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Todesglocken für Irlands Staatspartei

Die Tage des irischen Ministerpräsidenten Cowen und seiner Koalition sind gezählt

Von Gabriel Rath, Dublin *

Fianna Fáil hat Irland seit seiner Unabhängigkeitserklärung von Großbritannien dominiert. Seit den 20er Jahren ging es fast stetig aufwärts, die Partei konnte aus den Futtertrögen der Macht Wohltaten verteilen. Nun sind der Wohlstand und die Staatspartei am Ende.

Die wirtschaftliche Krise Irlands wird auch die politische Landschaft des Landes verändern. Gleichgültig, ob in den nächsten Tagen, Wochen oder Monaten gewählt wird: Die Langzeit-Regierungspartei Fianna Fáil, die sich traditionell als Staatspartei verstand, wird von den Wählern aus dem Amt gejagt werden. Mit derzeit nurmehr 17 Prozent in den Umfragen steht die Partei von Ministerpräsident Brian Cowen näher vor der Auflösung als vor einer baldigen Regeneration in der Opposition.

Die »Soldaten des Schicksals«, so die irische Bedeutung des Namens Fianna Fáil, kennen seit jeher nur einen Existenzgrund: das Regieren. Der legendäre Gründungsvater der Republik, Eamon de Valera, war auch Gründer der konservativ-nationalistischen Partei. Von den 27 Regierungen, die Irland seit Erlangung der Unabhängigkeit von Großbritannien 1922 hatte, wurden nur sieben ohne Fianna Fáil gebildet. Als im Mai 2007 Bertie Ahern eine dritte Amtszeit in Folge gewann, glaubten manche, er sei auf Kurs, Übervater de Valera einst zu überflügeln.

So glänzend schien damals die Lage in Irland, mit durchschnittlichen Wachstumsraten über sechs Prozent und einer Regierung, die vorwiegend damit beschäftigt war, an die Bürger Wohltaten zu verteilen. »Wir haben vieles erreicht«, warb die Partei damals. Für das Land, aber mehr noch für die Freunde von Fianna Fáil: Ahern stolperte ein Jahr nach der Wahl über Korruptionsvorwürfe, die im Nachhinein wie »Peanuts« anmuten. Er trat wegen der dunklen Herkunft von rund 100 000 Euro zurück. Heute steht die Republik – rechnet man die Banken dazu – vor einem Schuldenberg von über 200 Milliarden Euro.

Die Ursache liegt freilich in den Herrschaftsmethoden der Fianna Fáil, wie sie Ahern, aber auch so illustre Vorgänger wie Charles Haughey oder Garret Fitzgerard praktizierten: Auf dem Höhepunkt der Macht hielt Ahern am Rande des Pferderennens in Galway in einem Zelt Hof, und die »Freunde« der Partei aus Banken- und Bauwirtschaft zeigten sich für Wohltaten mit Barem »erkenntlich«.

Solange das Land sich als keltischer Tiger feiern durfte, hatte daran kaum jemand viel auszusetzen. Fianna Fáil nicht zu wählen, fiel vielen Iren umso schwerer, als die Oppositionspartei Fine Gael mindestens ebenso konservativ ist, aber als lange nicht so kompetent galt. Die Unterschiede der Parteien reichen bis ins Jahr 1922 zurück und sind von den meisten längst vergessen. Die Labour Party hingegen musste im katholisch-konservativen Irland lange kämpfen, um Fuß zu fassen.

Umso ungewöhnlicher schien es, dass die konservativ-nationalistischen Fianna Fáil nach der Wahl 2007 eine Koalition ausgerechnet mit den Grünen, der jüngsten Partei des Landes, einging. Ein Grün-Politiker, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagt über die Zusammenarbeit: »Man kann sich kaum zwei Parteien vorstellen, die unterschiedlicher sind. Freunde sind wir nicht und werden wir wohl auch nie.« Ungeachtet dessen wurden die Grünen im Abwärtssog der Krise mitgerissen: Schon bei den Gemeinderatswahlen 2009 verlor die Partei alle Sitze in ihrer Hochburg Dublin und kam landesweit auf nur 2,3 Prozent der Stimmen. Nach der jüngsten Umfrage des Instituts »Red C« liegen sie derzeit bei drei Prozent.

Fianna Fáil ist mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft das wichtigste Instrument verloren gegangen: Die Partei kann nichts mehr verteilen, heute müssen die Abgeordneten ihren Wählern etwas nehmen. Im Vier-Jahres-Plan, den die Regierung am heutigen Mittwoch vorstellen will, sollen unter anderem Mindestlohn und Staatspensionen gekürzt werden.

Trotz der überwältigenden Ablehnung, die ihm und seiner Regierung entgegenschlägt, will Cowen vor Neuwahlen noch das Budget durchbringen. Die Mehrheit dafür ist alles andere als gewiss, aber EU-Kommissar Olli Rehn »erinnerte« die Iren bereits daran: Ein Budgetbeschluss sei für das internationale Rettungspaket »entscheidend«.

Die Dubliner Politologin Etaine Taname meint: »Cowen muss weniger die Opposition fürchten als seine eigenen Hinterbänkler, die sich nun zu retten versuchen werden.« Und ein Abgeordneter sagt: »Was uns nun bevorsteht, ist reine SMS-Politik: Save My Seat (Rette meinen Sitz)!«

* Aus: Neues Deutschland, 24. November 2010


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