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Offensive gegen Teheran

Hintergrund. Über die Wikileaks-Depeschen, die Mainstreammedien und die Kriegshetze gegen Iran

Von Knut Mellenthin *

Am 28. November begannen die New York Times, der britische Guardian, die französische Le Monde, der spanische El País und das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel mit der kommentierten Veröffentlichung von Depeschen US-amerikanischer Diplomaten an das Außenministerium der Vereinigten Staaten. Zwei Tage später war offensichtlich, daß die neuen »Enthüllungen« der Internetplattform Wikileaks vielen Politikern auf den Magen geschlagen waren. Die einzige Regierung, die sich vor Begeisterung geradezu überschlug, war die israelische Koalition unter Benjamin Netanjahu.

Kriegsminister Ehud Barak, der im Regierungsbündnis die Sozialdemokraten repräsentiert, verkündete am 30. November, Wikileaks habe »das Gesicht der Weltdiplomatie verändert«: »Diplomaten in jeder Ecke der Welt werden beim Sprechen sehr viel vorsichtiger sein, und zwar nicht nur gegenüber den Amerikanern.« Gleichzeitig gab sich Barak sehr sicher, daß sich aus den Veröffentlichungen kein Schaden für Israel ergeben werde. Seine Begründung für diese Gewißheit war von atemberaubender Kühnheit: »Es gibt keinen großen Unterschied zwischen dem, was man bei Wikileaks lesen kann, und was man bei unseren internen Sitzungen hören kann.« (Haaretz, 30.11.2010)

Das ist selbstverständlich nicht wahr. Festzuhalten bleibt aber an dieser Stelle: Barak und auch sein Regierungschef waren schon zu diesem frühen Zeitpunkt, wo erst knapp 300 Depeschen – von insgesamt rund 250000, die sich im Besitz von Wikileaks befinden – veröffentlicht waren, auffallend zuversichtlich, daß nichts für Israel Negatives herauskommen würde. Woher nahmen sie diese Sicherheit? Aus ihren Vorfeldkontakten zu den Chefredakteuren der fünf beteiligten Medien?

Beifall aus Israel

Wikileaks-Chef Julian Assange jedenfalls war vom Beifall aus Tel Aviv so angetan, daß er sich in einem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtenmagazin Time (vom 1. Dezember) ausdrücklich auf Premier Netanjahu berief. Der hatte zuvor alle Politiker der Welt aufgerufen, sich an Israel ein Beispiel zu nehmen und in der Öffentlichkeit nicht anders zu sprechen als hinter verschlossenen Türen. Dann brauche man kein Dokumentenleck zu fürchten. Netanjahu, so argumentierte Assange in dem Interview, sei offenbar davon überzeugt, daß die Depeschenveröffentlichung für den nahöstlichen Friedensprozeß und auch für die Auseinandersetzung mit dem Iran förderlich sei.

Ausgerechnet den israelischen Premier als Beispiel eines Politikers anzuführen, bei dem Worte, Absichten und Taten übereinstimmen, geht allerdings sehr weit an der Realität vorbei. Die Oppositionsführerin Tzipi Livni richtete am 1.Dezember in der Knesset an Netanjahu die Frage: »Wann haben Sie zum letzten Mal die Wahrheit gesagt: sich selbst, Ihren Ministern, der wählenden Öffentlichkeit?« Die frühere Außenministerin erinnerte in diesem Zusammenhang an einen »bekannten Politiker« – gemeint war Ariel Scharon – der über Netanjahu gesagt habe, er wisse nicht, ob er dessen rechter oder seiner linken Hand glauben solle. (Haaretz, 1.12.2010)

Aber in einem Punkt hat Assange Recht: Netanjahu betrachtet die Wikileaks-»Enthüllungen« als förderlich für seine Außenpolitik. Die von den Mainstreammedien zuerst veröffentlichten Berichte über Äußerungen einiger arabischer Politiker interpretiert er als Beweis dafür, daß Israel mit seinen Warnungen vor dem Iran nicht allein stehe: »Die größte Bedrohung des Weltfriedens kommt von der Aufrüstung des iranischen Regimes. (…) Unsere Region war die Geisel einer Legende, die das Ergebnis von 60 Jahren Propaganda ist und die Israel als die größte Bedrohung darstellt. In Wirklichkeit verstehen führende Politiker, daß diese Sichtweise bankrott ist. Erstmals in der Geschichte besteht Übereinstimmung, daß Iran die Bedrohung ist.« (Haaretz, 30. November)

