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Treue Gefolgsleute, unsichere Kantonisten und Israelfeinde

Weltweite Offensive Tel Avivs gegen die drohende Anerkennung eines palästinensischen Staates durch die Vereinten Nationen


Am 10. Juni veröffentlichte die liberale israelische Zeitung Haaretz eine Reihe von Dokumenten aus dem Außenministerium, aus denen hervorgeht, mit welchen Maßnahmen Israel der befürchteten Anerkennungswelle eines palästinensischen Staates begegnen will. Eckart Fooken fasst den Artikel von Barak Ravid zusammen und hat die Textstellen aus den Dokumenten für uns übersetzt.

Die liberale und gewöhnlich sehr gut informierte israelische Zeitung Haaretz veröffentlichte in einem Artikel von Barak Ravid vom 10. Juni 2011 in ihren Besitz gelangte vertrauliche Telegramme des israelischen Außenministeriums an seine Botschafter weltweit, in denen diese aufgefordert werden, präzise und detaillierte Vorbereitungen zu treffen – angepasst an die jeweiligen Bedingungen des Staates, in dem sie als Botschafter agieren und dem Außenministerium als Plan vorzulegen. Hintergrund ist die im Rahmen der UN-Vollversammlung im kommenden September zu erwartende bzw. aus israelischer Sicht drohende Abstimmung über die Anerkennung eines neu gegründeten palästinensischen Staates.

Im Wortlaut heißt es da:

„Das Ziel, das wir uns gesetzt haben, ist eine maximale Anzahl von Staaten zu erreichen, die die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch die UN ablehnen ... Das palästinensische Bemühen muss als ein Vorgehen bezeichnet werden, das die Legitimität des Staates Israel erodiert ... Das Hauptargument hierbei ist, dass die Palästinenser durch dieses Vorgehen in den UN ihre Ziele auf einem anderen Weg als durch Verhandlungen mit Israel zu erreichen versuchen und hierdurch das Prinzip verletzen, dass der einzige Weg zur Lösung des Konflikts über bilaterale Verhandlungen geht ... Das Ziel (des einzureichenden Plans) ist, das Land, in dem die Botschafter tätig sind, dazu zu bringen gegen eine Anerkennung eines palästinensischen Staates zu stimmen ... Der Plan muss Kontakte mit den bedeutendsten Politikern des Landes enthalten, ferner eine Mobilisierung der relevanten Multiplikatoren, wie örtliche jüdische Organisationen oder NGOs, Einsatz der Medien zur Beeinflussung der örtlichen öffentlichen Meinung und auf alle relevanten Organisationen zielende öffentliche Diplomatie.“

Über ein im Ministerium unter Leitung des Direktors seines Middle East Department, Yaakov Hadas, gebildetes "September Forum", heißt es:

“Dieses Team analysiert mögliche palästinensische Schritte und die Israel offenstehende Optionen zu deren Vereitelung, und stellt einen diplomatischen, öffentlichen und die Medien betreffenden Plan zusammen.“

Die Botschafter werden aufgefordert, über ihre Aktivitäten einmal wöchentlich diesem Forum zu berichten, und das Telegramm schließt mit den Worten:

„Die Ihnen zugewiesene Aufgabe ist nicht leicht, aber ich bin sicher, das wir mit vereinten Kräften das bestmögliche Ziel erreichen, das wir uns gesetzt haben.“

Aus dem Außenministerium verlautete außerdem, dass die Botschafter angewiesen seien, kein Land von vornherein aufzugeben und daran zu arbeiten, ein Treffen mit den höchstmöglichen Offiziellen in Land zu erreichen.

Folgetelegramme wurden mittlerweile an die Botschaften aller EU-Länder geschickt, ähnlich lautende an die Vertretungen in den osteuropäischen EU-Staaten und die der ehemaligen Sowjetunion. Darin werden die Botschafter angewiesen, Pläne zu entwerfen, die das Land, in dem sie tätig sind, dazu bewegen sollen, gegen die entsprechende UN-Resolution zu stimmen oder sich mindestens zu enthalten.

Die EU-Staaten werden dabei in drei Kategorien eingeteilt:
  1. treue Gefolgsleute: Staaten die bereits Einwände gegen einseitige palästinensische Schritte geäußert haben; darunter fallen Deutschland und Italien;
  2. unsichere Kantonisten: Staaten deren Position unklar ist, insbesondere Mitglieder des ehemaligen Ostblock, die einen palästinensischen Staat bereits 1988 anerkannt hatten wie die Tschechische Republik, die Slowakei, Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien; diesen Staaten planen Premierminister Netanyahu und Außenminister Liebermann in Kürze Besuche abzustatten, um sie dazu zu überreden, gegen einen palästinensischen Staat zu stimmen;
  3. Israelfeinde: Staaten die dazu tendieren sich automatisch auf die Seite der Palästinenser zu stellen, und von denen eine Unterstützung eines palästinensischen Staates erwartet werden kann, unter ihnen Schweden, Irland, Belgien und Portugal.
Ferner heißt es, dass das Außenministerium davon ausgehe,

dass die 27 Mitgliedsstaaten der EU „Schwierigkeiten haben werden, einen Konsens zu erzielen über die Anerkennung eines palästinensischen Staates im September, wie es sich bereits bei der Anerkennung des Kosovo gezeigt hat. Gleichwohl ist klar, dass die EU-Bürokraten in Brüssel versuchen werden in einen Dialog mit den Palästinensern zu treten, mit dem Ziel eine moderate Resolution zu formulieren, die von den EU-Mitgliedern unterstützt werden kann ... Unser Ziel ist es, eine Bewegung in Gang zu bringen gegen die Anerkennung eines palästinensischen Staates im September, indem wir es schaffen, einen signifikanten Block von EU-Staaten dazu zu bringen, ihre Opposition gegen ein einseitiges palästinensisches Vorgehen so früh wie möglich öffentlich zu erklären.“

Ein weiteres Ziel bestünde darin, diejenigen Länder, die sich bereits für eine Anerkennung ausgesprochen haben, dazu zu bewegen, zumindest von einer diesbezüglichen öffentlichen Stellungnahme abzusehen. Ferner sollten die Botschafter versuchen, soviele Politiker und Meinungsmacher wie möglich dazu zu bewegen, entweder öffentliche Erklärungen abzugeben oder Aussagen zu treffen, die sich gegen eine einseitige Anerkennung eines palästinensischen Staates aussprächen. Darüber hinaus sollten sie ablehnende Medienberichte oder Kommentare über die palästinensischen Schritte erstellen. Auch sollte dem "September Forum" berichtet werden, ob bei den politischen Führern des Landes, in dem die Botschafter tätig seien, der Wusch nach einem persönlichen Telefongespräch mit Staatspräsident Peres, Netanyahu oder Liebermann geäußert würde oder ein diplomatischer Besuch eines hochrangigen israelischen Offiziellen vor dem September sich als hilfreich für eine Überredung der dortigen Offiziellen erweisen könnte.

Laut eines hochrangigen Mitarbeiters im Außenministerium sei aber davon auszugehen, dass trotz aller Anstrengungen die Anzahl der Staaten, die in der UN-Vollversammlung gegen eine Anerkennung eines palästinensischen Staates stimmen würden, eher klein bleiben werde, mit den USA, Kanada und ein paar europäischen Staaten. Der Großteil der asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten würde dafür stimmen.


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