Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Geisterstädte am Rande Dublins

Irlands Wirtschaft ist besonders heftig von der Krise betroffen / Streit um Bankenrettung

Von Gabriel Rath, Dublin *

Die irische Wirtschaft liegt am Boden, der Staat ist klamm und die Menschen zahlen die Zeche. Besserung ist wohl erst dann in Sicht, wenn die Nachbarstaaten wieder genesen sind. Ein Nein zum Lissabon-Vertrag könnte auch diese Perspektive verdunkeln.

»Über 80 000 Arbeitsstunden ohne Unfall« rühmt ein Plakat an einer riesigen Baustelle an der Hafenmündung von Dublin. Es wird auch in naher Zukunft dort keine Unfälle geben, allerdings auch keine Arbeitsstunden. Wo vor 15 Monaten noch rund um die Uhr an einem gigantischen Bauprojekt geschweißt, gebohrt und gehämmert wurde, herrscht heute fast gespenstische Stille. Das Platzen der Immobilienblase hat die irische Wirtschaft in die tiefste Krise seit Generationen gestürzt. In den Außenbezirken der Hauptstadt sieht man heute regelrechte Geisterstädte.

Im Vorjahr war Irland das erste Land der Eurozone, das eine Rezession vermelden musste. Das war der Beginn einer dramatischen Talfahrt: 2009 wird die Wirtschaftsleistung nach Prognosen um 8,9 Prozent zurückgehen, der tiefste Fall aller westlichen Industriestaaten. Irland wird länger in der Krise bleiben: »Wir werden uns erst erholen, wenn die wichtigsten anderen Staaten wieder wachsen«, meint John Fitz Gerald, Leiter des angesehenen Economic and Social Research Institute in Dublin. »Das bedeutet: Erst ab 2011 wird die irische Wirtschaft wieder wachsen.«

Das Platzen der Immobilienblase hatte für die irische Wirtschaft denselben Effekt wie für die im benachbarten Großbritannien. Die Bauwirtschaft kollabierte, zehntausende Menschen verloren ihre Jobs, die Banken saßen auf einmal auf Milliarden an »faulen« Krediten und mehr oder minder wertlosen Sicherheiten, der Privatkonsum brach ein. Der Staat musste eingreifen: In einer von der EU zunächst als Panikhandlung angesehenen Reaktion garantierte die irische Regierung im September 2008 alle Sparguthaben. Zudem flossen Milliarden in die Rekapitalisierung der zwei größten Banken des Landes. Möglich wurde die Rettung des Bankensektors aber nur mit Hilfe der Europäischen Zentralbank (EZB), die nach EU-Angaben 77 Prozent der zur Verfügung gestellten Liquidität aufbrachte. Und dies im Tausch gegen Staatsschuldscheine. »Irland hat 15 Prozent aller EZB-Mittel bekommen, obwohl die irische Wirtschaft gerade ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone ausmacht«, betont Martin Territt, der Leiter der EU-Vertretung in Dublin.

Die Sorge um die Stabilität Irlands war auf den Märkten so groß, dass die Risikoprämien für Staatsschulden in den ersten Monaten des Jahres um das Vierfache stiegen. Sollte Irland beim Referendum am Freitag mehrheitlich »Nein« zum EU-Vertrag sagen, erwarten Ökonomen einen erneuten Anstieg: »Es würde die Finanzierung der Staatsschuld um mindestens weitere 200 Millionen Euro verteuern«, erklären Experten.

Die Regierung hat die Staatsausgaben 2009 um 3,5 Prozent des BIP gekürzt, für das nächste Jahr wird das gleiche angepeilt. Schon hat der politische Streit begonnen, wo die geplanten Einsparungen von vier Milliarden Euro gefunden werden können. In der Referendum-Kampagne erweist sich diese Diskussion als wenig hilfreich. Zugleich steigt die Arbeitslosigkeit rapide: Von derzeit 12,2 Prozent wird sie nach Erwartung von Fitz Gerald bis Jahresende auf 15 Prozent steigen.

Ebenso wenig hilfreich ist für die Regierung die Auseinandersetzung um eine irische »Bad Bank«. Die Regierung hat nach langem Streit einen Entwurf vorgelegt, mit dem die Banken von ihren faulen Krediten und wertlosen Sicherheiten befreit und damit wieder zu normaler Geschäftstätigkeit bewegt werden sollen. Der veranschlagte Betrag von 77 Milliarden Euro, mit dem die in die Auffanggesellschaft transferierten Papiere bewertet werden, sorgt freilich für gewaltigen Unmut. »Das entbehrt jeder Grundlage«, meint etwa der Ökonom Constantine Gurdgiev. Nach einer Umfrage meinen 80 Prozent der Iren, dass die »Bad Bank« nur der Rettung jener dienen wird, »die uns den ganzen Mist eingebrockt haben«: Banken, Immobilienhaie und korrupte Politiker.

* Aus: Neues Deutschland, 30. September 2009


Zurück zur Irland-Seite

Zurück zur Homepage