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Die Rückeroberung Irlands

Von Uschi Grandel *

Wütend waren die Iren auf ihre Regierung, die die Republik Irland dem Diktat von IWF und EU unterworfen hatte. Der großen Mehrheit der Bevölkerung werden die schweren Krisenlasten aufgebürdet. Nicht denen, die die Krise verursacht haben. Die Antwort ließ bei den Wahlen nicht auf sich warten. Die Regierungspartei Fianna Fáil (Soldaten des Schicksals) verlor drei Viertel ihrer Sitze. Ihr kleiner Koalitionspartner, die Grüne Partei, ist nicht mehr im Parlament vertreten.

Die Mehrheit der 500000 Stimmen, die Fianna Fáil verlor, wanderte zur rechtskonservativen Fine Gael (Gemeinschaft der Iren) und zur sozialdemokratischen Labour-Partei, die voraussichtlich gemeinsam die neue Regierung bilden werden. Beide Parteien hatten die alte Regierung wegen ihres Sparbudgets zwar scharf angegriffen, ihr aber Zeit eingeräumt, eben dieses Budget noch vor den Wahlen zu verabschieden. Von der neuen Regierung wird daher die alte Politik mit einigen kosmetischen Veränderungen zu erwarten sein.

Die Sensation der Wahl ist der Erfolg der republikanischen Linkspartei Sinn Féin (wir allein), die ihre Sitze im irischen Parlament fast verdreifachen konnte und nun 14 Abgeordnete stellt. Sinn Féin paßt als irlandweite Partei nicht in das normale Parteienraster. Ihr erklärtes Ziel ist es, die Teilung Irlands zu beenden und die Machtverhältnisse im Norden und im Süden grundlegend umzukrempeln.

»Ein Teil der Rückeroberung Irlands durch seine Menschen«, nannte der Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams denn auch diesen Erfolg: »Wir haben in dieser Wahl … die zentralen republikanischen Werte betont: Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger durchzusetzen, sich um die Schwächsten in der Gesellschaft zu kümmern und sicherzustellen, daß die Menschen das bekommen, was ihnen zusteht. Wir tun dies mit dem Ziel der Vereinigung Irlands.«

Die Machteliten in der Republik Irland begreifen dies als Kampfansage. Die haßerfüllte Kampagne eines Teils der Medien blieb jedoch wirkungslos. Der Belfaster Kommentator Brian Feeney, jahrzehntelanger Kommentator der Sinn-Féin-Politik, sieht nun »Sinn Féin als einen der bedeutenden Spieler auf der irischen Bühne, Süd wie Nord«.

Die Sinn-Féin-Abgeordneten werden auf Grund ihrer Stärke im irischen Parlament vollständige Rechte besitzen, was Redezeit, Anträge, die Befragung von Ministern und Kommissionssitze anbelangt. Sie wird beachtliche staatliche Mittel für ihre Kampagnen erhalten. Zusammen mit zwei kleineren linken Gruppen, die ebenfalls Wahlerfolge feiern konnten, und einigen linken Unabhängigen existiert im irischen Parlament damit ein beachtlicher Oppositionsblock. Noch wichtiger ist es für Sinn Féin, die neue Sichtbarkeit im Süden zu nutzen, um für den aktiven Einsatz der Menschen für politische Veränderung zu werben.

Martin McGuiness, für Sinn Féin stellvertretender First Minister in der nordirischen Regionalregierung, eröffnete am Dienstag in Belfast die Wanderausstellung zum 30. Jahrestag der Hungerstreiks irisch-republikanischer Gefangener im Gefängnis Long Kesh. Zehn Häftlinge starben damals beim Protest gegen die unmenschliche Gefangenenpolitik der britischen Regierung. Die Ausstellung wird das ganze Jahr durch Irland ziehen und dafür werben, daß die irische Gesellschaft verändert werden muß und daß jeder und jede dazu einen aktiven Beitrag leisten können. Für die Rückeroberung Irlands.

* Aus: junge Welt, 2. März 2011


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