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"Jerusalem ist keine Siedlung. Jerusalem ist unsere Hauptstadt"

Der israelische Ministerpräsident Netanjahu sprach vor der größten Pro-Israel-Lobby in den USA

Am 22. März hielt der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine vielbeachtete Rede vor der größten amerikanischen Israel-Lobbygruppe AIPAC (The American Israel Public Affairs Committee - America's Pro-Israel Lobby). Damit stimmte er sich und die Öffentlichkeit auf sein bevorstehendes Gespräch mit US-Präsident Obama am folgenden Tag ein. Unverhohlener konnte Netanjahu den Kurs der israelischen Hardliner nicht vertreten. Für die Fortsetzung eines vernünftigen, auf Ausgleich mit den Palästinensern bedachten Friedensprozesses gab es in der Rede kaum Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Klipp und klar wurde der israelische Standpunkt aufrecht erhalten, ganz Jerusalem sei die unteilbare Hauptstadt Israels, womit sich Netanjahu nicht nur gegen das Völkerrecht und zahlreiche UN-Resolutionen, sondern auch gegen den "offiziellen" Kurs der US-Administration und ihres Nahost-Beauftragten George Mitchell stellte. Die Rede appellierte außerdem an die westliche Welt, dem Treiben des Iran ("fanatisches Regime", "militanter Islam" etc.) nicht länger tatenlos zuzusehen.

Im Folgenden dokumentieren wir die Rede Netanjahus im vollen Wortlaut in einer von der israelischen Botschaft zur Verfügung gestellten deutschen Übersetzung.
Im Anschluss daran ein Artikel sowie ein Kommentar, die sich beide auf die politischen Implikationen der Rede Netanjahus beziehen (Netanjahu will weiter siedeln).


Netanyahu bei der AIPAC-Konferenz: Jerusalem ist keine Siedlung sondern unsere Hauptstadt

Sehr geehrte Regierungsmitglieder, Senatoren, Kongressmitglieder, Verteidigungsminister Ehud Barak, Minister Uzi Landau, Botschafter Michael Oren, Vorsitzende von AIPAC, sehr geehrte Damen und Herren,

angesichts der Tatsache, dass die Welt monumentalen Herausforderungen gegenübersteht, weiss ich, dass Amerika und Israel ihnen gemeinsam begegnen. Wir stehen zusammen, weil wir von den gleichen Idealen angetrieben werden und vom selben Traum inspiriert sind – dem Traum von Sicherheit, Wohlstand und Frieden. Vor einem Jahrhundert war dieser Traum für viele Juden unmöglich.

Diesen Monat beging mein Vater seinen hundertsten Geburtstag. Als er geboren wurde, herrschte der Zar in Russland, das Britische Imperium hat den Globus umspannt und die Ottomanen haben den Nahen Osten regiert. Während seines Lebens sind all diese Imperien zusammengebrochen, andere sind aufgestiegen und wieder zusammengestürzt und das jüdische Schicksal hat sich von Verzweiflung zu einer neuen Hoffnung gewendet – der Wiedergeburt des jüdischen Staates. Zum ersten Mal in 2000 Jahren kann sich das jüdische Volk selbst gegen Angriffe verteidigen.

Davor waren wir unendlicher Barbarei ausgesetzt: dem Blutvergießen des Mittelalters, der Vertreibung der Juden aus England, Spanien und Portugal, das Abschlachten der Juden in der Ukraine, den Pogromen in Russland und es endete in der Steigerung zum Bösesten überhaupt – dem Holocaust.

Die Gründung des Staates Israel hat nicht die Angriffe auf Juden beendet. Sie hat nur den Juden die Kraft gegeben, sich dagegen zu wehren.

Wieder und wieder musste sich die israelische Armee Angriffen von viel größeren Gegnern zur Wehr setzen, die Israel zerstören wollten. Als Ägypten und Jordanien erkannten, dass sie uns durch Krieg nicht bekämpfen können, haben sie den Weg des Friedens eingeschlagen.

