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Iren auf der Straße

Von Nick Kaiser *

Mehr als 100 000 Menschen sind am Samstag (21. Feb.) in der irischen Hauptstadt Dublin auf die Straße gegangen, um gegen den Umgang ihrer Regierung mit der Wirtschaftskrise zu protestieren. Der irische Gewerkschaftsbund ICTU hatte zu der Demonstration aufgerufen, die durchweg friedlich verlief. Es war die größte Antiregierungsdemonstration in Irland seit Anfang der 1980er Jahre. Sie führte in einem Marsch vom Parnell Square entlang der Hauptverkehrsstraße O'Connell Street bis zum Parlament am Merrion Square. Dort fand anschließend eine Kundgebung statt. Es kamen so viele Teilnehmer, daß der Protestzug früher als geplant begann und die Massen anderthalb Stunden brauchten, um den anderthalb Kilometer langen Weg zurückzulegen.

»Die Menschen sind wütend, weil alle wissen, daß wir nicht schuld sind«, sagte David Begg, Generalsekretär des ICTU, den Demonstranten, die sich wie der Gewerkschaftsbund selbst aus beiden irischen Staaten rekrutierten. »Eine Geschäftselite hat unsere Wirtschaft zerstört und wird dafür nicht zur Verantwortung gezogen«. Begg forderte die Regierung zu Verhandlungen über einen Zehnpunkteplan der Gewerkschafter auf.

Die irische Wirtschaft boomte noch bis zum vergangenen Jahr. Seitdem hat sich die Lage dramatisch verschlechtert, vor allem aufgrund der globalen Kreditkrise und der Abwertung des englischen Pfund gegenüber dem Euro. Hinzu kam eine Reihe von Skandalen bei der im Januar verstaatlichten Anglo Irish Bank. Wie am Freitag bekannt wurde, hatte die Bank einem »Goldenen Kreis« von zehn bevorzugten Investoren Kredite in Höhe von insgesamt 451 Millionen Euro gewährt, damit sie Anteile der Anglo Irish Bank kaufen. Nur 83 Millionen Euro wurden zurückgezahlt, der Rest abgeschrieben. Anlaß der Demonstration war schließlich der Plan der Regierung, Lohn- und Gehaltskürzungen von sieben Prozent für 350000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst vorzunehmen, um die milliardenschwerde Rettung der Banken zu finanzieren. Der Protestzug, zu dem ursprünglich nur die betroffenen Arbeiter und Angestellten aufgerufen worden waren, wurde kurzfristig zu einer »nationalen Demonstration« gegen die Krisenbewältigung der Regierung ausgeweitet.

Noch vor Beginn der Demonstration am Samstag morgen hatte die Regierung von Premierminister ­Brian Cowen in einer Pressemitteilung verlauten lassen, einige der Forderungen des ICTU stimmten »völlig überein« mit ihrer eigenen Position. Die Regierung erkenne an, daß ihre Maßnahmen »schwierig und, in einigen Fällen, schmerzhaft« seien. Sie sei aber ebenso überzeugt, daß diese Maßnahmen »sowohl notwendig als auch fair« seien.

Die Präsidentin des ICTU, Patricia McKeown, zeigte sich während der Protestkundgebung weniger versöhnlich. Die Regierung verlange Opfer von den Arbeitern, die die Wirtschaft aufgebaut hätten, und schütze die für den Kollaps der Wirtschaft Verantwortlichen. »Wir sind nicht bereit, in einer solchen Gesellschaft zu leben«, sagte sie.

Der zehn Punkte umfassende Katalog von Forderungen, den der ­ICTU unter dem Titel »Es gibt einen besseren, faireren Weg« veröffentlichte, beinhaltet unter anderem eine »bedeutende« Steuererhöhung für Vielverdiener, Eingriffe in die Wirtschaft um die Lebenshaltungskosten zu senken, den Austausch aller für die Krise verantwortlichen Bankdirektoren sowie bessere Unterstützung für Arbeitslose. Der Gewerkschaftsbund wird am morgigen Dienstag über weitere Schritte beraten.

* Aus: junge Welt, 23. Februar 2009


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