Schon am Tag der ersten Veröffentlichungen hatte Yossi Melman, ein Kommentator der Tageszeitung Haaretz, dieselbe Argumentationslinie auf eine derbere Formel gebracht: An den Dokumenten sei nichts Überraschendes. Man hätte nur aufmerksam die Zeitungen lesen müssen, um festzustellen, daß sich in dieser Frage alle einig seien. »Jeder möchte erleben, daß die USA den Iran bombardieren.«

Selektive Freigabe

Für iranische Politiker liegt daher nahe, daß die Dokumente von der Regierung der Vereinigten Staaten planmäßig und gezielt an die Öffentlichkeit gebracht worden seien. In einem Interview mit Spiegel online (vom 5.Dezember) sagte Esfandiar Rahim Maschai, ein Berater von Präsident Mahmud Ahmadinedschad: »Diese Dokumente sind nicht authentisch. Dahinter steckt die Interessenpolitik der Großmacht USA und ihrer Verbündeten. Sie sehen die Welt mit ihren Augen, verfolgen ihre eigenen Ziele und ziehen die Schlußfolgerungen, die ihnen dienen. (…) Amerika will sich als Führer der Welt präsentieren, als Herr über das Schicksal der Völker. Sie wollen die Regierungen in der Region gegeneinander ausspielen. Die Welt soll glauben, daß wir zerstritten sind. So wollen sie ihre Präsenz und Einflußnahme in der Region legitimieren.«

Darauf reagierte Spiegel-Redakteur Dieter Bednarz mit der schier unglaublichen Frage: »Zweifeln Sie an der Echtheit der über 250000 Dokumente?« Zum einen hatte das sein iranischer Gesprächspartner so nicht behauptet. Die eigentliche Absurdität liegt aber darin, daß Maschai zu diesem Zeitpunkt 99,7 Prozent der Depeschen überhaupt noch nicht kennen, sich dazu also überhaupt nicht qualifiziert äußern konnte. Denn veröffentlicht waren gerade erst rund 800 Dokumente, was weniger als 0,3 Prozent des Gesamtmaterials entspricht. Verantwortlich dafür sind die fünf Zeitungen, die vorläufig – angeblich noch bis Ende Januar 2011 – die Exklusivrechte an den Depeschen haben und sie nur extrem langsam und selektiv für das Internet freigeben. Wikileaks hat an die beteiligten Chefredakteure nicht nur die Entscheidung delegiert, was wann veröffentlicht wird, sondern übernimmt auch deren redaktionelle Eingriffe in die Dokumente, also hauptsächlich die Unkenntlichmachung von Namen und Funktionen.

Dieses Verfahren konterkariert die beanspruchte Aufklärung. Mainstreammedien betreiben mit der tendenziösen Auswahl und Kommentierung einiger Depeschen – nur ein Bruchteil der Leser wird sie sich im vollen Wortlaut ansehen – koordinierte Meinungsmanipulation und Stimmungsmache. Das ruft weithin Mißtrauen hervor, das letztlich auch auf Wikileaks zurückfällt. Als »organisierte, koordinierte Bewegung« und Teil der psychologischen Kriegsführung der USA bezeichnete Ahmadinedschad den Rummel um die neuen Wikileaks-»Enthüllungen«. »Das Material ist nicht durchgesickert, sondern wurde auf organisierte Weise freigegeben.« (PressTV, Iran, 2. Dezember) Der türkische Präsident Abdullah Gül sprach, ohne die Vereinigten Staaten oder Israel direkt zu erwähnen, vom »Ergebnis einer systematischen Arbeit«, »mit einem Zweck dahinter«. (Haaretz, 2. Dezember) Deutlicher äußerte sich der stellvertretende Vorsitzende der regierenden AKP, Hüseyin Celik: »Man muß hinschauen, welche Länder sich darüber freuen. Israel ist hocherfreut, Israel gibt seit Tagen Stellungnahmen ab, schon vor der Veröffentlichung dieser Dokumente. (…) Dokumente wurden freigegeben, und sie sagten sofort: ›Israel wird davon keinen Schaden haben‹. Woher wußten sie das?« (Haaretz, 2.12.) Der türkische Innenminister Besir Atalay sagte: »Uns scheint, daß das Land, das in den Dokumenten nicht viel erwähnt wird (…) und das durch diese Entwicklung begünstigt wird, Israel ist.« Regierungschef Recep Tayyip Erdogan nannte die Glaubwürdigkeit von Wikileaks »fragwürdig«. (Haaretz, 5.12.)