Es gibt aber noch jene, die weiterhin den Kampf gegen den jüdischen Staat führen und offen zu unserer Zerstörung aufrufen. Sie versuchen dies durch Terror, Raketen, und zuletzt durch das Anstreben von Atombomben zu erreichen.

Die Ansiedlung des jüdischen Volkes im Staat Israel schreckt diese Fanatiker nicht ab, es regt eher ihren Appetit an. Irans Führer sagen „Israel ist ein Ein-Atombomben-Land“. Der Führer der Hisbollah sagt „Wenn die Juden alle in Israel versammelt sind, erspart es uns, sie auf der ganzen Welt zu verfolgen.“ Meine Freunde, das sind unschöne Fakten, aber Fakten.

Die größte Bedrohung für irgendein Lebewesen oder eine Nation ist, Gefahr nicht rechtzeitig zu erkennen. Vor fünfundsiebzig Jahren haben viele Staatsführer ihren Kopf in den Sand gesteckt. Millionen Menschen starben im Krieg, der darauf folgte. Letztendlich haben zwei der größten Staatsmänner - Franklin Delano Roosevelt und Winston Churchill - geholfen, die Welt zu retten. Aber sie waren zu spät, um sechs Millionen Menschen von meinem Volk zu retten.

Die Zukunft des jüdischen Staates darf niemals von dem guten Willen selbst der größten Menschen der Welt abhängig sein. Israel muss immer das Recht bewahren, sich selbst zu verteidigen.

Heute zeichnet sich eine beispiellose Gefahr für die Menschheit ab. Ein radikales iranisches Regime, ausgerüstet mit nuklearen Waffen, könnte ein Ende für die Ära des nuklearen Friedens bedeuten, den die Welt in den letzten 65 Jahren erlebte. Solch ein Regime könnte Terroristen mit Nuklearwaffen versorgen und selbst geneigt sein, sie zu benutzen. Unsere Welt wäre niemals mehr wie zuvor. Irans schamlose Ankündigung nukleare Bomben zu entwickeln ist zu allererst als Drohung gegen Israel zu verstehen, aber es ist auch eine ernste Bedrohung der Region und der Welt.

Israel erwartet von der internationalen Gemeinschaft, sich schleunigst und entschieden dieser Gefahr in den Weg zu stellen. Aber wir werden immer unser Recht auf Selbstverteidigung bewahren.

Wir müssen uns aber auch gegen Lügen und Verunglimpfungen wehren. In der Geschichte haben die Verunglimpfungen der Juden immer zu physischen Angriffen gegen uns geführt und wurden dafür genutzt, diese Angriffe gegen uns zu rechtfertigen. Die Juden wurden die Brunnenvergifter der Menschheit genannt, die Anstifter zu Instabilität, die Quelle allen Übels unter der Sonne.

Leider haben diese hetzerischen Angriffe gegen Juden nicht mit der Gründung des Staates Israel aufgehört. Eine Zeit lang wurde offener Antisemitismus zurückgehalten angesichts der Scham und des Schocks über den Holocaust. Aber nur eine Zeit lang. In den letzten Jahrzehnten hat der Hass gegen Juden wieder zunehmend an Stärke gewonnen, aber mit einer heimtückischen Wendung. Er ist nicht mehr nur gegen das jüdische Volk gerichtet, sondern zunehmend gegen den jüdischen Staat. In seiner schädlichsten Form argumentiert er, dass wenn nur Israel nicht existiere, viele der Probleme dieser Welt verschwinden würden.

Heißt das, dass Israel über jede Kritik erhaben ist? Natürlich nicht. Israel, wie jede andere Demokratie, hat seine Unzulänglichkeiten, aber wie sind bemüht, sie durch Debatte und Untersuchung zu korrigieren. Israel verfügt über unabhängige Gerichte, Rechtsstaatlichkeit, eine freie Presse und eine lebhafte parlamentarische Debatte – glauben Sie mir, sie ist sehr lebhaft.

