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Verlängerung wahrscheinlich

Verhandlungen über iranisches Atomprogramm sollen fortgesetzt werden. Einigung nicht in Sicht

Von Knut Mellenthin *

Die Frist für die in Wien geführten internationalen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm wird voraussichtlich verlängert. Iran und die Sechsergruppe – bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – hatten zunächst angestrebt, sich bis zum kommenden Sonntag, dem 20. Juli, auf den Text eines »umfassenden Abkommens« zur Lösung des Konflikts zu einigen. Der Vertrag soll für einen noch zu vereinbarenden Zeitraum genau den Höchstumfang des iranischen Atomprogramms, die erlaubte Produktionsmenge an Reaktorbrennstoff und sogar die Standorte einzelner Anlagen sowie ein weltweit beispielloses Kontrollsystem festlegen.

Drei Tage vor Ablauf der Frist ist jedoch, trotz des permanent zur Schau getragenen Optimismus der iranischen Seite, noch nicht ein einziger Streitpunkt zufriedenstellend abgearbeitet worden. Selbst über den Zeitraum, für den Iran unter harte »Bewährungsauflagen« gestellt werden soll, gehen die Vorstellungen weit auseinander. Während die Iraner maximal sieben oder acht Jahre zugestehen möchten, verlangen die USA auf jeden Fall »eine zweistellige Zahl« und streben, unbestätigten Berichten zufolge, mindestens 20 Jahre an.

Ungewiß ist zugleich, in welchem Umfang und in welchem Zeitrahmen der Iran im Fall einer Einigung wirklich mit einer Aufhebung der westlichen Sanktionen rechnen könnte – und welche Garantien Teheran dafür angeboten würden. Einige besonders harte Wirtschaftssanktionen der USA sind nicht ausschließlich mit dem Streit um das Atomprogramm begründet, sondern auch mit der angeblichen iranischen »Unterstützung für den Terrorismus«, der »Destabilisierung des Nahen Ostens«, mit der iranischen Raketenproduktion oder mit chemischen und biologischen Waffen, für deren Existenz niemals Beweise geliefert wurden. Klare Mehrheiten beider Häuser des US-Kongresses haben bereits angekündigt, daß sie der Aufhebung der Sanktionen selbst im Fall einer Einigung über das iranische Atomprogramm ihre Zustimmung verweigern würden.

Die Sechsergruppe und Iran haben sich die Möglichkeit vorbehalten, ihre Verhandlungen auch über den 20. Juli hinaus fortzusetzen, sofern alle beteiligten Staaten damit einverstanden sind. Mit einer entsprechenden offiziellen Bekanntmachung wird am heutigen Freitag gerechnet. Die zu erwartende gemeinsame Erklärung müßte vermutlich einen neuen Zeitrahmen enthalten und außerdem Auskunft geben, wie es mit dem sechsmonatigen Moratorium weitergehen soll, das ebenfalls am Sonntag ausläuft. Es sieht als zeitweilige Maßnahme erhebliche Einschränkungen des iranischen Atomprogramms im Austausch gegen geringfügige Lockerungen einiger Sanktionen vor.

Um ihre Zustimmung zu einer Verlängerung der Verhandlungen gegenüber dem Kongreß zu rechtfertigen, wird die US-Regierung mehr oder weniger öffentlich darlegen müssen, daß die Gespräche mit dem Iran auf einem erfolgversprechenden Weg seien und daß auch schon einige Fortschritte erzielt worden seien. In diesem Sinn äußerten sich in dieser Woche sowohl Außenminister John Kerry als auch Präsident Barack Obama. Beide stehen jedoch unter starkem Druck der Pro-Israel-Lobby und der notorischen Scharfmacher im Kongreß. Die republikanischen Senatoren John McCain und James Inhofe verlangen, daß die mit dem Moratorium verbundenen Sanktionserleichterungen sofort nach dem 20. Juli aufgehoben werden müßten. Der republikanische Senator Lindsey Graham will rasch ein neues Gesetz einbringen, das die US-Regierung auf die Maximalforderung nach Schließung fast aller iranischen Atomanlagen festlegen soll. Die parteiübergreifende Mehrheit des Kongresses folgt nicht Obama, sondern dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu, der es als »katastrophal« bezeichnet, wenn dem Iran überhaupt eine noch so geringe Kapazität zur Anreicherung von Uran zugestanden würde.

Auf der anderen Seite verlangt das iranische Parlament, daß die Sechsergruppe dem Iran eine Anreicherungskapazität von 190000 SWU (Separative Work Unit) pro Jahr gestatten müsse. Diese Zahl hatten zuvor sowohl der »oberste Revolutionsführer« Ali Khamenei als auch der Chef der iranischen Atomenergiebehörde, Ali Akbar Salehi, als Mindestbedarf genannt. Irans derzeitige Anreicherungskapazität mit 19000 veralteten Zentrifugen, von denen immer nur etwa die Hälfte in Betrieb ist, liegt auf jeden Fall unter 20000 SWU. Außenminister Kerry sagte jedoch am Dienstag bei einer Pressekonferenz, daß diese Zahl nach Ansicht der US-Regierung bereits »viel zu hoch« sei und reduziert werden müsse.

* Aus: junge Welt, Freitag 18. Juli 2014


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