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Sicherheitszäune für den Frieden?

Ein alter Plan - neu aufgewärmt

Von Reiner Bernstein, Köln/München

Während die Regierung Ariel Sharons zu Präventiv- und Vergeltungsschlägen gegen Selbstmordattentäter und den palästinensischen Aufruf ausholt, mehren sich in Israel jene Stimmen, die für die sofortige Räumung palästinensischer Gebiete und den Bau von Sicherheitszäunen plädieren; den jüngsten Vorstoß unternahm Israels Staatspräsident Moshe Katzav.

Schon in den Jahren des britischen Mandats wurde im Zionismus mit dem Plan einer "eisernen Mauer" gespielt, um arabische Anschläge im Keim zu ersticken. Später sollte unter dem Eindruck der Shoah ein Staat geschaffen werden, der so jüdisch sein würde, wie England englisch ist. Arabische Fluchtbewegungen wurden ermutigt, erzwungen oder in Kauf genommen. Nach 1967 tauchte die Idee der "jordanischen Option" auf, um ein unabhängiges palästinensisches Gemeinwesen in der Westbank zu verhindern. Dass sie mit Überlegungen eines Transfers großer Teile der palästinensischen Bevölkerung nach Jordanien einherging, machte ihre Protagonisten politisch nicht gerade sympathisch, von der praktischen Undurchführbarkeit einmal abgesehen. Der nach der israelischen Invasion des Libanon errichtete Sicherheitszaun entlang der Grenze hat die "Hisbollah" nicht aufgehalten, so dass Ehud Barak im Frühjahr 2000 den Truppenrückzug befahl.

Mitte der achtziger Jahre vertrat der Jerusalemer Soziologe Meron Benvenisti die Auffassung, dass die "schleichende Annexion" seit 1967 vollendete Tatsachen geschaffen habe und nicht mehr rückgängig zu machen sei. Um das drohende Apartheid-Regime zu verhindern, müsse der Status der vollen Ebenbürtigkeit für das palästinensischen Volk das Ziel sein. Diese Entwürfe sind mit dem Scheitern von Camp David im Sommer 2000 und dem Ausbruch der Al-Aqza-Intifada gründlich gescheitert. Wie das nationalistische Lager in Israel seit langem unter Verweis auf biblische Prämissen die Parole ausgegeben hat, dass das Recht auf Hebron so unbestritten sein müsse wie die Präsenz in Tel Aviv, so argumentieren mittlerweile auch palästinensische Selbstmordattentäter: Für sie ist der Besitz Hebrons genauso wichtig wie die Rückkehr nach Jaffa. Gegen Eiferer auf beiden Seiten zeigen sich elektrische Zäune und selbstschussbewehrte Wälle ohnmächtig.

Auch in der arabischen Gesellschaft Israels gewinnt das Konzept vom "Haus des Islam" an Boden, das jede nicht-moslemische Souveränität ablehnt. Für alle israelische Regierungen wäre die Förderung der Koexistenz mit jenen rund eine Million Menschen das exemplarische Experimentierfeld für die Realisierung des Prinzips politischer Ebenbürtigkeit gewesen. Die Versäumnisse der Vergangenheit werden heute zwar allenthalben beklagt, aber eine grundsätzliche Neuorientierung lässt bis heute auf sich warten. Soll auch den mittlerweile unüberhörbaren Beschwerden und Protesten der arabischen Bevölkerung gegen Vernachlässigung und Diskriminierung mit Mauern und Zäunen in Galiläa, im Kleinen Dreieck und im Negev begegnet werden? Sie würden einen Beleg dafür bieten, dass sich Israel selbst als Fremdkörper in der Region begreift.

Die Funktionstüchtigkeit eines Sicherheitszauns ist so realistisch wie die Quadratur des Kreises. Gewalt und Blutvergießen werden deshalb so lange andauern, bis beide Seite den politischen Willen zu einem Frieden zu erkennen geben, der Absichten zur Entschärfung der Spannungen in einer verfassungsrechtlich verbindlichen Konstruktion bekräftigt und umsetzt. Bis dahin wird die Besinnung auf Wege der Verständigung und des Kompromisses auf sich warten lassen. Von dem US-amerikanischen Lyriker David Frost stammt der in Israel vielfach zitierte Vers, gute Zäune machten gute Nachbarn. Ihre Übertragung auf die Geopolitik eines Landes, in dem die Interaktionsprozesse zweier Völker miteinander in enger Beziehung stehen, ist abwegig.

Der Autor arbeitet als Historiker in der Melanchthon-Akademie Köln und hat zuletzt das Buch "Der verborgene Frieden. Politik und Religion im Nahen Osten" (Berlin 2000) vorgelegt.


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