Aber Israel sollte nach den gleichen Standards beurteilt werden, die für alle Nationen gelten und Beschuldigungen gegenüber Israel sollten auf Fakten basieren. Eine Beschuldigung, die dies zum Beispiel nicht tut, ist die, dass die Juden in ihrem Heimatland fremde Kolonialisten seien, eine der größten Lügen der modernen Zeit.

Die Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und dem Staate Israel ist nicht von der Hand zu weisen. Die Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und Jerusalem ist nicht zu leugnen. Das jüdische Volk hat vor 3.000 Jahren in Jerusalem gebaut, und das jüdische Volk baut heute in Jerusalem.

Jerusalem ist keine Siedlung. Jerusalem ist unsere Hauptstadt.

In Jerusalem behält meine Regierung die Politik aller israelischen Regierungen seit 1967 bei. Dazu gehören die Regierungen unter Golda Meir, Menachem Begin und Yitzhak Rabin. Heute leben fast eine viertel Million Juden - annähernd die Hälfte der jüdischen Bevölkerung der Stadt - in Stadtteilen, welche unmittelbar hinter den Waffenstillstandslinien von 1949 liegen. All diese Stadtteile sind mit dem Auto fünf Minuten von der Knesset entfernt. Sie sind ein integraler und unentwirrbarer Teil des modernen Jerusalems. Jeder weiß, dass diese Stadtteile in jedem abgeschlossenen Friedensvertrag zu Israel gehören werden. Deshalb bedeutet es, dort nicht zu bauen, die Möglichkeit einer Zweistaatenlösung unmöglich zu machen.

Nichts ist im Nahen Osten seltener als die Toleranz für den Glauben der anderen. Nur unter israelischer Souveränität ist in Jerusalem die religiöse Freiheit aller Glaubensrichtungen garantiert. Während wir unsere Heimat in Ehren halten, anerkennen wir gleichzeitig, dass dort auch Palästinenser leben. Wir möchten sie nicht regieren. Wir möchten ihnen nichts vorschreiben. Wir möchten sie als Nachbarn, die in Sicherheit, Würde und Frieden leben. Und doch wird Israel ungerechtfertigt beschuldigt, nicht in Frieden mit den Palästinensern leben zu wollen. Nichts könnte der Wahrheit ferner stehen.

Meine Regierung hat dauerhaft in Worten und Taten gezeigt, dass sie dem Frieden verpflichtet ist. Vom ersten Tag an haben wir die Palästinensische Autonomiebehörde aufgerufen, ohne Verzögerung in Friedensverhandlungen mit uns zu treten. Ich mache denselben Aufruf heute. Präsident Abbas, kommen Sie und verhandeln Sie über den Frieden. Führungspersönlichkeiten, die ernsthaft Frieden wollen, sollten von Angesicht zu Angesicht zusammen sitzen.

Natürlich können die USA den Verhandlungsparteien helfen, ihre Probleme zu lösen. Sie können aber nicht die Probleme für die Parteien lösen. Frieden kann nicht von außen auferlegt werden. Er kann nur durch direkte Verhandlungen erzielt werden, in denen wir gegenseitiges Vertrauen aufbauen.

Im vergangenen Jahr sprach ich über eine Friedensvision, in der ein entmilitarisierter palästinensischer Staat den jüdischen Staat anerkennt. So, wie die Palästinenser von Israel erwarten anerkannt zu werden, erwarten wir von den Palästinensern, den jüdischen Staat anzuerkennen.

Meine Regierung hat hunderte von Straßenblockaden, Absperrungen und Checkpoints entfernt, um den Palästinensern die Fortbewegung zu erleichtern. Als Resultat haben wir geholfen, die palästinensische Wirtschaft anzukurbeln (Cafés, Restaurants, Unternehmen, sogar Mulitplex-Kinos). Und wir haben ein beispielloses Moratorium zum israelischen Bauen in Judäa und Samaria verabschiedet.

