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Ist Israel ein gefährlicher Ort?

Amos Gvirtz will aufklären über Alltägliches der Besatzung

Amos Gvirtz (63) - lebt im Kibbuz Shefayim nördlich von Tel Aviv. Er ist Mitbegründer von "Israelis und Palästinenser für Gewaltfreiheit".



Neues Deutschland (ND): Sie sind Mitherausgeber zahlreicher Bücher. Seit 2006 gibt es von Ihnen die Reihe »Sagt nicht, ihr hättet nichts gewusst«. Worum geht es dabei?

Gvirtz: Das sind kurze Texte in englischer Sprache, die er über E-Mail in alle Welt, aber vor allem an israelische Landsleute versandt werden, vor kurzem zum 200. Mal.

Was hat Sie bewogen, mit dieser Reihe zu beginnen?

Ich beobachtete zu Beginn der 2. Intifada (Palästinenseraufstand), dass es massive und systematische Hauszerstörungen in Rafah und in Khan Younis im Gaza-Streifen gab. Später bemerkte ich, dass die Zerstörung ziviler Ziele viel weitgehender war. Mich beschweren und anklagen, das wollte ich.

Seitdem haben Sie über fast alle Aspekte der israelischen Besatzung geschrieben – Landenteignung, Hausabriss, Verlust des Aufenthaltsrechtes, Abschiebung, Wasserproblematik und vieles mehr. Was möchten Sie damit ins Bewusstsein bringen?

Die Menschen müssen wissen, dass es täglich Angriffe auf Zivilisten durch die Armee und die Siedler gibt. Das ist gegen jegliches internationales Recht und die Ethik der Armee, es ist gegen alles. Das ist nicht hinnehmbar. Das schlimmste des Schlimmen ist, dass viele Menschen darüber nichts wissen wollen. Die Medien berichten darüber nicht, solange niemand dabei getötet worden ist. Aber wenn ihre Häuser zerstört werden, verlieren die Menschen alles.

Erhalten Sie Reaktionen auf Ihre Mailbotschafte?

Manchmal. Einmal schrieb ich über die Umsiedlung von fast 3000 Nahalin-Beduinen. Sie wurden von der israelischen Mauer »vertrieben«. Darauf gab es keine Reaktion.

Was möchten Sie Ihren Landsleuten sowie Politikern der Welt deutlich machen?

Eine ganze Bevölkerung lebt unsicher. Die Palästinenser leben unter Besatzung. Niemand verteidigt sie. Es gibt zwei verschiedene Auffassungen von Krieg. Für Israelis heißt das: gewaltsame Zusammenstöße zwischen beiden Seiten. Für die Palästinenser heißt es Landbeschlagnahmung – das ist ein Kriegsakt genau wie Siedlungsbau, Hauszerstörung, das Stehlen ihres Wassers, die Ausweisung von Menschen aus ihren Häusern. All das hat nichts mit der Sicherheit Israels zu tun. All dies, was die israelische Armee tut, ist nicht zur Verteidigung, sondern zur Ausdehnung Israels.

Ist es für Sie schwierig, in Israel zu leben?

Ja, ich bin manchmal niedergeschlagen. Dagegen will ich ankämpfen. Es gibt kein anderes Land in der Welt, wo die Bedrohung gegen uns Juden – weil wir Juden sind – so groß ist wie hier. Wenn ich für Menschenrechte kämpfe, dann kämpfe ich in erster Linie um unserer Existenz willen – um diese ständige Bedrohung unserer Existenz zu entfernen. Israel ist für Juden der gefährlichste Wohnort in der Welt. Es tut mir leid, das zu sagen, aber so ist es nun einmal.

Haben Sie noch eine Botschaft an die deutschen Leser?

Im Wirtschaftsabkommen der EU mit Israel gibt es einen Paragrafen über Menschenrechte. Wenn die Europäer den aktivieren würden, wäre das ein wirksames Druckmittel gegen Israel, seine Politik in den besetzten Palästinensischen Gebieten zu ändern. Sonst kann sich Israel weiter ins Fäustchen lachen über die Friedensreden der EU-Führer.

Gespräch: Johannes Zang

* Aus: Neues Deutschland, 6. März 2010

Aktuelle Meldung aus Jerusalem

Eskalation der Gewalt in Jerusalem

Israelische Polizei ging gegen Palästinenser vor

Bei Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und der israelischen Polizei in Jerusalem sind mehr als 40 Personen verletzt worden, die meisten davon Demonstranten. Die Gewalt entflammte am Freitag (5. März) bei einer Demonstration von Palästinensern auf dem Tempelberg und weitete sich dann in der Altstadt und auf Ost-Jerusalem aus. Die israelische Polizei löste zunächst eine Kundgebung palästinensischer Demonstranten auf dem Tempelberg gewaltsam auf. Dabei setzten die Beamten Tränengas und Blendgranaten ein. Ein Polizeisprecher sagte, die Sicherheitskräfte seien eingeschritten, als Steine auf jüdische Gläubige an der Klagemauer am Fuße des Tempelberges geworfen worden seien. Die Gläubigen seien in Sicherheit gebracht worden. Die Polizei zog sich nach Diskussionen mit der Behörde für muslimische Kulturgüter schließlich zurück.

Später kam es im muslimischen Viertel der Jerusalemer Altstadt zu weiteren Zusammenstößen. Auch aus dem Viertel Ras el Amud in Ost-Jerusalem wurden Zwischenfälle gemeldet.

Ein Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte die »Eskalation der israelischen Gewalt in Jerusalem und anderswo im Westjordanland«. Damit wolle die israelische Regierung die Bemühungen der USA um eine Wiederbelebung der Nahost-Friedensgespräche »sabotieren«.

Neues Deutschland, 6. März 2010




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