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Irland an der Kette

Staatsgarantie für private Zockerbanken: Zwar konnte die Pleite mit Geldern von IWF und EU abgewendet werden. Doch die "Rettung" ist unbezahlbar

Von Rainer Rupp *

Die Überraschung war groß: Irlands Wirtschaft sei in einer viel schlimmeren Verfassung, als man ihnen zuvor in der Opposition mitgeteilt hatte. Das erklärten Vertreter der beiden größten Parteien des Landes, Fine Gael und Labour, die nach den Wahlen im Februar derzeit Koalitionsverhandlungen führen. Die Einweisung durch Finanzministerium und Zentralbank sei ein »ernüchternder« Prozeß gewesen, bekannte Labour-Finanzexpertin Joan Burton am Donnerstag. Und der designierte Finanzminister Michael Noonan von Fine Gael warf der abgewählten Regierung vor, einige wichtige Fakten vor der Opposition versteckt gehalten zu haben. Laut der US-Wirtschaftsagentur Dow Jones Newswire handelt es sich dabei um »Schlüsselprobleme« bezüglich der Liquidität und des Kapitalbedarfs der irischen Banken.

Gemäß dem jüngsten Finanzabkommen mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) – beide stellen 67,5 Milliarden Euro zur »Rettung« Dublins vor dem Staatsbankrott bereit – hatte sich das abgewählte Kabinett verpflichtet, den Geldinstituten mit weiteren zehn Milliarden Euro unter die Arme zu greifen. Die sind zwar inzwischen fast alle verstaatlicht, standen aber in den zurückliegenden Monaten erneut vor dem Zusammenbruch. Und weil die Regierung selbst nur noch zu exorbitanten Zinsen auf den Märkten Geld bekommen konnte und kann, sei die Europäische Zentralbank (EZB) eingesprungen und habe dem irischen Finanzsystem bis Ende Januar mit insgesamt 93 Milliarden Euro ausgeholfen. Weitere 50 Milliarden seien im Rahmen des sogenannten EU-Nothilfeprogramms von der EZB dazugekommen, wie die irische Notenbank kürzlich bestätigte. Aber das reicht nicht. Die maroden Geldhäuser der Insel brauchen viel mehr.

Nach übereinstimmenden Aussagen von Branchenkennern sitzt das dortige Bankensystem auf Schrottpapieren im Volumen von 380 Milliarden Euro. Für diese Hinterlassenschaft privater Spekulanten hat die abgewählte Regierung von Fianna Fail (übersetzt: Soldaten des Schicksals) die Staatsbürgschaft übernommen; 113 500 Euro pro Kopf.

So langsam scheint es auch den Koalitionären von Fine Gael (»Familie der Iren«) und Labour zu dämmern, daß weitere Gelder für die Banken dort wie in einem Faß ohne Boden verschwinden. Ihnen scheint auch aufzugehen, daß die Institute die 143 Milliarden Euro von der EZB niemals werden zurückzahlen können. Gleiches gilt für die 67,5 Milliarden von EU und IWF, wofür die Helfer sogar Zinsen von 5,8 Prozent verlangen. Allein diese belaufen sich auf 3,9 Milliarden im Jahr, machen fast 1000 Euro pro Kopf der Bevölkerung aus. Hinzu werden dann noch die Zahlungen aus den staatlichen Bürgschaften für die Finanzspekulanten kommen.

Woher sollen die Iren das Geld nehmen? Zu einer Zeit, da die Arbeitslosigkeit auf knapp 14 Prozent gestiegen ist, die Löhne weiter zurückgehen, Arbeitsplätze abgebaut werden und ehemalige Steuerzahler, vor allem gut ausgebildete junge Leute, massenweise auswandern? Zu allem Überfluß regt sich nun auch EU-weit die Infla­tion, weshalb die EZB am Donnerstag bereits Zinserhöhungen in Aussicht gestellt hat. Im benachbarten Großbritannien liegt die Preissteigerungsrate bereits bei vier bis fünf Prozent. Wie man die Dinge auch dreht, für Irland gibt es kein Entrinnen – es sei denn, die Bevölkerung weigert sich, die eigene und die Zukunft ihrer Kinder zu opfern, um die Schulden der Zocker zu zahlen. Die kommen ungestraft davon und profitieren nach wie vor ungeniert von dem zusammengerafften Reichtum.

Irland war das erste Land der Euro-Zone, dessen Bankensystem zusammengebrochen ist. Obwohl die dem Finanzkapital freundlich gesonnene Fianna Fail die Schulden den Bürgern aufgebürdet hatte, konnte die Partei zwei weitere Jahre bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im Februar 2011 an der Macht bleiben. So lange hatte es gedauert, bis die Menschen dort mitbekommen hatten, was mit ihnen geschieht. Ihre Wut richtete sich dabei mehrheitlich nicht gegen das System, sondern nur gegen jene, die den Kapitalismus ihrer Meinung nach schlecht praktiziert hatten.

Im Februar straften sie dann die seit 1932 regierenden »Schicksalssoldaten« mit erdrutschartigen Verlusten ab – nur um deren noch häßlichere ideologische Schwesterpartei Fine Gael zur stärksten Kraft im Parlament zu machen. Die Labour-Sozialdemokraten wurden zweitstärkste Partei. Allerdings haben auch die bisher eher unscheinbaren linken Parteien ihre Sitze im Unterhaus in Dublin verdoppeln können – auf knapp ein Drittel der Gesamtheit.

Damit treten in der von antikolonialem Nationalismus geprägten politischen Geschichte Irlands zum ersten Mal linke Parteien mit einer derartigen Stärke im Parlament auf. Allerdings ist zu befürchten, daß die sich schnell zerstreiten werden und kaum eine starke Opposition bilden können. Eine solche wäre jedoch nötig, um im parlamentarischen und außerparlamentarischen Kampf gegen die Zinsknechtschaft zu bestehen, in die Fianna Fail das Volk geführt hat. Fine Gael und Labour haben mit ihren Verbeugungen vor den Kapitalinteressen der EU-Kernländer diese auf Jahrzehnte angelegte finanzielle Abhängigkeit zugunsten der europäischen Großbanken bereits akzeptiert. Bei den derzeitigen Verhandlungen mit IWF und EU in Brüssel geht es lediglich darum, die Zinslast etwas zu reduzieren, also Konditionen der Versklavung etwas erträglicher zu gestalten.

* Aus: junge Welt, 5. März 2011

Ärger wegen Boni für Irlands Banker

Dublin. Wegen eines Streits über Bonuszahlungen droht Irlands größter Bank ein Stopp der Staatshilfen. Die Regierung fühlt sich nach eigener Auskunft von der schwer angeschlagenen Bank of Ireland hinters Licht geführt und warnt im Wiederholungsfall vor einem Entzug der Unterstützung. In einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht des Finanzministeriums werden dem Geldhaus, das sich zu 36 Prozent im Staatsbesitz befindet, »irreführende Informationen« über Sondervergütungen für Spitzenkräfte vorgeworfen.

Dem Ministeriumsbericht zufolge gewährte die Bank of Ireland mitten in der Krise zwischen September 2008 und Dezember 2010 »Boni und Boni-ähnliche Zahlungen« von insgesamt 66,37 Millionen Euro.
(Reuters/jW)




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