Island klärt auf
Harter Schlag für die Neoliberalen: Parlamentskomitee legt Bericht über Ursachen des Finanzcrashs vor und benennt Verantwortliche
Von Georg Brzoska *
In Island sind die Marktradikalen völlig in die Defensive geraten. Am
Montag (12. April) wurde in Reykjavik der Abschlußbericht des Parlamentskomitees zu den Ursachen und Verantwortlichen des Finanzcrashs veröffentlicht. Dabei
wurde Klartext geredet, und die eigentlichen Drahtzieher der Entwicklung
bis zum Zusammenbruch des isländischen Bankensystems wurden beim Namen
genannt: die Unternehmensgruppen, die die drei großen Finanzkonzerne
Landsbanki, Kaupthing, Glitnir, fest im Griff hatten.
Zuletzt hatte es so ausgesehen, als ob die Rechte in Island wieder die
Oberhand gewinnen würde. In einer am 18. März erhobenen Umfrage gaben
40,3 Prozent der Befragten an, sie würden die Unabhängigkeitspartei
wählen. Diese war als Hauptträger des neoliberalen Umbaus in Island bei
der letzten Parlamentswahl im April 2009 auf 23,7 Prozent der Stimmen
abgerutscht. Den Umschwung zu ihren Gunsten jedoch hatte ein geplantes
Gesetz gebracht, das britischen und niederländischen Zinsjägern ihr Geld
sichern sollte und nach dem Zusammenbruch der Icesave-Bank, die zur
Landsbanki gehörte. Die Zahlungen aus Steuergeldern der 317000 Isländer
hätten die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts ausgemacht. Zwar war es der
damalige Ministerpräsident von der Unabhängigkeitspartei, Geir Haarde,
der sich auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) im November
2008 verpflichtet hatte, für die Guthaben aufzukommen. Die nach dem
Volksaufstand im April 2009 an die Regierung gekommenen Sozialdemokraten
und Linksgrünen fühlten sich diesem Vertrag aber verpflichtet. Sie
verabschiedeten ein Gesetz, das die konkreten Bedingungen der Zahlung
regeln sollte. Dieses wurde am 6. März 2010 bei einer Volksabstimmung
mit überwältigender Mehrheit abgelehnt - und ausgerechnet die
Neoliberalen hatten dagegen mobilisiert. Dabei hatten sie durch radikale
Deregulierung und Privatisierungen (nicht zuletzt der Banken) den
Zusammenbruch der isländischen Wirtschaft verursacht. Trotzdem konnten
sie vor der Volksabstimmung den Eindruck vermitteln, sie würden die
Interessen der Isländer gegenüber dem arroganten Ausland vertreten.
Diesen Eindruck revidierte der am Montag vorgestellte Bericht des
Parlamentskomitees gründlich.
Einer hat offensichtlich gewußt, wie brisant das Papier sein würde:
David Oddsson, der für die neoliberale Entwicklung in Island die
Bedeutung hatte wie einst Margaret Thatcher für die gleiche Politik in
Großbritannien. Oddsson war von 1991 bis 2004 Ministerpräsident. Bis
Ende Februar 2009 fungierte er als Notenbankchef. Um ihn aus dem Amt
jagen zu können, mußte eigens ein Gesetz verabschiedet werden. Seine
guten Verbindungen machten ihn kurz danach zum Chefredakteur einer der
größten Zeitungen des Landes. Vergangene Woche flüchtete der große
Strippenzieher mit unbekanntem Ziel ins Ausland. Oddsson wird auf 256
Seiten des 2383 Seiten langen Berichtes erwähnt.
Der Auftrag des Parlamentskomitees war es, die Verantwortung von
Politikern und Verwaltungsmitarbeitern am Crash zu untersuchen. Und die
Verantwortlichen werden im Abschlußbericht deutlich benannt: Es sind die
drei Gouverneure der Zentralbank - ihr Vorsitzender war Oddsson, dann
der Chef der Finanzaufsichtsbehörde sowie der damalige Ministerpräsident
Geir Haarde und dessen Finanz- und Wirtschaftsminister.
Eigentlich ging es bei der Analyse nicht um die Drahtzieher. Da der
Untersuchungsgegenstand aber das Verhalten der Finanzinstitute war, und
diese von wenigen Oligarchen kontrolliert wurden, ist der Bericht doch
eine Abrechnung mit den Verantwortlichen. Und auch die Verstrickung der
Medien und des Präsidenten in die Vorgänge kommt zur Sprache.
Ein exorbitantes Wachstum der Banken sei zugelassen worden, das zum
Crash führen mußte, so das Parlamentskomitee. Innerhalb von sieben
Jahren seien die Finanzinstitute um das Zwanzigfache gewachsen.
Politiker und Beamte hätten tatenlos zugeschaut, als die Forderungen an
die Banken in Valuta die isländischen Währungsreserven um das
Sechzehnfache überstiegen. Kritisiert wurde, daß die Oligarchen die
Geldinstitute fast schrankenlos für ihre Geschäftszwecke benutzt hatten,
sich Kredite gewährten, wie sie wollten. Sicherheiten habe es praktisch
nicht gegeben. Ein Kunde bzw. eine Kundengruppe darf nach dem
Bankengesetz nur einen maximalen Anteil von 25 Prozent an einem Geldhaus
haben. Die Baugur-FL-Gruppe z.B. hielt aber 57 Prozent an der
Glitnir-Bank. Die Finanzkonzerne manipulierten zudem den Markt, um den
Kurs zu erhöhen: Sie verliehen Geld an Scheinfirmen, die Aktien der
eigenen Bank kauften.
Der Bericht geht an vielen Stellen ins Detail und macht das z.T.
lächerliche Versagen von Politikern und Beamten und die unglaubliche
Dreistigkeit der Oligarchen und des Gurus der Neoliberalen, David
Oddsson, öffentlich. Vieles davon könnte die seit dem 1. Februar 2009
arbeitende 14-köpfige Sonderstaatsanwaltschaft für Anklagen verwenden.
Die ersten Beschuldigten zogen bereits am Montag Konsequenzen. Björgvin
G. Sigurdsson war in den zwei Jahren vor dem Crash Wirtschaftsminister.
Jetzt trat er von seinem Amt als Kovorsitzender der Sozialdemokraten
zurück. Björn Ingi Hrafnsson wird im Bericht unlauterer Geschäfte
bezichtigt. Er trat »vorläufig« von seiner Position als Herausgeber
einer Zeitung zurück. Oddsson war nicht der erste, der flüchtete -
einige der Oligarchen wurden schon lange nicht mehr in ihrem Heimatland
gesehen.
* Aus: junge Welt, 14. April 2010
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