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Menschlichkeit

Die Frauen von "Checkpoint Watch"

Von Raphaela Kula *

Checkpoint Watch« ist der Name einer israelischen Frauenorganisation, die sich »auf vorbildliche Weise« für Frieden und eine gewaltfreie Lösung des Nahost-Konfliktes einsetzt, wie es in der Begründung für die soeben bekannt gegebene Verleihung des Aachener Friedenspreises 2008 an diese heißt. Die etwa 500 Frauen von »Checkpoint Watch«, vornehmlich Linke und Feministinnen, aber auch zunehmend Angehörige der Elite der israelischen Gesellschaft, beobachten und dokumentieren das Vorgehen israelischer Soldaten und Polizisten an Schranken und Straßensperren und versuchen im Rahmen ihrer Möglichkeiten, Konfrontationen zu entschärfen oder gar zu lösen. Der mit 1000 Euro dotierte Preis wird ihnen am 1. September, am Antikriegstag, überreicht.

Die israelische Jüdin Yehudit Kirstein Keshet, geboren 1943 in England, wohin ihre Eltern aus dem faschistischen Berlin geflohen waren, hat mit zwei Mitstreiterinnen 2001 diese Organisation ins Leben gerufen. Sie leitet ihr politisches Handeln aus den persönlichen Erfahrungen ab, lehnt aber kategorisch einen Vergleich zwischen der antisemitischen mörderischen Politik der Nazis und der Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung durch Israel ab. Ähnlichkeiten sieht sie allerdings in Hinblick auf mangelnde Intervention und Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen dieser Politik. »Ebenso, wie das Schweigen in Deutschland, ja sogar in aller Welt die Nazis ermutigte, immer ausgeklügeltere und gewalttätigere Schritte in Richtung auf die Endlösung zu tun, genauso führt jeder Schritt, den Israel zur Unterdrückung des palästinensischen Volkes unternimmt, zu immer drastischeren tödlichen Aktionen, um die Unterdrückung zu sichern.« Sie befürchtet eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt, die Zusammenleben unmöglich macht.

Yehudit Kirstein Keshet gibt einen detaillierten Einblick in ein sich beständig erweiterndes System von Kontrollpunkten im Westjordanland, geregelt mittels undurchsichtiger Bürokratie und ebenso uneinschätzbaren Ermessensspielräumen auf Seiten des Militärs, dem diese Kontrolle obliegt. Aus oft kurzfristig eingerichteten Sperren entstehen dauerhafte, schwer bewachte Kontrollpunkte, die Mobilität und Freizügigkeit der Palästinenser einschränken. Bauern sind von ihrem Land abgeschnitten, Handwerker von ihren Arbeitsstätten, Kindern und Jugendlichen wird die schulische Bildung erschwert, Familien werden getrennt.

Die an den Kontrollposten eingesetzten Militärs sind oftmals jung und unerfahren, reagieren aus Unsicherheit und Angst. All dies trägt keinesfalls zur Entspannung bei. Die Lebenssituation der Palästinenser unter israelischer Besatzung werde zunehmend unerträglicher, grundlegende Menschenrechte würden versagt. »Ihnen wird das Recht auf Freiheit und Zukunft ganz und gar verweigert«, so Yehudit Kirstein Keshets. Sie ist nicht sehr optimistisch in Hinblick auf eine schnelle Lösung im israelisch-palästinensichen Konflikt, es ermutigt sie aber, dass es auf beiden Seiten Frauen gibt, die menschlich fühlen, denken und handeln. Angesichts allgemeiner »Verwirrung und Kriegstreiberei« könne dies moralisch und politisch nicht hoch genug geschätzt werden. Dies beinhalte eine wirkliche Chance auf Veränderung.

Yehudit Kirstein Keshet: Checkpoint Watch. Zeugnisse israelischer Frauen aus dem besetzten Palästina. Nautilus Verlag, Hamburg 2007. 253 S., br., 18 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Mai 2008


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