Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Keine Entwarnung für Magher al Abed

Israels Militär will palästinensische Bewohner aus ihren Dörfern vertreiben, um ein Übungsgelände zu schaffen

Von Oliver Eberhardt *

Israels Militär will acht Dörfer im Westjordanland räumen, um das Gelände als Schießplatz zu benutzen. Der Oberste Gerichtshof hat das vorläufig untersagt. Aufatmen können die Bewohner dennoch nicht: Die Armee versucht sie nun einzuschüchtern.

Die Soldaten kamen am Morgen in das südlich von Hebron gelegene Magher al Abed. Die Kinder hatten sich gerade auf den Weg zur Schule in der Stadt gemacht. »Sie haben alle kon-trolliert, alles durchsucht, Fotos gemacht - besonders von Solaranlagen und Strommasten«, sagt ein Reporter, der zufällig Zeuge wurde. »Mein Eindruck ist, dass das Ziel war, Stärke zu zeigen.«

Ist das so? »Wir kommentieren Militäreinsätze grundsätzlich nicht«, erklärt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Doch bei der Vereinigung für Menschenrechte in Israel (ACRI) glaubt man, die Antwort zu kennen: Es sei nicht die erste Operation dieser Art gewesen; im-mer wieder seien in den vergangenen Monaten Soldaten nach Magher al Abed und in die Nachbardörfer entsandt worden. Es wurde durchsucht und fotografiert, ohne dass ein klares Ziel erkennbar war. »Für uns ist sehr deutlich, dass die Menschen dort eingeschüchtert werden sollen. Sie sollen dazu gebracht werden, freiwillig umzuziehen.«

Denn Magher al Abed und die umliegenden Weiler, zusammen an die 1500 palästinensische Einwohner zählend, sind keine Dörfer, wie man sie kennt: Ihre Bewohner leben traditionell in Höhlen. Die hügelige, recht karge Landschaft, in der sie liegen, erinnert grob an den Süden Libanons und hat deshalb die Aufmerksamkeit des israelischen Militärs geweckt. Die Armee möchte gerne acht der zwölf Dörfer räumen, um dort »Schießgelände 918« einzurichten. Be-reits seit 1999 liefert sie sich deshalb einen Rechtsstreit mit den Bewohnern. Es handle sich um »illegale Landbesetzer« und die Höhlen seien keine Dörfer, so die Begründung.

Der Oberste Gerichtshof in Jerusalem folgte dieser Argumentation nicht und erklärte im Juli zugestellte Räumungsbefehle für ungültig. Auch wenn den Bewohnern das Land nicht gehöre, hätten sie ein Nutzungsrecht. Und auch wenn das Gebiet in der sogenannten »Region C« liegt, also jenem Teil des Westjordanlands, in dem laut Osloer Übereinkünften Israel bis zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages die Hoheit hat, habe der israelische Staat nicht das Recht, solche Nutzungsrechte (die sich aus einstigem osmanischem Recht ergeben) zu enteignen.

Eine Niederlage für das Militär - und dennoch keine Entwarnung für die Betroffenen. Schon im Jahr 2000, als der Plan für »Schießgelände 918« entwickelt wurde, hatte das höchste israe-lische Gericht seine Realisierung verboten, mit ähnlicher Begründung wie jüngst. Das Militär hatte das Gebiet daraufhin zur Sperrzone erklärt und nur jenen den offiziellen Aufenthalt ge-stattet, die als Kläger in der damaligen Beschwerde aufgeführt waren. Dieser Schritt hatte indes seine Wirkung verfehlt, denn die Menschen sind ausgesprochen hartnäckig und schleu-sen Freunde und Verwandte einfach über die kaum zu überwachenden Hügel.

Um zu verhindern, dass nun auch israelische Soldaten zu Dauergästen werden, haben sich mehrere Menschenrechtsorganisationen erneut an den Obersten Gerichtshof gewandt: Die Richter sollen die Sperrzone aufheben, und vom Militär eine Begründung für die häufigen Operationen verlangen. Mit einer Entscheidung wird in dieser Woche gerechnet.

* Aus: neues deutschland, Montag, 15. Oktober 2012


Zurück zur Israel-Seite

Zur Palästina-Seite

Zurück zur Homepage