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Gerüchte und Dementis

Aufregung um Verhandlungen über iranisches Atomprogramm

Von Knut Mellenthin *

Seit vorigem Freitag wird in New York wieder über das iranische Atomprogramm verhandelt. Es sind die üblichen Teilnehmer: die Sechsergruppe, die aus den um Deutschland erweiterten fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats besteht, und der Iran als direkt Betroffener. Für die Gespräche gilt strikte Vertraulichkeit, aber so radikal wie diesmal wurde das Prinzip noch nie zuvor gehandhabt.

Die Welt behilft sich – wie immer, wenn man ihr die Tür vor der Nase zusperrt – mit Vermutungen und Gerüchten. Diese müssen aber nicht unbedingt völlig falsch sein. Die New York Times berichtete am vorigen Freitag abend ohne Quellenangabe, daß es einen neuen US-amerikanischen Vorschlag gebe, dem die iranische Seite nicht ganz ablehnend gegenüberstehe. Demzufolge soll es nach dem Willen Washingtons zwar dabei bleiben, daß der Iran die Zahl der Gaszentrifugen, mit denen die Anreicherung von Uran betrieben wird, drastisch reduzieren muß. Die nicht mehr benötigten Zentrifugen müßten aber nicht verschrottet werden, sondern dürften in der Halle stehen bleiben. Nur das Röhrensystem, durch das sie miteinander verbunden sind, müsse demontiert werden. Experten meinen, daß es danach mehrere Monate dauern würde, bis das System wiederhergestellt werden könnte und die Zentrifugen wieder in Betrieb genommen werden könnten. Ganz neu ist die Idee nicht: Sie wird seit über einem halben Jahr in der unterirdischen Anlage bei Fordo praktiziert, wo die Anreicherung auf knapp 20 Prozent völlig stillgelegt wurde, ohne daß die Zentrifugen entfernt wurden.

Während die New York Times nicht verriet, wie viele betriebsfähige Zentrifugen dem Iran noch gelassen werden sollen, legte die Nachrichtenagentur AP am Sonnabend nach: Nur 1500 Geräte sollen noch zur Anreicherung benutzt werden dürfen. Derzeit sind es 19000, von denen aber wegen Reparaturarbeiten und Störungen im Schnitt nur etwa 10000 gleichzeitig in Betrieb sind. Die von AP kolportierte, erlaubte Zahl ist vermutlich zu niedrig, aber daß die USA die Zahl der Zentrifugen in den »einstelligen Tausenderbereich« drücken wollen, ist bekannt.

In den Vereinigten Staaten löste das Gerücht hysterische Empörung bei Republikanern und Neokonservativen aus. Noch bevor der Artikel der New York Times im Netz war, hatten 31 republikanische Senatoren schon einen offenen Brief an Außenminister John Kerry in Umlauf gebracht, in dem sie im voraus gegen die vermeintliche »Kapitulation« protestierten. Den Politikern schien nicht einmal klar zu sein, daß die US-Regierung mit ihrer Unterschrift unter den im November 2013 vereinbarten »Joint Plan of Action« bereits zugestimmt hat, daß der Iran auch künftig eine noch auszuhandelnde Zahl von Zentrifugen betreiben darf.

Das iranische Außenministerium widersprach der Meldung der New York Times nur schwach: Es sei bisher keine Vereinbarung über einen derartigen Vorschlag abgeschlossen worden. Das hatte allerdings auch niemand behauptet. Die staatliche Nachrichtenagentur FARS veröffentlichte ein scharfes Dementi, in dem sie den Bericht der US-Zeitung als »Medienrummel« bezeichnete, durch den die »gute und konstruktive Verhandlungsatmosphäre« zunichte gemacht werden solle. Die Schwäche dieses Dementis: Der Text berief sich nur auf eine anonyme Quelle, die angeblich der iranischen Verhandlungsdelegation nahesteht.

Andere Iraner gehen offenbar davon aus, daß die Gefahr opportunistischer Zugeständnisse droht. Drei Abgeordnete, die dem Ausschuß für Nationale Sicherheit und Außenpolitik angehören, kritisierten in getrennten Stellungnahmen, daß der US-Vorschlag das iranische Atomprogramm zur bloßen »Dekoration« machen würde. Am Dienstag griff der frühere Außenminister Ali Akbar Welajati, einer der wichtigsten Berater von »Revolutionsführer« Ajatollah Ali Khamenei, ein: Der Iran lehne den Vorschlag ab und werde niemals einer Verringerung der Zahl seiner arbeitenden Zentrifugen zustimmen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 25. September 2014


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