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Geste der Versöhnung

Bei seinem Irland-Besuch traf sich Prinz Charles mit Sinn-Féin-Vorsitzendem Gerry Adams

Von Uschi Grandel *

Derzeit ist Prinz Charles zu einem viertägigen Besuch in Irland – zunächst in der Republik, dann in Nordirland. Am Dienstag traf Vertreter Großbritanniens den Vorsitzenden der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin, Gerry Adams; beide reichten sich die Hände. Die Zusammenkunft und die Geste sind deutliche Zeichen der Versöhnung und ein Beitrag zur Lösung des Konflikts um Nordirland, das noch immer unter Kontrolle Londons steht.

Wichtiger für dessen Beilegung sind Wahrheit und Gerechtigkeit. Die britische Regierung sträubt sich seit Jahren, die eigene Rolle in den blutigen Auseinandersetzungen aufzuklären. Prinz Charles könnte helfen, diese Haltung zu überwinden. Der Thronfolger war und ist Oberst des britischen Fallschirmjägerregiments »1 Para«, das im Januar 1972 am »Bloody Sunday« (Blutsonntag) 14 unbewaffnete Teilnehmer einer Demonstration ermordete. Der britische Premierminister David Cameron sah sich bereits 2010 zu einer öffentlichen Entschuldigung gezwungen. Diese Geste mussten sich die Angehörigen der Opfer über Jahrzehnte erkämpfen.

Die britische Armee war in der jahrhundertelangen Kolonialgeschichte in Irland brutal gegen die Bevölkerung vorgegangen. Auch im Konflikt um Nordirland von 1968 bis zum Friedensabkommen im April 1998 brachte das Militär Hunderte wenn nicht gar Tausende Menschen ums Leben. Nur wenige Wochen vor dem Bloody Sunday ermordete das Regiment »1 Para« in Ballymurphy, einem irischen Stadtviertel im Westen Belfasts, mindestens elf Zivilisten.

Die Regierung in London weigert sich bis heute beharrlich, der irischen Regierung interne Dokumente aus dem britischen Staatsarchiv über Attacken in der Republik Irland zur Verfügung zu stellen. Beispielsweise zu der Serie von Bombenanschlägen in Dublin und Monaghan im Jahr 1974, bei der mehr als 30 Menschen getötet wurden. Viele Hinweise deuten darauf hin, dass die Armee des Königreichs hinter den probritischen Attentätern steckte.

Es gibt zahlreiche andere Massaker, bei denen die Spuren in Richtung Downing Street 10 führen. Angehörige müssen deswegen oft selbst recherchieren, um Aufklärung über die Morde zu erhalten. Noch immer versucht der britische Staates zu verhindern, dass die Hintergründe ans Tageslicht kommen. Allzu oft wurden zivile Opfer als Terroristen abstempelt, um das illegale Vorgehen der Besatzungsmacht als »Antiterrorkampf« zu legitimieren. Der Nordirlandkonflikt sollte so als eine Auseinandersetzung verfeindeter Religionsgruppen dargestellt werden, ohne die brutale Kolonialgeschichte und Unterdrückung der irischen Bevölkerung zu thematisieren.

Nun steht seit Ende April 2015 zum ersten Mal ein Verantwortlicher für diese Strategie, Frank Kitson, vor Gericht. In seinem 1971 erschienenen Buch »Low Intensity Operations: Subversion, Insurgency, Peacekeeping« rechtfertigt er Staatsterrorismus als Mittel der »Aufstandsbekämpfung«: »Alles, was eine Regierung und ihre ausführenden Organe tun, muss legitim sein. Das heißt jedoch nicht, dass die Regierung während eines Notstandes im selben gesetzlichen Rahmen handeln muss, der zuvor existierte. Das Gesetz sollte als weitere Waffe im Arsenal der Regierung Verwendung finden. Es ist dann Propaganda zur Beseitigung unliebsamer Teile der Bevölkerung.«

Kitson war Befehlshaber der britischen Armee in Nordirland in den 1970er Jahren. Verklagt wurde er von der Witwe des im Februar 1973 in Belfast ermordeten Bauarbeiters Eugene Heenan. Frau Heenan beschuldigt ihn des Einsatzes loyalistischer, probritischer Paramilitärs als Todesschwadronen. Ihr Mann wurde durch eine Bombe dieser Milizen ermordet, als er in einem Kleinbus unterwegs zur Arbeit in einem probritischen Viertel war. Hunderte Menschen, meist unbeteiligte Zivilisten, verloren durch die als »Collusion« (geheime Absprache) bekannte Zusammenarbeit des britischen Militärs und Geheimdiensts mit solchen Killerkommandos das Leben. Der Händedruck von Prinz Charles war eine Geste der Versöhnung, der die Aufarbeitung der Vergangenheit erst noch folgen muss.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. Mai 2015


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