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20 Jahre Kriegshetze

Israels Stimmungsmache gegen Iran

Von Knut Mellenthin *

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu gilt weithin als unehrlicher Mensch. Oppositionsführer Schaul Mofaz nannte ihn einen »Lügner«, der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy soll dieselbe Bezeichnung in einem Gespräch mit seinem US-Kollegen Barack Obama gebraucht haben. Die frühere israelische Außenministerin Tzipi Livni fragte Netanjahu am 25. Mai 2010 vor versammelter Knesset: »Wann war das letzte Mal, daß Sie sich selbst, Ihren Ministern, der wählenden Öffentlichkeit die Wahrheit gesagt haben?«

Mit seinem Auftritt in der Vollversammlung der Vereinten Nationen am Donnerstag hat der israelische Premier seinen schlechten Ruf bestätigt. An den geschichtlich vielfach widerlegten Satz »Rote Linien führen nicht zum Krieg, sondern sie verhindern ihn« glaubt Netanjahu vermutlich ebensowenig wie an seine Behauptung, daß Iran nur noch sechs oder neun Monate vom Besitz einer Atombombe entfernt sei oder daß die iranische Führung kapitulieren würde, sobald Washington ihr ein Ultimatum stellt. Daß der Premier auf dem Rednerpult eine schlecht gemachte Zeichnung schwenkte, erinnerte Spötter an die allerdings sehr viel intelligentere Multimedia-Präsentation, mit der der damalige US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 im UN-Sicherheitsrat die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen glaubhaft machen wollte.

Aber zumindest ein Satz in Netanjahus Rede entsprach den Tatsachen, nämlich der, daß er schon seit über 15 Jahren die Notwendigkeit predigt, Iran mit allen Mitteln am Erwerb von Atomwaffen zu hindern. Schon am 10. Juli 1996 hielt Netanjahu, der kurz zuvor erstmals Premier einer israelischen Regierung geworden war, im US-Kongreß eine Brandrede, in der er vor den »schwerwiegenden Folgen« iranischer und irakischer Atomwaffen warnte. Die »internationale Gemeinschaft«, so rief er damals auf, müsse ihre Anstrengungen vereinigen, um das zu verhindern. 1996 – das war neun Jahre, bevor der Allzweck-Bösewicht Mahmud Admadinedschad zum iranischen Präsidenten gewählt wurde. Und elf Jahre, bevor Iran mit der Anreicherung von Uran – eine Grundvoraussetzung für die Produktion von Atomwaffen – begann. Schon vorher, Anfang der 1990er Jahre, hatten israelische Stellen begonnen, frei erfundene Prognosen zu verbreiten, daß Iran in wenigen Jahren – 1998, 2000 oder spätestens 2005 – Atomwaffen besitzen werde.

Die Wahrheit ist: Die nun schon zwanzig Jahre andauernde Kampagne zur Mobilisierung einer Kriegsfront gegen Iran hat mit Ahmadinedschad so wenig zu tun wie mit dem aktuellen Stand des iranischen Atomprogramms. Sie resultiert, wie Trita Parsi in seinem Buch »Treacherous Alliance« detailliert nachzeichnet, aus einer strategischen Entscheidung der israelischen Führung, Iran als »Hauptfeind« in der Region ausschalten zu lassen. Die Wendung erfolgte 1992, nachdem Irak, bis dahin Inhaber dieses Titels, ein Jahr zuvor durch den Golfkrieg nachhaltig geschwächt worden war.

* Aus: junge Welt, Samstag, 29. September 2012


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