Jerusalem schweigt, Ramallah handelt
Israel fürchtet Ende der Gaza-Blockade
Von Indra Kley, Jerusalem *
Israel, die »einzige Demokratie im Nahen Osten«, fürchtet die Demokratiebestrebungen seines
Nachbarn. Nach Mubaraks Abgang herrscht in Jerusalem Katerstimmung. Im Westjordanland
hingegen ist die politische Führung rege wie lange nicht mehr: Nach dem Umsturz in Ägypten soll
nun endlich eine neue palästinensische Regierung her.
In einem Punkt sind sich Israelis und Palästinenser in diesen Tagen ausnahmsweise einig: Der
Rücktritt Husni Mubaraks hat beide Parteien in einen tiefen Schock versetzt. Was nun, wenn der
große Bruder in Ägypten fort ist, seine schützende Hand nicht mehr über den Nahen Osten hält? In
Israel weiß man auch am Tag drei nach dem historischen Umsturz noch nicht, wie die neuen
Kräfteverhältnisse bewertet werden sollen.
Das ganze Dilemma wurde in der kurzen Mitteilung deutlich, die das Büro des Ministerpräsidenten
am Sonntag (13. Feb.) als bislang einzige Reaktion auf den Umbruch in Ägypten veröffentlicht hatte: Benjamin
Netanjahu begrüße die Ankündigung des ägyptischen Militärs, dass das Land seine Abkommen mit
Israel weiterhin einhalten werde. Punkt. Für Solidaritätsbekundungen oder gar Glückwünsche zum
Sieg eines Volkes über seinen Despoten hat man in Jerusalem zurzeit keinen Nerv. Zu groß ist die
Angst vor der Kraft aus dem Süden. Zu viel steht auf dem Spiel.
Die Lage ist verzwickt: Eigentlich sollte Israel den Kampf für Demokratie in den arabischen
Nachbarländern unterstützen. Doch fürchtet der jüdische Staat die Folgen, die der Verlust des
starken Verbündeten Ägypten mit sich bringen könnte. Von Beginn der Proteste an hielt Netanjahu
an dem bedrohlichen Szenario fest, an Israels südlicher Grenze könnte ein zweites Iran entstehen.
Über die Erhöhung des Verteidigungsetats ist bereits laut nachgedacht worden. Von einer weiteren
Isolation Israels in der arabischen Welt ist die Rede.
Und von einem Erstarken der Hamas, die die instabile politische Lage in Ägypten nutzen könnte, um
weitere Waffen und Kämpfer in den Gaza-Streifen zu bringen. Hamas-Führer Mahmud al-Zahar hat
Ägypten bereits aufgefordert, Elektrizität und Wasser in das abgeschottete Küstengebiet zu leiten
und den Grenzübergang Rafah für den freien Warenaustausch zu öffnen. Ein Alptraum für die
israelische Regierung, die mit ihren Einfuhrbeschränkungen bislang alles unternimmt, um die
radikalen Kräfte und mit ihnen die 1,5 Millionen Bewohner des Gaza-Streifens zu strafen. Wie dem
begegnet werden soll, darüber schweigt die politische Führung in Jerusalem.
In Ramallah hat man indes auf die neue Situation reagiert – mit einem lange angekündigten, aber
bislang nie vollzogenen Schritt: Laut Agenturberichten hat der palästinensische Ministerpräsident
Salam Fajad gestern sein Rücktrittsgesuch bei Präsident Mahmud Abbas eingereicht. Der Rücktritt
der Regierung soll eine Neubesetzung der meisten Ministerposten ermöglichen. Zudem sollen die
seit mehr als zwei Jahren überfälligen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen bis September
abgehalten werden. Ob dies neuen Schwung in den Friedensprozess bringt, ist allerdings fraglich.
Erst am Sonnabend war auch der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat nach einer Affäre
um ein Datenleck in seiner Behörde zurückgetreten. Und Netanjahu hatte erst kürzlich beim Besuch
Angela Merkels deutlich gemacht, dass er für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen allein die
Palästinenser in der Pflicht sieht.
Es könnten schwere Zeiten für den Nahostfriedensprozess anbrechen. Der palästinensische
Menschenrechtsaktivist Bassam Eid ist überzeugt davon, dass die Palästinenser die ersten Verlierer
der Revolution sein werden. »Warum? Weil unser Konflikt verschoben wird. Wir verschwinden
gerade nicht nur von der Medienagenda – wir verschwinden auch von der Agenda der
internationalen Gemeinschaft.«
* Aus: Neues Deutschland, 15. Februar 2011
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