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"Netanjahu überzeichnet die Bedrohung durch den Iran"

Ehemaliger Chef der israelischen Atomenergiekommission sieht keinerlei Anlass zur Panik. Ein Gespräch mit Uzi Eilam *


Brigadegeneral a. D. Uzi Eilam war Generaldirektor im israelischen Verteidigungsministerium und Chef der nationalen Atomenergiekommission.

Der Regierungschef Israels, Benjamin Netanjahu, wettert fortwährend gegen die Möglichkeit, dass Teheran und die Länder der Fünf-plus-eins-Gruppe ein Abkommen über das iranische Nuklearprogramm abschließen könnten. Er behauptet, der Iran werde eine solche Übereinkunft nutzen, um den letzten Schritt zum Bau der Atombombe zu tun. Gibt es wirklich diese unmittelbare Bedrohung für die Existenz Israels?

Ich glaube nicht, dass eine solche konkrete und unmittelbare Gefahr besteht und habe das in den vergangenen Jahren oft wiederholt. Wir befinden uns in der Phase zwischen der ersten, provisorischen Übereinkunft und der Möglichkeit, ein umfassendes Abkommen zwischen Teheran und der internationalen Gemeinschaft zu vereinbaren. Auch die Verantwortlichen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) berichten, dass der Iran seit Unterzeichnung der ersten Übereinkunft vor anderthalb Jahren seine Verpflichtungen einhält.

Sind Sie für ein solches Abkommen?

Ich kenne nicht alle Details, über die verhandelt wird. Ich weiß allerdings genug, um sagen zu können, dass es keine Gefahr gibt, dass der Iran Atomwaffen bauen könnte, solange die Zahl der Uranzentrifugen begrenzt bleibt und Russland zugleich die Kontrolle über die Produktion angereicherten Urans und dessen weitere Verwendung ausübt.

Die Iraner haben die Arbeiten an dem Reaktor, der Plutonium herstellen kann, unterbrochen, und die Inspektoren der IAEA können diese Einrichtungen jederzeit besuchen. Um sicherzugehen, dass der Iran nicht doch versucht, sich Atomwaffen zu beschaffen, muss natürlich weiterhin dafür gesorgt werden, dass jede Produktion von Plutonium unterbleibt.

Zugegeben, der Iran hat einiges an Misstrauen erregt, weil er den Inspektoren nicht immer freien Zutritt zu den Standorten gewährt hat. Allerdings hat selbst der US-Geheimdienst schon vor Jahren verkündet, der Iran habe bereits 2003 alle Aktivitäten zum Bau einer Atombombe eingestellt – vielleicht auch aus Angst vor einem Angriff der USA. Letztlich denke ich, dass man ein gutes Abkommen erreichen kann, sobald die heikelsten Fragen geklärt werden.

Auch der Geheimdienst Mossad kann keine existenzbedrohende Gefahr für Israel ausmachen. Warum behauptet Netanjahu trotzdem immer wieder das Gegenteil?

Wenn man die Dinge vom wissenschaftlichen Standpunkt aus beurteilt, gibt es wirklich keinen Grund zur Panik. Netanjahu denkt aber vielleicht, er könne mit seiner Schwarzmalerei an Popularität gewinnen. Er überzeichnet die Bedrohung durch den Iran, um von wichtigen innenpolitischen Themen abzulenken.

Israel ist das einzige Land des Mittleren Ostens, das heimlich Atomwaffen besitzt und den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat. Ist nicht der Augenblick gekommen, reinen Tisch zu machen?

Meines Erachtens ist unsere bisherige Haltung zum Atomwaffenbesitz noch immer die beste Position, die wir einnehmen können. Aber wir brauchen etwas anderes: Als ich Chef der israelischen Atomenergiekommission war, habe ich den damaligen Ministerpräsidenten Menachem Begin davon überzeugen können, in der UN-Vollversammlung eine Erklärung zugunsten eines atomwaffenfreien Mittleren Ostens abzugeben. Sie wurde vom damaligen Außenminister Jizchak Schamir verlesen.

Diese Frage muss von allen Ländern der Region diskutiert werden. Zur Zeit unterhalten allerdings nur Ägypten und Jordanien diplomatische Beziehungen zu uns. In jedem Fall müsste sich Israel für einen atomwaffenfreien Mittleren Osten stark machen – und sollte seine zweideutige Position in der Atomfrage so lange beibehalten, bis ein regionales Übereinkommen erreicht ist.

Dieses Interview erschien zuerst in der linken italienischen Tageszeitung Il Manifesto am 4. März 2015. Interview: Michele Giorgio
Übersetzung: Andreas Schuchardt

* Aus: junge Welt, Freitag, 20. März 2015


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