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Iran vor der Wahl

20 Politiker wollen Nachfolger von Präsident Ahmadinedschad werden. Wer kandidieren darf, entscheidet der Wächterrat

Von Knut Mellenthin *

Am 14. Juni wählt Irans Bevölkerung einen neuen Präsidenten. Vor vier Jahren gaben mehr als 39 Millionen Menschen ihre Stimmzettel ab, was einer recht hohen Wahlbeteiligung von 85 Prozent entsprach. Das war dem Umstand zuzuschreiben, daß es um eine Entscheidung zwischen dem Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad und der Opposition ging, die vor allem durch den »Reformisten« Mir-Hossein Musavi repräsentiert wurde. Jetzt hingegen, wo noch offen ist, ob es überhaupt glaubwürdige Oppositionskandidaten geben wird, sorgt sich die Führung des Landes, daß sehr viele Iranerinnen und Iraner den Wahllokalen fernbleiben könnten. Daher hat schon früh eine Propagandakampagne eingesetzt, die das Erreichen einer möglichst hohen Wahlbeteiligung als Demonstration gegen die Feinde Irans darstellt.

Viele Kandidaten

Ahmadinedschad, der demnächst zwei Amtszeiten hinter sich hat, darf nach der Verfassung nicht noch einmal kandidieren. Rund 20 Politiker haben bereits ihr grundsätzliches Interesse bekundet, ins Rennen um seine Nachfolge zu gehen. Das bedeutet jedoch nicht, daß tatsächlich alle kandidieren wollen. Mehrere von ihnen haben sich zu Allianzen verbunden und werden vielleicht erst später unter sich ausmachen, wer von ihnen kandidieren wird, um eine Aufsplitterung der Stimmen zu vermeiden.

Viel Zeit ist allerdings nicht mehr, sich zu einigen, denn zwischen dem 7. und dem 11. Mai müssen sich die Kandidaten förmlich anmelden. Anschließend entscheidet der Wächterrat über ihre Zulassung zur Wahl. Das Gremium besteht aus zwölf Mitgliedern, Experten für islamisches und bürgerliches Recht. Die eine Hälfte wird vom »Obersten Führer« Ajatollah Ali Khamenei ernannt, die anderen sechs werden vom Parlament gewählt. In den Entscheidungsprozeß des Wächterrats wird Khamenei möglicherweise auch direkt eingreifen. Das naheliegende kollektive Interesse der Führung liegt darin, ein Feld von Kandidaten zuzulassen, das zumindest einen glaubwürdigen Anschein erweckt, echte Entscheidungsmöglichkeiten zu bieten.

Khamenei hat bisher nicht erkennen lassen, daß er einen der Bewerber um das Präsidentenamt bevorzugt. Diese Zurückhaltung ist allerdings typisch für seinen Stil. Es gibt zu diesem Zeitpunkt, nur zwei Monate vor dem Wahltag, auch noch keine Meinungsumfragen, die eine Prognose über den Ausgang ermöglichen würden.

Wahlallianzen

Am nächsten steht dem »Obersten Führer« unter den möglichen Kandidaten vermutlich sein langjähriger Spitzenberater auf dem Gebiet der Außenpolitik, Ali Akbar Welajati. Der jetzt 67jährige war von 1981 bis 1997 Außenminister – eine unglaublich lange Zeit in einem Land, wo dieser Posten seither zum Schleudersitz geworden ist. Er hat in letzter Zeit wieder verstärkt öffentlich Stellung genommen und scheint, was den Streit um das iranische Atomprogramm und die Beziehungen zum Westen angeht, eine mittlere Position einzunehmen. Ob Welajati wirklich kandidieren wird, ist noch offen. Er hat sich mit zwei anderen Politikern, dem Teheraner Bürgermeister Mohammad Baqer Qalibaf und dem einflußreichen Abgeordneten Gholam-Ali Haddad Adel, zur Allianz »2+1« zusammengetan. Sie haben sich bisher nicht entschieden, wer von ihnen antreten wird.

Ein anderes wichtiges Bündnis nennt sich »Front der Anhänger der Linie und Führerschaft des Imam Khomeini«, nach dem 1989 verstorbenen ersten Führer der »Islamischen Revolution«. Ihm gehören der von Ahmadinedschad entlassene frühere Außenminister Manucher Mottaki, zwei Vizesprecher des Parlaments, der Direktor der Teheraner Handels- und Industriekammer, und der erzkonservative Geistliche Mostafa Pourmohammadi an, der von 2005 bis 2009 Innenminister war.

Unter den übrigen Interessenten verdient Hassan Rowhani besondere Beachtung, der in den Jahren 2003 bis 2005 Chefunterhändler im Atomstreit war. Er ist mit Angriffen gegen die Behandlung des Konflikts durch Ahmadinedschad hervorgetreten und könnte zum Liebling westlicher ­Medien werden.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 18. April 2013


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