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Das Trauma von Tuwaitha

Vor 25 Jahren zerstörten israelische Kampfjets Iraks Atomzentrum

Von Karin Leukefeld*

In den frühen Abendstunden des 7. Juni 1981 näherten sich acht F-16 Kampfjets der kleinen irakischen Stadt Tuwaitha. Es waren israelische Militärflugzeuge, die kurz zuvor in geheimer Mission gestartet waren. Ihr Auftrag: Die Zerstörung des Forschungsreaktors im Atomzentrum Osirak. Tuwaitha liegt rund 50 Kilometer südöstlich von Bagdad am Tigris. Mit Hilfe Frankreichs hatte Irak dort ein Atomforschungszentrum errichtet, dessen Hauptelement der Forschungsreaktor Osirak war. Man war stolz auf das Atomprogramm, vom Bau von Kernwaffen aber waren die Wissenschaftler im Forschungszentrum von Tuwaitha noch weit entfernt.

Der israelische Staat sah das anders; der damalige Ministerpräsident Menachem Begin hatte den Angriff angeordnet. Als die Kampfjets innerhalb weniger Sekunden ihre zerstörerische Fracht über dem irakischen Atommeiler entluden, ging im Westen gerade die Sonne unter, erinnerte sich einer der israelischen Piloten im Gespräch mit der britischen BBC. Für die Militärs war der Angriff ein Akt der »Selbstverteidigung«, ein Präventivschlag. Das Atomwaffenprogramm Bagdads habe Israel bedroht, die Zerstörung des Reaktors das jüdische Volk vor einem neuen Holocaust gerettet, so einer der Piloten.

Imad Khaddouri, der damals in Tuwaitha im Rahmen des Atomprogramms arbeitete, wohnte rund 20 Kilometer von der Forschungsanlage entfernt, doch die heftige Explosion war selbst dort noch zu hören. Vom Dach sah er die Rauchsäule über Tuwaitha und die abdrehenden Kampfjets, die in Richtung Westen davon jagten. Das heftige Luftabwehrfeuer der irakischen Armee kam zu spät. Nach offiziellen Angaben kamen bei dem Angriff zehn irakische Soldaten und ein französischer Wissenschaftler ums Leben. Die israelischen Piloten indes kehrten als Helden und unversehrt zu ihrem Stützpunkt zurück.

Der UN-Sicherheitsrat verurteilte den Angriff einstimmig als Verstoß gegen das Völkerrecht. Das irakische Atomprogramm sei legal entwickelt worden, Irak habe den Vertrag über die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen unterzeichnet und unterliege der Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Auch die USA-Regierung verurteilte damals den israelischen Angriff. Heute gehören dagegen so genannte militärische Präventivschläge auch für Washington zum Instrumentarium der Außenpolitik.

Jahr für Jahr erinnert das israelische Militär in einer Feierstunde an die Zerstörung des irakischen Atommeilers. Wäre Osirak damals nicht zerstört worden, hätte Irak mit Sicherheit zehn Jahre später über Atomwaffen verfügt, so Ephraim Kam vom Jaffee Zentrum für strategische Studien (Tel Aviv). Dann wären weder der Golfkrieg 1991 noch der Krieg 2003 zu führen gewesen.

Imad Khaddouri, der heute in Kanada lebt, weist solche Aussagen zurück. Man habe zum Zeitpunkt des israelischen Luftangriffs »ein bisschen in Richtung Bombe« herumgeforscht, meint er. Doch sei man weit von einer ernsthaften Entwicklung entfernt gewesen. Nach dem Angriff allerdings habe die irakische Regierung unter Saddam Hussein alle notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt, um »die Bombe« zu bauen. Bis 1991 sei intensiv daran gearbeitet worden, und zwar »aus vollem Herzen«, wie Khaddouri betont. Der irakische Nationalstolz war nach dem Überfall auf das Forschungszentrum in Tuwaitha zutiefst verletzt, der völkerrechtswidrige Angriff Israels wirkte als Initialzündung für die Realisierung des irakischen Atomwaffenprogramms.

In Sachen iranisches Atomprogramm hält Israel sich offiziell zurück. Heute sind es die USA-Administration und europäischen Staaten, die sich vor Israel stellen und ständig von der Gefahr einer iranischen Atombombe sprechen. Beweise für deren Entwicklung gibt es nicht. Im Gegenteil, erst vor wenigen Tagen erklärte IAEA-Chef Mohamed ElBaradei bei einem Vortrag in den USA, Iran sei technologisch »noch Jahre von der Bombe entfernt«.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Juni 2006


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