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Teheran unter Zeitdruck

Iran strebt schnelle Einigung im Atomstreit an. Bisher geringe Auswirkungen der "Sanktionslockerungen"

Von Knut Mellenthin *

Experten und Politiker des Iran und seiner internationalen Verhandlungspartner arbeiten derzeit an getrennten Entwürfen für ein umfassendes Abkommen, durch das der seit zwölf Jahren geführte Streit um das iranische Atomprogramm weitgehend beigelegt werden soll. Am 13. Mai wollen sich die Delegationen Irans und der Sechsergruppe – bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – erstmals zusammensetzen, um über die noch bestehenden Differenzen zu diskutieren. Grundlage dafür ist ein im November 2013 vereinbarter Arbeitsplan. Er enthält in Umrissen bereits die zentralen Punkte des jetzt im Detail zu besprechenden Abkommens. Darüber hinaus sieht er gegenseitige »vertrauensbildende Maßnahmen« in Form eines sechsmonatigen Moratoriums vor. In dieser Zeit hat sich Iran erheblichen Einschränkungen und Reduzierungen seines zivilen Atomprogramms, besonders auf dem Gebiet der Urananreicherung, zu unterziehen. Auf der anderen Seite haben die USA und ihre europäischen Verbündeten versprochen, einige Sanktionen vorübergehend aufzuheben oder zu lockern.

Das Moratorium trat aufgrund von praktischen Meinungsverschiedenheiten erst am 20. Januar in Kraft und läuft deshalb noch bis zum 20. Juli. Bis dahin soll, falls die Dinge optimal laufen, das Schlußabkommen unterschriftsreif sein. Große formale Bedeutung hat dieses Datum nicht, denn der Arbeitsplan läßt die Verlängerung der Verhandlungen und des Moratoriums um ein weiteres halbes Jahr zu. Er schließt nicht einmal zwingend aus, daß auch danach weiterverhandelt werden könnte.

Sowohl deshalb als auch wegen der großen Distanz zwischen den Positionen Irans einerseits und der westlichen Allianz andererseits war zunächst davon ausgegangen worden, daß eine Einigung bis zum 20. Juli eher unwahrscheinlich sei. Gegenwärtig sieht es aber so aus, als ob die iranische Seite die Einhaltung dieses Datums dringend anstrebt – und einen entsprechenden »Optimismus« zur Schau trägt.

Zwei Gründe scheinen dafür ausschlaggebend: Erstens braucht Iran aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen so schnell und so vollständig wie möglich ein Ende der Sanktionen. Die für die Zeit des Moratoriums vereinbarten »Erleichterungen« sind nur geringfügig. Zweitens werden im November das gesamte Abgeordnetenhaus der USA und ein Drittel des Senats neu gewählt. In Teheran wird befürchtet, daß die Republikaner, die jetzt schon das Abgeordnetenhaus mit sicherer Mehrheit beherrschen, dann auch den Senat unter ihre Kontrolle bringen. Das würde künftige Verhandlungen vermutlich enorm erschweren.

Die für die Dauer des Moratoriums versprochenen »Sanktionserleichterungen« wurden von der US-Regierung öffentlich auf einen Gesamtwert von sieben Milliarden Dollar taxiert. Den größten Einzelposten macht die Freigabe blockierter Guthaben in Höhe von 4,2 Milliarden – auszahlbar bis zum 20. Juli in acht Teilen – aus. Dabei geht es jedoch nicht um die schon lange »eingefrorenen« iranischen Auslandsvermögen, die auf rund 100 Milliarden Dollar geschätzt werden, sondern um laufende Einnahmen aus dem Erdölexport. In der Praxis verkauft der Iran nach wie vor weit mehr Öl, als er wirklich zeitnah und verwendbar bezahlt bekommt. US-Außenminister John Kerry höhnte im Februar auf dem Kongreß der Pro-Israel-Lobby AIPAC, daß den sieben Milliarden »Sanktionserleichterungen« durch das Moratorium 15 bis 20 Milliarden gegenüberstehen, die Iran im selben Zeitraum durch fortbestehende Strafmaßnahmen verliert.

Es kommt hinzu, daß die meisten anderen versprochenen »Lockerungen« während des Moratoriums gar nicht oder nur mit großer Verspätung greifen. Zum Beispiel gehört zu den westlichen Zusagen, daß Iran US-Ersatzteile für seine lebensgefährlich überalterte zivile Luftflotte kaufen kann. Aber erst Mitte April gab Boeing bekannt, daß die US-Regierung die Lizenz für solche Verkäufe erteilt habe. Sie bezieht sich ausschließlich auf Passagiermaschinen, die Iran schon vor der »islamischen Revolution« von 1979 gekauft hat.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 24. April 2014


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