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EU abgewählt

Island: Liberale und Konservative lösen Sozialdemokraten und Linksgrüne ab. Brüssel-freundliche Politik des bisherigen Kabinetts entscheidend für Regierungswechsel *

Island steht nach der Parlamentswahl vom Sonnabend vor einem Regierungswechsel. Stärkste Kraft wurde dem am Sonntag veröffentlichten Endergebnis zufolge die liberal-konservative Unabhängigkeitspartei (XD) mit 26,7 Prozent. Damit hat deren Vorsitzender Bjarni Benediktsson die besten Aussichten, Ministerpräsident zu werden. Die bisherige Regierungschefin Johanna Sigurdardottir erlitt dagegen eine herbe Niederlage. Ihre Sozialdemokraten rutschten von 29,8 auf 12,9 Prozent ab, die Linksgrünen (VG) von 21,7 auf 10,9 Prozent. Vor allem eine als ungerechnet empfundene Verteilung der Krisenlasten und das Streben nach einem EU-Beitritt wurden von den Wählern offenbar abgestraft.

Die Insel im Nordatlantik mit ihren 320000 Einwohnern hatte sich vor zehn Jahren zu einem europäischen Finanzzentrum entwickelt, das vor allem Anleger aus Großbritannien und den Niederlanden anlockte. Doch in der Finanzkrise brach auch Islands Bankensektor zusammen. Die Institute Landsbanki, Kaupthing und Glitnir kollabierten kurz nacheinander und brachten das Land im Oktober 2008 an den Rand der Staatspleite. Mit einer harten Kürzungspolitik, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) als beispielhaft gewürdigt wurde, gelang es, das Land aus der Krise zu führen. Doch die Streichungen und der nachsichtige Umgang mit den ausländischen Gläubigern kostete die sozialdemokratisch-linksgrüne Koalition Popularität.

Das galt auch für den eingeschlagenen Kurs auf einen EU-Beitritt, der Umfragen zufolge von 60 Prozent der Isländer abgelehnt wird. »Daß die Sozialdemokraten für die EU sind, ist nicht überraschend«, erklärte in der dänischen Tageszeitung Arbejderen Johannes Pilgaard, der in Dänemark Funktionär des Gewerkschaftsbundes SID war und seit fünf Jahren in Island lebt. Ihn überrasche allerdings, daß die Linksgrünen nicht entsprechend der Meinung ihrer Basis klar Stellung gegen die EU bezogen, sondern nur auf ein Referendum verwiesen hätten, das nach Abschluß der Verhandlungen mit Brüssel durchgeführt werden sollte.

Der VG-Europaabgeordnete Arni Thor Sigurdsson erklärte im Gespräch mit Arbejderen hingegen, die EU habe im Wahlkampf keine so zentrale Rolle gespielt, wie dies nun den Anschein habe. Zudem verteidigte er die Sozialpolitik der Regierung. Die Arbeitslosigkeit sei von 9,5 auf 4,5 Prozent gesunken, die Inflation von 20 auf fünf Prozent zurückgegangen.

Zugleich räumte er ein, daß viele Familien Schwierigkeiten damit hätten, die Hypotheken auf ihre Wohnungen abzuzahlen. Diese Frage sei in der letzten Wahlkampfphase zentral geworden, nachdem die liberale Fortschrittspartei, der wahrscheinliche Koalitionspartner der XD, versprochen hatte, die Schulden für alle entsprechenden Darlehen um 20 Prozent zu kürzen. Sigurdsson ist sich allerdings sicher, daß dieses Wahlversprechen schnell vergessen wird: »Sie haben schon jetzt große Probleme zu erklären, wie sie das finanzieren wollen.«

Wahlsieger Benediktsson versprach einen Kurswechsel. »Wir bieten einen anderen Weg, der zu Wachstum, zu sozialer Sicherheit, mehr Sozialleistungen und mehr Arbeitsplätzen führt«, sagte der 43jährige frühere Fußballprofi der Nachrichtenagentur Reuters. Seine Partei wolle die Steuern senken und den Lebensstandard erhöhen. Zudem kündigte er harte Verhandlungen mit den ausländischen Gläubigern der zusammengebrochenen Banken an. Diese müßten sich auf erhebliche Abschreibungen einstellen.

* Aus: junge Welt, Montag, 29. April 2013


Spaltender Sparkurs

Von Katja Herzberg **

Europa steckt in der Krise - das ist keine neue Erkenntnis. Doch wer bisher dachte, es handele sich bloß um eine wirtschaftliche Krise mit immensen Auswirkungen auf den Lebensstandard vieler Bürger, wird mehr und mehr eines Besseren belehrt. Der Sieg für die Anti-EU-Parteien bei den Parlamentswahlen auf Island am Wochenende ist ein Schlag ins Gesicht der EU-Mitglieder und ihres Sparkurses.

Die Isländer haben gerade erst ihre Krise weitgehend überwunden. Auf spanische oder griechische Verhältnisse können sie da getrost verzichten und wollen lieber ganz der EU fernbleiben. Die rot-grüne Regierung verlangte breiten Teilen der Bevölkerung mit Abgabenerhöhungen und der Abwertung der isländischen Krone genug Opfer ab. Weitere sehen viele Isländer durch einen EU-Beitritt drohen. Ein Sparschwein ist derzeit noch eine wohlwollende Verbildlichung einer Union, in der Griechenland, Spanien oder Zypern gegen den Staatsbankrott ankämpfen und allein dabei unterstützt werden, den Sozialstaat abzuschaffen.

Am Spardiktat rüttelte bislang auch die französische Regierung unter François Hollande nicht. Statt die Mutter des EU-Krisenmanagements, Angela Merkel, unter Druck zu setzen, debattiert er mit seiner Parteibasis. Selbst dass Italien zwei Monate nach seiner Wahl einen neuen Regierungschef hat, der dem Sparkurs kritisch gegenüber steht, lässt auf keinen Politikwechsel auf EU-Ebene hoffen. Vor allem da völlig offen ist, wie lange die große Koalition in dem gespaltenen Land überhaupt amtiert.

** Aus: neues deutschland, Montag, 29. April 2013 (Kommentar)


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