Den Verdacht, daß die »Enthüllungen« gezielt angeschoben worden seien, äußerten unter anderem auch russische und pakistanische Politiker. Offensichtlich ist, daß die Dokumente vom ersten Moment an zu einer gigantischen Propagandaschlacht für die aggressive US-amerikanische Globalstrategie benutzt wurden. Das liegt indessen im wesentlichen nicht an Wikileaks, sondern an der Behandlung des Themas durch die Medien, insbesondere durch die fünf Zeitungen, denen Assange die privilegierte Vermarktung der Dokumente überlassen hat. Allerdings war es bestenfalls naiv, dies nicht vorauszusehen.

Generell gesprochen, geben die Depeschen mehr oder weniger stark subjektiv gefärbt die vorherrschende US-amerikanische Sicht auf die Welt wieder. In großen Teilen bestehen sie nicht aus objektiven Fakten, sondern aus Meinungen und Stimmungen. Selbst wenn man allerbesten Willen unterstellen würde, wozu aber kein Anlaß besteht, unterliegt die Wiedergabe der Äußerungen von Gesprächspartnern immer der Gefahr von Verkürzungen und Mißverständnissen. Schwerwiegende Behauptungen werden oft nur auf Grund von ein oder zwei fragwürdigen, nicht verifizierbaren Quellen an das State Department berichtet.

Unkritische Veröffentlichung

Die Dokumente müßten also, um zu einem einigermaßen wirklichkeitsnahen Bild zu kommen, vollständig im Zusammenhang ausgewertet und der Inhalt jeweils kritisch in Frage gestellt werden. Die fünf Zeitungen, die derzeit das Veröffentlichungsmonopol haben, sind jedoch einen völlig anderen Weg gegangen. Sie treffen lediglich eine ganz kleine, einseitige Auswahl aus dem ihnen vorliegenden Material. Für die meisten Artikel wurden nur ein bis drei Depeschen zugrunde gelegt, mit denen in der Regel keine qualifizierte Auseinandersetzung erfolgt, sondern die scheinbar gläubig nacherzählt werden. Geschickt gewählte Überschriften und Einleitungen suggerieren, daß alle in den Berichten enthaltenen Behauptungen im wesentlichen wahr seien. Der Schwerpunkt liegt ganz eindeutig auf Angriffen gegen Konkurrenten oder nicht hinreichend fügsame Verbündete der USA. Iran steht aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Chefredakteuren der beteiligten Medien ganz oben auf der Themenliste und wurde gezielt als Schwerpunkt für die Auftaktartikel gewählt, die am 28.November erschienen. Es folgten unter anderem die Darstellung Rußlands als »Mafiastaat« sowie Attacken gegen Pakistan, die Staaten der arabischen Halbinsel und China. Israel wurde bisher mit auffallender Gründlichkeit unberücksichtigt gelassen, obwohl es seit dem Regierungsantritt Netanjahus im März 2009 eine Reihe bedeutender Auseinandersetzungen zwischen Washington und Tel Aviv gegeben hat.

Ein aufschlußreiches Beispiel für den Umgang der fünf Zeitungen mit den Dokumenten ist die Behauptung, Iran habe von Nordkorea 19 Raketen erhalten, die mit nuklearen Sprengköpfen ausrüstbar seien und Ziele in Westeuropa erreichen könnten. Die New York Times setzte darüber am 28.November die Überschrift »Iran verstärkt mit Hilfe Nordkoreas sein Waffenarsenal«. In der Einleitung des Artikels hieß es: »Geheime amerikanische nachrichtendienstliche Einschätzungen sind zur Schlußfolgerung gekommen, daß Iran einen Satz moderner Raketen erhalten hat, die auf russischen Entwürfen basieren. Diplomatische Depeschen zeigen, daß sie sehr viel stärker sind als alles, was Teheran nach bisherigen Eingeständnissen Washingtons in seinem Arsenal hat.«

Die Washington Post, die an dem Deal mit Wikileaks nicht beteiligt ist, titelte zwar am 28.November noch »Geheime Depeschen enthüllen, daß Iran moderne Raketen besitzt«, drehte dem Märchen aber mit einer ausführlichen Analyse am 1.Dezember den Strom ab: Es gebe keine Anzeichen dafür, daß der genannte nordkoreanische Raketentyp überhaupt einsatzfähig ist oder jemals getestet wurde. Die Hauptquelle eines als »geheim« klassifizierten Berichts vom 22.Dezember 2009 über die angebliche Raketenlieferung war der Washington Post zufolge ein dubioser Artikel der Bild-Zeitung aus dem Jahre 2005.

