoss als Peschmergaführer der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) einst Schutz und Unterstützung Teherans während des Iran-Irak-Krieges (1980-88). Ministerpräsident Nuri al-Maliki hingegen tut sich schwerer mit Teheran. Seine Dawa-Partei, die nach ihrer Vertreibung aus Irak zunächst Zuflucht in Iran gefunden hatte, lehnt das islamische Staatsmodell ab und wich wegen zunehmender Kontroversen schließlich nach Syrien und Großbritannien aus. Doch Maliki ist Pragmatiker. Er weiß, dass er auf gute Beziehungen mit dem mächtigen Nachbarn angewiesen ist. Eine Stellungnahme zu den Präsidentschaftswahlen gab er bisher nicht ab. Die Glückwünsche von Talabani an Mahmud Achmadinedschad waren eher formaler Natur. Laut Außenminister Hosjar Sebari werde Bagdad »keine Partei ergreifen«. Mir Hussein Mussawi aber hat im Zweistromland keinen guten Ruf, war er doch Teheraner Regierungschef während des achtjährigen Iran-Irak-Krieges.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Juni 2009


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