Das ist, was meine Regierung für den Frieden getan hat. Was hat die Palästinensische Autonomiebehörde für den Frieden getan? Nun, sie hat Vorbedingungen an die Friedensgespräche gestellt, führte eine unerbitterte internationale Kampagne, um Israels Legitimität zu untergraben, und verbreitete den notorischen Goldstone-Bericht, welcher Israel fälschlicherweise beschuldigt, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Genauer gesagt, findet diese Verbreitung zu diesem Zeitpunkt bei der UN statt, in einem Gremium, das grotesker Weise UN Menschenrechtsrat heißt.

Leider macht die Palästinensische Autonomiebehörde auch weiterhin Stimmung gegen Israel. Vor einigen Tagen wurde ein öffentlicher Platz in Ramallah nach einer Terroristin benannt, die 37 israelische Zivilisten umgebracht hatte - darunter 13 Kinder. Die Palästinensische Autonomiebehörde hat nichts dagegen unternommen.

Frieden verlangt Gegenseitigkeit. Er kann keine Einbahnstraße sein, in der nur Israelis Zugeständnisse machen. Israel ist bereit, die für einen Frieden nötigen Kompromisse zu machen. Aber wir erwarten von den Palästinensern ebenfalls Kompromissbereitschaft. Es gibt nur eine Sache, in der wir nie zu Kompromissen bereit sein werden - unsere Sicherheit.

Ein Friedensabkommen mit den Palästinensern muss effektive Sicherheitsabsprachen vor Ort beinhalten. Israel muss sicher sein, dass das, was im Libanon und im Gaza-Streifen geschehen ist, nicht wieder in der Westbank geschehen wird.

Israels größtes Sicherheitsproblem mit dem Libanon ist nicht die Grenze zum Libanon. Es ist die libanesische Grenze zu Syrien, über die der Iran und Syrien zehntausende Waffen der Hisbollah schmuggelt.

Israels größtes Sicherheitsproblem mit Gaza ist nicht die Grenze zum Gaza-Streifen. Es ist die Grenze von Gaza zu Ägypten, unter der annähernd 1.000 Tunnel gegraben wurden, um Waffen zu schmuggeln. Die Erfahrung lehrt uns, dass nur die Anwesenheit von Israel dem Waffenschmuggel vorbeugen kann. Das ist der Grund, warum ein Friedensvertrag mit den Palästinensern die israelische Präsenz an der östlichen Grenze eines zukünftigen palästinensischen Staates beinhalten muss.

Wenn sich der Frieden mit den Palästinensern als dauerhaft erweist, können wir die Sicherheitsabsprachen neu überdenken. Wir sind bereit, Risiken für den Frieden einzugehen, aber wir werden nicht waghalsig mit dem Leben unserer Bürger und der Existenz des einzigen jüdischen Staates umgehen.

Die Bürger Israels möchten eine Zukunft, in der unsere Kinder die Grauen des Krieges nicht mehr erleben müssen. Wir möchten eine Zukunft in der Israel sein volles Potenzial als globales Technologiezentrum ausschöpfen kann, gebunden an seine Werte und den Frieden mit seinen Nachbarn.

Ich habe die Vision von einem Israel, das noch mehr von seiner Kreativität und naturwissenschaftlichen Talent dafür aufwenden kann, große Herausforderungen dieser Tage zu lösen. Eine der wichtigsten ist die, eine saubere und preiswerte Alternative zum Öl zu finden. Und wenn wir diese Alternative gefunden haben, werden wir aufhören Hunderte von Milliarden Dollar an radikale Regime zu überweisen, die Terrororganisationen unterstützen.