In mehreren Medien erschienen am 1.Dezember weitgehend gleich lautende Artikel, daß Iran dabei sei, die Kontrolle über seine östliche Provinz Sistan-Belutschistan zu verlieren, wo es eine vom Westen unterstützte separatistische Terrororganisation gibt. Das Gerücht beruhte auf einem Bericht der amerikanischen Botschaft in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans. In der Hauptsache handelte es sich um Erzählungen einer einzigen Person (vgl. CNN, 1.12.). Von ähnlicher Qualität waren Artikel, wonach Iran den Roten Halbmond im Libanon zum Waffenschmuggel benutzt und die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hinsichtlich seiner im Bau befindlichen neuen Anreicherungsanlage bei Fordow belogen habe. Der Guardian, der darüber am 28.November berichtete, baute zusätzlich schwerste sachliche Fehler in seinen Artikel ein. Darunter die Unterstellung, Teheran sei von der IAEA bei der Anreicherung von waffenfähigem Uran erwischt worden.

Gefilterte Informationen

Von besonderem Interesse ist aus propagandistischer Sicht die Behauptung, Iran sei wegen seines Atomprogramms weltweit isoliert. In diesem Sinn eröffneten die fünf beteiligten Zeitungen ihre Wikileaks-Enthüllungen am 28. November mit Artikeln, in denen aufgrund von etwa einem halben Dutzend Depeschen angebliche Äußerungen von Politikern der arabischen Halbinsel zusammengestellt waren. Einige sollen sogar die USA dringend aufgerufen haben, den Iran anzugreifen. Der frühere Redenschreiber von George W. Bush, der Neokonservative David Frum, triumphierte: »Wikileaks bestätigt, daß die arabischen Regierungen der Region sogar noch mehr Angst als Israel vor dem iranischen Atomwaffenprogramm haben.« (CNN, 29. November)

Ein Problem solcher Berichte hat der amerikanische Intellektuelle Noam Chomsky richtig benannt: »Aus diesen Depeschen erfahren wir nicht, was die arabischen Führer denken und sagen. Wir wissen nur, was aus dem breiteren Spektrum des von ihnen Gesagten ausgewählt wurde. Es hat also ein Filterprozeß stattgefunden. Wir wissen nicht, wie weit die Informationen entstellt wurden.« (Democracy now, 30. November)

Die bisher zu diesem Thema veröffentlichten Dokumente, bei denen es sich teils um angebliche Gesprächsäußerungen, teils um Stimmungsbilder handelt, sind offensichtlich mit dem Ziel geschrieben worden, völlig einseitig ein seit vielen Jahren fixiertes Lagebild zu bedienen. Gegenteilige Äußerungen sind in diesen Depeschen nicht erwähnt. Schon gar nicht analysieren die Berichte die komplizierte und widersprüchliche Politik der verschiedenen arabischen Staaten gegenüber dem Iran.

Das am meisten strapazierte Zitat ist die dem Saudi-König Abdullah zugeschriebene Aufforderung an die USA, »der Schlange den Kopf abzuschlagen«. Angeblich fiel die Äußerung in einem Gespräch mit US-General David Petraeus, das im April 2008 stattfand. Tatsächlich handelt es sich aber bei der Depesche, in der dieses angebliche Zitat auftaucht, nicht etwa um einen Bericht über das Treffen zwischen Petraeus und Abdullah, sondern um die Wiedergabe einer Unterhaltung zwischen einem Beamten des State Department und dem saudi-arabischen Botschafter in Washington, Adel Al-Jubeir. Dieser scheint, wie auch einige andere seiner Kollegen, mehr die Interessen der USA als die seines eigenen Landes zu vertreten. Sein Vorgänger, Prinz Turki Bin Faisal, der sich im übrigen sehr kritisch gegen den Iran äußert, bezeichnete in einem Interview mit Spiegel online vom 5.Dezember die bisher veröffentlichten Diplomatenberichte als »Mischmasch aus Halbwahrheiten, Unwahrheiten, politischer Agenda und schlichter Desinformation«.

