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Atomverhandlungen mit dem Iran - Droht eine Entwicklung wie in Nordkorea?

Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
In dieser Woche ist das Zwischenabkommen über das iranische Atomprogramm in Kraft getreten. Die Sanktionen gegen Teheran werden etwas gelockert, und im Gegenzug friert der Iran sein Nuklearprogramm für die kommenden sechs Monate ein. In dieser Zeit soll über eine für alle Seiten dauerhaft tragfähige Vereinbarung verhandelt werden. Doch es gibt Widerstand, vor allem in den USA. Verwiesen wird auf die schlechten Erfahrungen mit der jungen Atommacht Nordkorea. Droht bei den Gesprächen mit Teheran eine ähnliche Entwicklung? Jerry Sommer ist dieser Frage nachgegangen.


Manuskript Jerry Sommer

Kritiker des Zwischenabkommens der fünf UN-Vetomächte und Deutschlands mit dem Iran befürchten, dass sich eine Entwicklung wie in Nordkorea wiederholen könnte: Wie jetzt mit dem Iran hatten die USA 1994 mit Nordkorea vereinbart, dass das Land sein Atomprogramm einfriert. Doch inzwischen hat Pjöngjang drei Atomwaffentests durchgeführt und besitzt einige Atomwaffen.

Solche Kritiker hätten ein falsches Bild von der Geschichte der Verhandlungen mit Nordkorea, sagt Daryl Kimball, der Leiter der „Arms Control Association“ in Washington:

O-Ton Kimball (overvoice)
„Einige der Verhandlungen waren erfolgreich. Die Vereinbarung von 1994 hat das nordkoreanische Plutonium-Programm gestoppt. Aber es gab auch Misserfolge: Das Denuklearisierungs-Abkommen von 2005 ist faktisch nicht mehr in Kraft. Was uns die nordkoreanische Erfahrung jedoch zeigt, ist, dass Isolierung und Sanktionen allein das Nuklearprogramm Pjöngjangs nicht stoppen können.“

Eine zwiespältige Politik der US-Regierung trug damals erheblich zum Misslingen der diplomatischen Bemühungen bei. Nordkorea nahm die Plutonium-Produktion wieder auf, als es 2002 von Präsident George W. Bush zur „Achse des Bösen“ gezählt wurde. 2005 gelang es zwar, erneut ein Abkommen auszuhandeln. Es sah die Denuklearisierung Nordkoreas vor - im Gegenzug für wirtschaftliche Unterstützung sowie die Aussicht auf eine Normalisierung der politischen Beziehungen zu den USA. Einen Monat nach Abschluss dieser Vereinbarung verhängte die US-Regierung jedoch Sanktionen gegen die wichtigste Außenhandelsbank Nordkoreas. Pjöngjang antwortete mit einem Ausstieg aus dem Abkommen und seinem ersten Atomtest.

Dass Nordkorea überhaupt den Weg zur Bombe gegangen sei, dazu hätten solche widersprüchlichen Signale der Regierung Bush beigetragen, meint der vormalige Direktor des Bonner Internationalen Konversionszentrums und Nordkorea-Experte Herbert Wulf:

O-Ton Wulf
„Da gab es im Grunde zwei Lager: Auf der einen Seite das Außenministerium, das Verhandlungsbereitschaft signalisierte. Und auf der anderen Seite das Verteidigungsministerium und der Vizepräsident Cheney, die die Position vertraten, mit Schurkenstaaten wird nicht verhandelt, die besiegen wir – so Cheney wörtlich.“

Teheran ist Mitglied im Atomwaffensperrvertrag und erklärt immer wieder, Atomwaffen aus religiösen wie aus sicherheitspolitischen Gründen nicht anzustreben. Auch die US-Geheimdienste gehen davon aus, dass der Iran kein Atomwaffenprogramm betreibt und die Führung sich nicht entschieden hat, Nuklearwaffen herzustellen.

Nordkorea hingegen hat den Atomwaffensperrvertrag gekündigt und sieht seine Atomwaffen als notwendiges Abschreckungsmittel an, solange die vermeintliche Bedrohung durch die USA anhält. Es ist offen, ob Pjöngjang einer Einschränkung seines Atomprogramms zustimmen würde. Zu Verhandlungen - ohne Vorbedingungen - ist das Regime allerdings bereit. Das jedoch lehnen die USA und Südkorea gegenwärtig ab.

In den USA gelten - vor allem bei den Republikanern, aber auch bei einigen führenden Demokraten - sowohl Nordkorea als auch der Iran als Gegner, bei denen man einen Regimewechsel herbeiführen müsse. Michael Brzoska, der Direktor des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik:

O-Ton Brzoska
„In der Tat gibt es in den USA starke politische Kräfte, die sowohl damals bei den verschiedenen Abmachungen mit Nordkorea als auch jetzt mit dem Iran sehr skeptisch sind und meinen, dass man im Grunde mit diesen Regierungen nicht verhandeln sollte und deswegen versuchen, die Administration hier zu konterkarieren.“

59 von 100 US-Senatoren unterstützen zum Beispiel heute eine Resolution, die neue Sanktionen gegen den Iran vorsieht und die als Ziel der Verhandlungen, die Beendigung jeglicher Urananreicherung im Iran fordert. Dies entspricht auch der Position der israelischen Regierung. Allerdings hat Präsident Obama schon angekündigt, gegen einen solchen Senatsbeschluss sein Veto einzulegen. Unklar ist aber, inwieweit die US-Regierung unter diesem innenpolitischen Druck bei den weiteren Verhandlungen mit Teheran willens und in der Lage sein wird, die notwendige Kompromissbereitschaft zu zeigen.

