Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Mit Labour geht es rapide bergab"

Irlands Regierung legte den Entwurf für den Haushalt 2014 vor. Zahlreiche Kürzungen – und die Sozialdemokraten machen mit. Ein Gespräch mit Paul Murphy *


Paul Murphy lebt in ­Dublin und ist Europaabge­ordneter der irischen Sozialistischen Partei.


Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), ist sehr erfreut über den Staatshaushalt für 2014, den Irlands Regierung Anfang vergangener Woche vorgestellt hat. Wie ist ihre Meinung?

Immer, wenn Draghi glücklich ist, müssen sich die einfachen Leute Sorgen machen. Dieser Haushalt setzt die grausame Sparpolitik fort, die die EZB gemeinsam mit der EU-Kommission verordnet hat.

Wer ist am stärksten betroffen?

Jugendliche und alte Menschen. Letztere verlieren zum Beispiel ihre Ermäßigung der Telefonkosten und müssen um die kostenlose Gesundheitsversorgung bangen. Ihren Familien wird die im Todesfall gezahlte Beihilfe zu den Bestattungskosten von knapp tausend Euro gestrichen. Die Arbeitslosenhilfe der 22- bis 24jährigen wird von 144 auf 100 Euro die Woche gesenkt und für die über 25jährigen von 188 auf 144 Euro. Verbunden damit ist eine neue Attacke von Politik und Medien, mit der alle ohne Job als faul und arbeitsscheu dargestellt werden. Vorne dabei ist die Labour Party (LP).

Hinzu kommen die Auswirkungen der vor einem halben Jahr eingeführten Eigentumssteuer, die im Januar zum ersten Mal für volle zwölf Monate fällig wird. Für eine durchschnittliche Arbeiterfamilie bedeutet das 500 bis 600 Euro weniger im Jahr. Außerdem gibt es massive Streichungen im Gesundheitswesen in Höhe von 666 Millionen Euro und einen weiteren Abbau im Bildungsbereich.

Die Irish Times, eines der einflußreichsten Blätter in Ihrem Land, ist dennoch guten Mutes. Hat die Republik vielleicht doch die Krise überwunden?

Die etablierten Wirtschaftsforscher sagen Wachstum immer nur für das »nächste Jahr« voraus. Der letzte Haushalt setzte zum Beispiel voraus, daß das Bruttoinlandsprodukt um 1,5 Prozent wächst – inzwischen geht das Finanzministerium von nur noch 0,2 Prozent aus.

Jetzt geht das Spiel von neuem los: Für das nächste Jahr werden zwei Prozent Wachstum vorhergesagt. Die werden aber nie erreicht – die Binnennachfrage ist wegen der zahlreichen Kürzungen ebenso auf einem Tiefpunkt wie die privaten Investitionen.

In der ersten Krisenphase hatten die irischen Ausfuhren zwar zugelegt – allerdings nur, weil die Arbeitskosten gedrückt wurden. Jetzt stagniert die Exportwirtschaft wieder, nicht zuletzt wegen der fehlenden Investitionen.

Wie steht es um die Staatsverschuldung?

Die EU-Kommission geht davon aus, daß der Schuldenberg 125 Prozent des Inlandsproduktes erreicht und dann abnehmen wird. Das wird aber nur dann der Fall sein, wenn die Wirtschaft viele Jahre hintereinander floriert.

Die Regierung wird von der konservativen Partei Fine Gael angeführt. Labour ist der kleinere Koalitionspartner – damit also mitverantworlich für die Kürzungen. Wie kommt das in der Arbeiterklasse an?

Mit Labour geht es rapide bergab, mit der nächsten Wahl wird die Partei möglicherweise so gut wie ausgelöscht. Zur Zeit ist sie auf sechs Prozent abgesackt – so wenig wie seit 25 Jahren nicht mehr. Diese Umfrage wurde aber gemacht, bevor der Haushaltsentwurf vorgelegt wurde! Große Teile der Bevölkerung sind empört darüber, daß Labour so gut wie alle Wahlversprechen gebrochen hat.

Im Mai stehen Europawahlen an – wie wird Ihre Partei abschneiden?

Das Rennen ist offen, Irland stellt drei Abgeordnete. Einer wird wohl von Fine Gael kommen, um die beiden anderen bewerben sich wir Sozialisten, die mitte-rechte Oppositionspartei Fianna Fail sowie Sinn Fein. Letztere Partei befindet sich zur Zeit im Aufwind, nicht zuletzt deswegen, weil sie sich deutlich gegen die Kürzungen ausspricht. Das ist allerdings scheinheilig, denn in Nordirland ist sie in der Regierung und praktiziert dort selbst diese Kürzungspolitik.

Politisch ist die Lage anders als 2009, die Wut über die Labour Party und die üble Rolle von Gewerkschaftsführern ist viel größer geworden. Es herrscht allerdings einige Konfusion über die Ursachen der Krise und zugleich auch eine allgemeine Abneigung gegenüber Parteien – und die trifft leider auch die linken Parteien.

Leider kommt zu diesen Komplikationen hinzu, daß die Socialist Workers Party (SWP) und das von ihr dominierte Bündnis »People Before Profit« (Menschen vor Profit) beschlossen haben, ebenfalls bei den Europawahlen anzutreten. Ihr Kandidat hat zwar keine ernsthafte Chance, zu gewinnen – er wird nur das Votum für die Linke zersplittern. Wir hoffen, sie überlegen sich das nochmal.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, Dienstag, 29. Oktober 2013


Zurück zur Irland-Seite

Zurück zur Homepage