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Israel: Wer braucht Frieden?

Die Antwort auf den historischen Vorschlag der arabischen Staaten blieb bisher aus

Von Zvi Schuldiner, Jerusalem *

Als sich vor dreissig Jahren der damalige ägyptische Präsident Anwar as-Sadat zu seinem historischen Besuch in Israel entschloss und am 19. November 1977 nach Jerusalem kam, waren hier alle auf der Strasse - überwältigt vom Gefühl, dass der Traum der kleinen Leute wahr werden könnte: Friede war möglich! Es schien, als ob die jahrzehntelange Ablehnung und Belagerung durch die NachbarInnen, die der Zionismus erfahren hatte, ihr Ende fanden. Friede, das viel gepriesene Ziel von israelischen PolitikerInnen, die nicht viel anderes unternahmen als Krieg, schien in Griffnähe.

Heute ist die historische Erklärung der Liga der Arabischen Staaten von vergangener Woche in Is­rael ein nebensächliches Ereignis. Es gibt nur wenige öffentliche Reaktionen, der unpopuläre Premierminister Ehud Olmert sagt etwas, aber nichts Ernsthaftes geschieht. Dabei haben in Riad die einflussreichsten arabischen Länder das gesagt, was in Israel viele seit Jahren hören wollten, nämlich: Wir akzeptieren euch als Teil dieser Region, wir können uns über einen Frieden verständigen - vorausgesetzt, ihr zieht euch von den im Jahre 1967 besetzten Gebieten, Ostjerusalem inbegriffen, zurück und wir einigen uns über die Frage der palästinensischen Flüchtlinge. Nach einigen Tagen des Schweigens macht Olmert den «revolutionären» Vorschlag, an einem Gipfeltreffen mit arabischen Führern teilzunehmen.

Doch die politischen Kreise in Israel interessieren sich derzeit mehr für Korruption, sexuellen Missbrauch und die Folgen des jüngsten Libanonkriegs. So gibt es kaum ernst zu nehmende Stimmen, die eine seriöse Antwort auf die neuen arabischen Vorschläge verlangen würden. Der rechte Flügel in Israel ist besorgt: Benjamin Netanjahu, inzwischen wieder ein populärer Kandidat für die Nachfolge von Olmert, versucht pragmatisch zu bleiben und hält den arabischen Vorschlag für prüfenswert, die Flüchtlingsfrage jedoch für eine tödliche Gefahr für Israel. Derweil entzieht sich Olmert der wichtigsten Frage dieser Tage - der dringenden Notwendigkeit eines Dialogs mit den PalästinenserInnen.

Dabei hatte einige Wochen zuvor Saudi-Arabien eine schwierige Aufgabe gelöst: Unter seiner Ägide wurde eine palästinensische Einheitsregierung geschaffen - mit der Beteiligung der Hamas. Trotzdem führt Israel mit Unterstützung der USA die Politik der Ablehnung dieser Regierung weiter und leitet die Steuereinnahmen, die laut den

Abkommen von Oslo und Paris den palästinensischen Behörden gehören, nicht weiter. Die wirtschaftliche Situation in den besetzten Gebieten verschlechtert sich ständig, fünfzig Prozent der Menschen im Gasastreifen sind arbeitslos, das Gesundheitswesen bricht zusammen, Hunger verbreitet sich, die Banden agieren ungehindert, und die inneren Kämpfe halten an. All dies wollte der Kompromiss von Mekka beenden.

Dabei wäre die Einheitsregierung die ideale Gelegenheit, um ­demagogische Anti-Hamas-Slogans hinter sich zu lassen und die gemässigten Hamas-Elemente zu stärken. Stattdessen setzt die israelische ­Regierung ihren Boykott fort und verstärkt damit die Not und den Hass in der palästinensischen Bevölkerung.

Die Antwort auf die historische Erklärung von Riad muss die Wiederaufnahme von Verhandlungen sein. Während die Arabische Liga von den Grenzen vor 1967 spricht, baut die israelische Regierung weitere Siedlungen jenseits dieser Grenzen. Premierminister Olmert spricht von Rückzug und Verteidigungsminister Amir Peretz von der Räumung illegaler Siedlungen - rei­ne Lippenbekenntnisse gegenüber der internationalen Öffentlichkeit, es wird nichts davon verwirklicht.

Vor zwei Monaten lehnte US-Präsident George Bush es ab, auf die von der Kommission des früheren US-Aussenministers James Baker geforderte Änderung in der amerikanischen Nahost-Politik einzugehen. Er zog die harte Linie vor, während seine arabischen Verbündeten deutlich realistischer sind und sehen, wie sehr die Verschlechterung der Lage in Irak und in Palästina die ganze Region bedroht, wie sehr die US-Politik den fundamentalistischen Tendenzen AnhängerInnen zuspielt, die ihre Regimes gefährden.

Die Veränderungen im Nahen Osten sind ernst, die Spannungen wachsen weiter - und immer noch verharrt die israelische Politik in der Verweigerung. Statt nette Worte über friedliche Absichten zu verlieren, statt andauernd vor den Bösen dieser Welt zu warnen, die den Naziplan wiederholen wollen, sollte Israel sich endlich fragen, ob es seine seit vierzig Jahren verfolgte Eroberungspolitik fortsetzen kann. Der arabische Vorschlag verlangt nicht nur Antworten auf territoriale Fragen, sondern tiefer gehende Überlegungen; Israel müsste sich als Teil der Region verstehen und nicht als die Speerspitze der Interessen des «zivilisierten Westens». Und er anerkennt, dass der wichtigste Schritt im Dialog mit dem Feind besteht und nicht in der Suche nach VerräterInnen in seinen Reihen.

* Aus: Die Wochenzeitung WOZ, 5. April 2007

"Verzicht auf alle Kernwaffen in der Region"

Auf jeden Fall täte man im Westen wie in Israel gut daran, das Signal aus Riad als notwendige und derzeit wohl einzig mögliche Form einer symbolischen Politik der arabischen Welt zu betrachten, die es verdient, ernst genommen zu werden. Allein schon deshalb, weil die saudische Regierung dringend als ein Moderator gebraucht wird, sollte der Konflikt zwischen Washington und Teheran eskalieren. Dass König Abdallah eine Militärintervention gegen den Iran ablehnt - obwohl er davon profitieren könnte, würde der schiitische Rivale in Teheran geschwächt - deutet gleichfalls darauf hin, dass Saudi-Arabien strategische Verantwortung im Interesse der Araber übernehmen will. Warum sonst wurde auf diesem Arabischen Gipfel ein Ausweg aus dem Atomkonflikt beschworen, der einen Verzicht auf alle Kernwaffen in der Region als einzig denkbare Lösung bezeichnet? Damit sind die israelischen Potenziale gemeint, über die im Westen niemand reden will.
Alle 32 Resolutionen dieses Arabischen Gipfels wurden im Übrigen zum ersten Mal nicht nur mündlich verlautbart, sondern auch veröffentlicht. Ein Novum bei einem Treffen dieser Art und ein Indikator dafür, wie sich mit den Zeiten auch die Gepflogenheiten ändern.

Auszug aus dem Kommentar "Mehr Rebell als Vasall" von Sabine Kebir; in: Freitag 14 vom 6. April 2007




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