Daß Iran wegen seines Atomprogramms weltweit »isoliert« sei, ist eine Standardbehauptung der US-Propaganda. Ein zentraler Zweck besteht darin, der Beweisnot hinsichtlich der behaupteten Entwicklung von Nuklearwaffen zu entkommen: Was angeblich »die gesamte internationale Gemeinschaft« glaubt, muß zwangsläufig so evident und unzweifelhaft erscheinen, daß sich jede sachliche Beweisführung erübrigt und noch nicht einmal substantielle Indizien erforderlich sind. Tatsächlich glaubt aber die »internationale Gemeinschaft« diese Propagandabehauptung der westlichen Regierungen so wenig, daß sie bis heute weder in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats noch in den Vierteljahresberichten der IAEA auftaucht.

Die Feindseligkeit einiger autoritärer arabischer Regimes – neben denen der Halbinsel vor allem Ägyptens unter Präsident Hosni Mubarak– gegen den Iran ist eine Tatsache. Sie hat aber nichts mit der behaupteten Atomwaffenentwicklung und auch nichts mit einer militärischen Bedrohung durch die islamische Republik zu tun. Diese Länder geben für ihre Aufrüstung um ein Vielfaches mehr aus als der Iran und verfügen, da sie von den USA versorgt werden, über die weitaus moderneren Waffen. Ihre Furcht vor dem Iran ist nicht militärisch, sondern politisch-sozial und teilweise auch durch die religiöse Antipathie der fundamentalistischen Sunniten gegen die schiitischen »Ketzer« begründet. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang daran, daß die Regimes der arabischen Halbinsel in den Jahren 1980 bis 1988 den verbrecherischen Angriffskrieg des Iraks unter Saddam Hussein gegen Iran massiv unterstützten und weitgehend finanzierten. Von einer iranischen Atomwaffenentwicklung sprach damals ernsthaft noch niemand.

In der Haltung zum Iran gibt es eine riesige Kluft zwischen den Regimes und der Gesellschaft der von ihnen beherrschten Länder. Das müßte ein wesentlicher Teil jeder politischen Analyse sein, der jedoch in den bisher veröffentlichten Depeschen überhaupt nicht auftaucht. Eine von der Universität Maryland gemeinsam mit dem US-amerikanischen Unternehmen Zogby International im Juli dieses Jahres in Ägypten, Jordanien, Libanon, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten durchgeführte Untersuchung ergab, daß 77 Prozent der Befragten das Recht Irans auf sein Atomprogramm unterstützen. Zwar glaubten 55 Prozent, daß es dabei auch um die Entwicklung von Nuklearwaffen gehe. Aber die meisten (57 Prozent) meinten, daß davon ein »eher positiver« Einfluß auf die Situation im Nahen Osten ausgehen würde. 88 Prozent nannten Israel als Bedrohung, 77 Prozent die USA, aber nur 10 Prozent den Iran.[1]

Festigung der Zusammenarbeit

Bei aller Gegensätzlichkeit ist aber auch die Politik der arabischen Regimes gegenüber Teheran sehr viel komplexer, als es in den bisher veröffentlichten wenigen Dokumenten zum Ausdruck kommt. Die Beziehungen Irans zu sämtlichen Nachbarstaaten und allen Ländern der Region sind wesentlich besser als zu irgendeinem früheren Zeitpunkt seit der »islamischen Revolution« von 1979. Zwar haben einige iranische Parlamentarier die betreffenden arabischen Staaten aufgefordert, zu den in den Depeschen erwähnten angeblichen Äußerungen Stellung zu nehmen. Die Regierung Irans indessen demonstriert betonte Gelassenheit. Auf einer Sicherheitskonferenz in Bahrain erklärte Außenminister Manuchehr Mottaki: »Wir dürfen es den westlichen Medien nicht gestatten, uns zu erzählen, was wir übereinander denken. (…) Wir haben unser Potential niemals benutzt, um Macht gegen unsere Nachbarn zu erreichen, ganz besonders deshalb, weil unsere Nachbarn Muslime sind. (…) Es sollte zwischen unseren Ländern weder Mißtrauen noch Ehrgeiz gegeneinander geben, da dies die Bemühungen um die Festigung der Zusammenarbeit untergraben würde.« (Al-Dschasira, 4. Dezember)

[1] http://www.brookings.edu/~/media/Files/rc/reports/2010/08_arab_opinion_poll_telhami/08_arab_opinion_poll_telhami.pdf (externer Link).

* Aus: junge Welt, 8. Dezember 2010


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