Unsere und Ihre Soldaten kämpfen gegen fanatische Regime, die unsere gemeinsamen Werte verabscheuen. In den Augen dieser Fanatiker sind wir Sie und Sie sind wir. Der einzige Unterschied in ihren Augen ist, dass Sie groß sind und wir klein. Sie sind der große Satan, wir sind der kleine Satan. Dieser fanatische Hass gegenüber westlichen Zivilisationen bestand schon über tausend Jahre vor der Gründung Israels.

Der militante Islam hasst den Westen nicht wegen Israel. Er hasst Israel wegen des Westens; weil er Israel als Außenstelle von Freiheit und Demokratie sieht, die seine Ausbreitung im Nahen Osten verhindert. Das bedeutet, dass Israel, wenn es einem Feind gegenübersteht, einem Feind Amerikas gegenüber steht.

Harry Truman, der erste Präsident, der Israel anerkannte, sagte Folgendes: "Ich habe Vertrauen in Israel und ich glaube an seine große Zukunft - nicht nur als eine weitere souveräne Nation, sondern als die Verkörperung der großen Ideale unserer Zivilisation."

Rede des Ministerpräsidenten Binyamin Netanyahu auf der AIPAC Konferenz in Washington (USA), 22.03.2010
Original-Rede in englischer Sprache:
http://www.mfa.gov.il/MFA/Government/Speeches+by+Israeli+leaders/2010/PM_Netanyahu_AIPAC_Conference_22-Mar-2010.htm




Netanjahu will weiter siedeln

Hinter Washingtons verschlossenen Türen ging es um die Zukunft des Nahostdialogs **

Israels Ministerpräsident Netanjahu hat den geplanten Bau neuer Siedlungen in Ost-Jerusalem verteidigt. Jerusalem sei keine Siedlung, sondern Israels Hauptstadt, betonte Netanjahu am Montagabend (22. März) in Washington vor einem Treffen mit US-Präsident Obama.

Die Pläne zum Bau weiterer Siedlungen in Jerusalem bleiben Streitpunkt zwischen Israel und den USA. Unmittelbar vor einem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama am Dienstagabend (23. März) verteidigte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Baupläne im seit dem Juni-Krieg von 1967 okkupierten Ostteil der Stadt. »Jerusalem ist keine Siedlung, es ist unsere Hauptstadt«, erklärte er in einer Rede vor der amerikanischen Israel-Lobbygruppe AIPAC in Washington.

Die Juden hätten Jerusalem vor 3000 Jahren gebaut und würden das auch weiterhin tun, betonte Netanjahu am Montag (22. März) vor Tausenden AIPAC-Delegierten und Gästen. Die »jüdischen Viertel« in Jerusalem seien zusammengehörige Teile der Stadt, die im Fall jeder Friedenslösung in Besitz Israels blieben. Seiner Regierung sei durchaus bewusst, dass auch Palästinenser dort lebten. »Wir wollen sie nicht regieren. Wir wollen, dass sie dort als unsere Nachbarn in Würde und Frieden leben«, sagte Netanjahu.

Er wolle Friedensverhandlungen. Frieden könne nicht von außen kommen, sondern nur durch direkte Gespräche, um Vertrauen aufzubauen. »Präsident Abbas, kommen Sie und verhandeln Sie über den Frieden«, forderte Netanjahu die Palästinenserführung unter Mahmud Abbas von Washington aus auf.

Netanjahu betonte die »engen Verbindungen zu den USA«. Er sei zuversichtlich, dass sein Land eine »bleibende Freundschaft« zu den Vereinigten Staaten habe. US-Außenministerin Hillary Clinton hatte zuvor Kritik am Ausbau der Siedlungen geübt. Obama hatte über seinen Sprecher Robert Gibbs erklären lassen: »Unser Ziel ist es, eine Atmosphäre des Vertrauens und einen offenen Dialog zu schaffen, um beide Seiten zusammenzubringen.« Er habe die Hoffnung, dass das Gespräch zu fruchtbaren Verhandlungen führe. Sein Treffen mit Netanjahu sollte am Abend des 23. März hinter verschlossenen Türen im Weißen Haus stattfinden.