Maximalistische Forderungen wie die nach einer Beendigung jeglicher Urananreicherung können jedenfalls das Scheitern der Verhandlungen bewirken. Ohnehin seien sie unrealistisch und auch nicht notwendig, um eine iranische Atomwaffe zu verhindern, sagt der Washingtoner Sicherheitsexperte Daryl Kimball:

O-Ton Kimball (overvoice)
„Wir sollten anstreben, wie es in der Vereinbarung heißt, die Anreicherungskapazitäten entsprechend des iranischen Bedarfs zu begrenzen. Dieser Bedarf ist gegenwärtig sehr gering, aber das kann sich ändern.“

Viele Jahre lang hatten die USA jegliche zivile Nutzung der Kernenergie im Iran vehement bekämpft. Inzwischen haben sich die Amerikaner mit einem zivilen iranischen Atomprogramm abgefunden. Gegenwärtig betreibt der Iran in Buschehr ein Kernkraftwerk, dessen Brennstäbe aus Russland importiert werden. Die US-Regierung ist mittlerweile bereit, auch eine Urananreicherung im Iran zu akzeptieren. Bei den kommenden Verhandlungen wird es vor allem um die Größe der Urananreicherungsanlage gehen. Prinzipiell hat Teheran mit der Beherrschung der Urananreicherung schon jetzt die Fähigkeit, Kernbrennstäbe für AKWs oder - bei weiterer Anreicherung auf 90 Prozent - Material für Atombomben herzustellen.

Von der Größe der Urananreicherungsanlagen hängt ab, wie viel Zeit der Iran bräuchte, um genug atomwaffenfähiges Material für eine Bombe zu produzieren, wenn sich Teheran zu diesem Schritt entscheiden würde. Doch die Forderungen mancher der US-Regierung nahestehender Institute, dem Iran für viele Jahre nur 3.000 bis 4.000 Zentrifugen zur Urananreicherung zuzugestehen und die Außerdienststellung von bisher installierten 15.000 Zentrifugen zu verlangen – diese Forderungen dürften für Teheran nicht akzeptabel sein. Damit - so das US-Kalkül - bräuchte der Iran auch nach einem eventuellen Hinauswurf der internationalen Inspektoren mindestens sechs Monate, um genügend atomwaffenfähiges Material herzustellen. Das Problem: Wenn der Iran Kernbrennstäbe für sein AKW herstellen will, benötigt er nicht weniger, sondern zehntausende zusätzlicher Zentrifugen. Wo Kompromisslinien sind, wird in den kommenden Verhandlungen deshalb nicht einfach zu bestimmen sein. Dabei sollte der Atomwaffensperrvertrag als rechtliche Grundlage dienen, sagt Nordkorea-Experte Herbert Wulf:

O-Ton Wulf
„Man muss berücksichtigen, dass der Iran als Mitglied des Atomwaffensperrvertrages das Recht darauf hat, zivile Programme zu haben und weiterzuentwickeln. Im Atomwaffensperrvertrag steht sogar, dass der Technologietransfer gefördert werden soll.“

Unabdingbar für ein endgültiges Abkommen sind auch eine große Transparenz und eine noch umfassendere internationale Kontrolle der Atomanlagen. Dazu hat sich Teheran im Interimsabkommen bereit erklärt. Der Iran hat außerdem in Aussicht gestellt, das sogenannte Zusatzprotokoll der Internationalen Atomenergiebehörde in Kraft zu setzen. Dieses sieht zusätzliche Rechte auch für unangekündigte Inspektionen vor. Forderungen nach noch weitergehenden Überprüfungsrechten könnten jedoch ebenfalls ein Stolperstein für ein endgültiges Abkommen sein. Michael Brzoska:

O-Ton Brzoska
„Man kann ja im Grunde nicht verifizieren, dass ein Land nicht irgendwo im Geheimen ein Atomprogramm betreibt. Insofern ist, wenn man das versucht, das ganze Land Untersuchungsgebiet. Und das ist schwer zu akzeptieren - was auch bei uns in Deutschland nicht akzeptiert werden würde, nehme ich einmal an, - dass man hier überall auch in militärische Anlagen, auch in Ministerien, wo es um Dokumente geht, dass man da alles inspizieren kann.“

Forderungen nach solchen umfassenden Inspektionsrechten nutzte Nordkorea 2009, um aus einem Denuklearisierungsabkommen auszusteigen und seinen zweiten Atomtest durchzuführen. Insofern kann man nur hoffen, dass bei den anstehenden Iran-Verhandlungen beide Seiten Kompromissbereitschaft zeigen und auf nicht durchsetzbare Maximalforderungen verzichten.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 25. Januar 2014; www.ndr.de/info


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