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Irland: Mehrheit für volle Ehe-Gleichberechtigung

Erstmals macht ein Land den Weg für Trauungen gleichgeschlechtlicher Paare per Volksentscheid frei / Gegner räumen Niederlage ein *

Berlin. Die Iren haben den Weg für Eheschließungen gleichgeschlechtlicher Paare freigemacht - als erstes Land, das per Volksentscheid die volle Gleichberechtigung zulässt. Nach dem Volksentscheid zeichnete sich eine klare Mehrheit für eine entsprechende Verfassungsänderung ab.

Nach Berichten verschiedener irischer Medien aus den Stimmkreisen zeigen erste Ergebnisse der Auszählung einen Vorsprung des »Ja«-Lagers im Verhältnis von etwa 2:1. Gleichstellungsminister Aodhán Ó Ríordáin sagte am Samstag, er gehe davon aus, dass die Befürworter das nationale Referendum gewonnen hätten. Selbst in Regionen, die als nicht sehr liberal gelten, habe die Mehrheit mit Ja gestimmt.

»Das ist ein großer Tag für Irland«, sagte Gesundheitsminister Leo Varadkar. »Für mich persönlich ist das nicht nur ein Referendum, sondern eine soziale Revolution.« Er hatte erst im Januar seine eigene Homosexualität öffentlich gemacht. »Glückwunsch an die Ja-Seite«, erklärte der Leiter der Gegenkampagne, David Quinn, und räumte damit die Niederlage ein.

Ministerpräsident Enda Kenny hatte wie alle großen Parteien für die Homo-Ehe geworben. Die Volksbefragung bestimme das künftige Bild des Landes und berühre Fragen von Toleranz, Respekt, Verständnis und Sensibilität, argumentierte Kenny. Die katholische Kirche stellte sich auf die Seite der Gegner.

Die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe würde für das katholische Land eine Zeitenwende bedeuten. Bis 1993 stand Homosexualität in Irland noch unter Strafe. Bisher gab es in Irland für homosexuelle Paaren - ähnlich wie in der Bundesrepublik - nur die Möglichkeit einer eingetragenen Lebenspartnerschaft offenbar

3,2 Millionen Iren waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Auszählung hatte um 9 Uhr Ortszeit begonnen. Ein erstes landesweites Resultat des Referendums soll am Nachmittag vorliegen. Regierungsvertreter rechneten am Samstagvormittag mit einer hohen Wahlbeteiligung von mehr als 65 Prozent.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 23. Mai 2015


Ehe statt nur Partnerschaft

Echte Gleichberechtigung nimmt in Europa zu

Von Katja Herzberg **


Irland könnte zwar das erste Land werden, das per Referendum für Gleichberechtigung der Geschlechter bei der Eheschließung sorgt, bei der prinzipiellen Einführung der Homo-Ehe kommt die Republik aber in Europa nicht einmal mehr unter die Top Ten. Laut dem internationalen Verband ILGA-Europe für Menschenrechte und Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans und Intersexuellen (LGBTI) ist die Zahl der Länder mit sogenannter marriage equality bis Ende 2014 auf elf gestiegen. Im vergangenen Jahr trat die Homo-Ehe in Großbritannien (ausgenommen Nordirland) und Luxemburg in Kraft. Auch Finnland hat laut dem Jahresbericht von ILGA-Europe von Anfang Mai Fortschritte gemacht. Die Vorschriften zur Gleichberechtigung bei der Eheschließung werden dort 2017 in Kraft treten.

Die schwächere Form der »Eingetragenen Partnerschaft« findet ebenso immer weitere Verbreitung. Sie ist seit dem vergangenen Jahr auch in Andorra, Kroatien, Estland - als erster Ex-Sowjetrepublik - sowie Malta verankert. Im März dieses Jahres hat auch das slowenische Parlament ein genderneutrales Ehegesetz verabschiedet. »Die Abstimmung demonstrierte den sozialen Wandel, der sich in Slowenien vollzogen hat«, heißt es von ILGA-Europe unter Verweis auf das gescheiterte Referendum im Jahr 2012.

Die Niederlande erlaubten als erstes Land in Europa Homosexuellen die standesamtliche Ehe und auch gleich das Recht auf Adoption (2001). Mehrere europäische Staaten sind dem Beispiel gefolgt. Dazu gehören Belgien (2003), Spanien (2005), Schweden (2009), Dänemark (2012; 1989 als erstes Land weltweit die Eingetragene Lebenspartnerschaft eingeführt), Norwegen (2008), Island (2010), Portugal (2010) und zuletzt und unter großen Protesten Frankreich (2013). Deutschland, Österreich und die Schweiz sind dagegen über die Eingetragene Lebenspartnerschaft bisher nicht hinausgekommen. In Italien, Griechenland und vielen osteuropäischen Staaten ist selbst diese bislang tabu.

Ob volle Rechte bei Heirat und Adoption oder nicht, die Homo-Ehe ist bei Weitem nicht das einzige Kriterium für die Gleichstellung von LGBTI. ILGA-Europe machte anlässlich des zum zehnten Mal begangenen Internationalen Tages gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie am 17. Mai auf viele bestehende Probleme aufmerksam. »Homophobische und transphobische Gewalt, Hassreden und Diskriminierung gehören für manche LGBTI-Nachbarn weiterhin zum Alltag. Wir hoffen, dass das Jahr 2015 weitere positive Beispiele wie Malta und Estland hervorbringt. Mehr denn je müssen die Verantwortlichen in Europa mit und für LGBTI-Menschen arbeiten«, erklärte Joyce Hamilton, Ko-Vorsitzende des ILGA-Europe-Vorstands.

Die größten Probleme sieht die Nichtregierungsorganisation in Aserbaidschan. Doch in dem Gleichstellungsindex zur gesetzlichen und politischen Lage hat bisher keines der 49 aufgeführten Länder die 100-Prozent-Marke erreicht. Der Durchschnitt liegt gerade einmal bei 42 Prozent.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 22. Mai 2015


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