Die Pläne zum Bau weiterer 1600 Wohnungen im von Israel ebenfalls als Teil seines Staatsgebiets beanspruchten palästinensischen Viertel Jerusalems waren während eines Israel-Besuchs des amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden bekannt geworden; ob mit Berechnung oder – wie von israelischen Regierungskreisen und Medien dargestellt – als mehr oder weniger zufällig zu diesem Zeitpunkt bekannt gegebene Ungeschicklichkeit bleibt dahingestellt. Auf jeden Fall wird seitdem auch im Weißen Haus von einer diplomatischen Krise zwischen beiden Staaten gesprochen.

Erklärte US-Politik ist es, als Teil des internationalen Nahostquartetts dabei helfen zu wollen, den festgefahrenen Friedensprozess in der Region anzukurbeln. Dem Quartett gehören neben den USA die EU, Russland und Vertreter der Vereinten Nationen an. Es wurde 2002 auf Anregung Spaniens angesichts der eskalierenden Gewalt zwischen Israel und den Palästinensern ins Leben gerufen, entfaltete aber in der Amtszeit des US-Präsidenten George W. Bush kaum praktische Aktivitäten für einen Friedensprozess. Derzeit hält sich der amerikanische Sondergesandte George Mitchell in der Region auf, um dort indirekte Verhandlungen mit Spitzenpolitikern beider Seiten in Gang zu bringen.

Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle verlangte von Israel ein Ende des Siedlungsbaus in Ost-Jerusalem und den besetzten Palästinenser-Gebieten. Er sagte am Dienstag im Deutschlandfunk: »Wir sind der Überzeugung, dass die jüngsten Siedlungsentscheidungen in Ost-Jerusalem den vernünftigen Prozess im Nahen Osten behindern.« Das »Einfrieren der Siedlungsaktivitäten« sei Voraussetzung für eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und Palästinensern.

* Aus: Neues Deutschland, 24. März 2010


Entscheidende Frage

Von Roland Etzel **

Im Nahostkonflikt sind die Fronten festgenagelt. Seit dem förmlichen Ende des israelisch-palästensischen Dialogs vor zehn Jahren hat es in keiner der substanziellen Streitfragen auch nur einen Schritt vorwärts gegeben. Im Gegenteil. Durch ständige israelische Landnahme in den gegen internationales Recht seit 1967 besetzten Gebieten Ost-Jerusalem und Westjordanland wird die Substanz eines künftigen palästinensischen Staates täglich weiter ausgehöhlt. Deshalb wäre es von grundsätzlicher Bedeutung, dort einen israelischen Baustopp durchzusetzen, denn Israels friedlich-zivile Begriffe wie Wohnungsbau in Ost-Jerusalem und Siedlungsbau auf der Westbank bedeuten nichts anderes als deren Entpalästinisierung.

Das Nahostquartett war von Anfang an ein amerikanisches Solo. Wenn es jetzt erstmals in dieser Deutlichkeit von Israel Baustopp fordert, so deshalb, weil Obama sich zum Konflikt erkennbar anders äußert als sein Amtsvorgänger. Er sieht wohl: Jede Aufforderung zu Verhandlungen über die Aufteilung eines Kuchens würde als heuchlerisch erkannt, wenn es einer Seite gestattet ist, sich noch vor deren Beginn immer neue Stücke herauszuschneiden.

Daran, welche Aktivität die USA hier entfalten, werden sie künftig wesentlich gemessen werden – in der arabischen Welt, im Trikont und überhaupt in ihrer Fähigkeit, irgendwo als ehrliche Makler aufzutreten.

** Aus: Neues Deutschland, 24. März 2010 (Kommentar)


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