Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Eine Provokation, die Spannungen und weitere Gewalt schürt"

Die Auseinandersetzungen um die religiösen Einrichtungen auf dem Tempelberg in Ost-Jerusalem spitzen sich zu

Von Karin Leukefeld *

Weitgehend unbeachtet von westlichen Medien verschärft sich seit Tagen im von Israel besetzten Ostjerusalem die Situation um die Al Aqsa Moschee. Zum Schutz des jüdischen Laubhüttenfestes, zu dem rund 30.000 Besucher aus aller Welt zu einem traditionellen Umzug durch Jerusalem angereist waren, blockierten rund 2000 israelische Polizisten für männliche Muslime unter 50 Jahren den Zugang zur Moschee auf dem Haram al-Scharif oder Tempelberg. Unmittelbar unterhalb der Moschee liegt die von jüdischen Gläubigen verehrte Klagemauer (Westmauer). Man wolle dafür sorgen, dass keine Steine auf jüdische Gläubige geworfen würden, erklärte Polizeisprecher Micky Rosenfeld das massive Polizeiaufgebot. "Feindliche Elemente schüren Gewalt", so Rosenfeld.

Anfang Oktober war es zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen, nachdem eine Gruppe jüdischer Siedler demonstrativ in die Moschee eingezogen waren und palästinensische Gläubige auf dem Gelände sich geweigert hatten, den Eindringlingen Platz zu machen. Die Siedler hatten den Yom Kippur Tag zum Anlass genommen, den jüdischen Anspruch auf ganz Jerusalem und damit auch auf den Haram al-Scharif oder Tempelberg zu bekräftigen. Teile des Geländes der Al Aqsa Moschee hätten ursprünglich zum jüdischen Tempel gehört, so die Begründung. Die Polizei dementierte die Anwesenheit von Siedlern und sprach von einer Gruppe französischer Touristen, die auf dem Gelände seien, das stundenlang hermetisch abgeriegelt war.

Von israelischer Seite und vielen westlichen Medien, wie der deutschen Tageszeitung Die Welt, wurden die Palästinenser für die Eskalation verantwortlich gemacht. Nicht jüdische Siedler, sondern französische Touristen seien in die Al Aqsa Moschee gegangen und von den Muslimen angegriffen worden, hieß es da. Die Autonomiebehörde und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas schürten den Konflikt um das Muslimen, Juden und Christen heilige Gelände in Ostjerusalem, um von internen Problemen abzulenken. Abbas steht seit Tagen unter scharfer Kritik wegen seiner Zustimmung, eine Entscheidung über den Israel kritischen Goldstone Bericht über Kriegsverbrechen im Gazakrieg auf das Frühjahr 2010 zu verschieben.

Augenzeugen der Vorfälle am 2. Oktober bestätigten jedoch, dass israelische Siedler die Moschee provokativ besetzt hatten. Die Korrespondentin der Irish Times, Michael Jansen zitiert einen Anwohner, mit dem sie das Geschehen beobachtete. "Der ganze Ärger begann morgens um halb acht, als die israelischen Soldaten die Siedler auf das Gelände ließen und anschließend alle Tore schlossen." Muslime in der Moschee und außerhalb begannen Steine auf die Soldaten zu werfen, woraufhin diese mit Tränengas und Gummigeschossen zurückfeuerten. Jansen beobachtete, wie ein Palästinenser, dessen Hände auf dem Rücken gefesselt waren, von den israelischen Soldaten in aller Öffentlichkeit zu Boden geschlagen und später weggeschleppt wurde. Amin Abu Ghazzali vom Palästinensischen Notfalldienst, dessen Ambulanzwagen zuvor schon drei verletzte Palästinenser abtransportiert hatten, kommentierte den Vorfall mit Verbitterung: "Genau das ist Israel. Sie verprügeln ihn hier in aller Öffentlichkeit, um die Leute einzuschüchtern. Wenn er was angestellt hat, müssen sie ihn vor ein Gericht bringen." Scheich Abed el-Azim Salhab von der Islamischen Stiftung, die für die Al Aqsa Moschee zuständig ist identifizierte die Besetzer des Moscheegeländes als Siedler aus Kiryat Arba, einer Siedlung bei Hebron. Sie seien nicht zum ersten Mal gekommen. "Die israelische Regierung will die Al Aqsa Moschee unter ihre Kontrolle bringen, aber das wird nie geschehen."

Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in Ramallah bestellte die ausländischen Botschafter ein und forderte diese auf, die fortlaufende Missachtung des islamischen Heiligtums vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen. Jordanien, dem der Schutz der Al Aqsa Moschee offiziell obliegt, bestellte in Amman den israelischen Botschafter zu einem offiziellen Protest ein. Sowohl das Völkerrecht als auch alle wichtigen Konventionen forderten den Schutz religiöser Stätten vor jeder Entweihung, erklärte der jordanische Informationsminister Nabil al-Scharif gegenüber der staatlichen Jordanischen Nachrichtenagentur (JNA). "Wir verurteilen es, dass extremistische jüdische Gruppen und israelische Sicherheitskräfte immer wieder die Moschee besetzen", sagte al-Scharif. Das sei "eine Provokation, die Spannungen und weitere Gewalt schürt."

Im Jahr 2000 hatte der demonstrative Besuch des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon auf dem Haram al Scharif oder Tempelberg die zweite palästinensische Intifadah ausgelöst. In einer Stellungnahme der Hamas zu den aktuellen Vorfällen hieß es, "alle Palästinenser, Araber und Muslime müssen sich zur Verteidigung unserer heiligen Stätten erheben und eine neue Intifadah beginnen, um Jerusalem und die Al Aqsa Moschee zu verteidigen." Samir Awad, Politikprofessor an der Birzeit Universität erwartet keinen neuen Aufstand der Palästinenser, warnte aber: "Wenn die israelischen Provokationen in Jerusalem anhalten, wird es verstärkt zu religiös und patriotisch motivierten Auseinandersetzungen kommen."

Israel hatte die Altstadt von Ostjerusalem, in der die heiligen Stätten liegen, 1967 besetzt und annektiert, was international nicht anerkannt ist. Heute leben rund 200.000 jüdische Siedler in Ostjerusalem, während immer mehr palästinensische Familien aus ihren Häusern geklagt und vertrieben werden. Weitere Siedlungsprojekte sind ebenso geplant, wie eine teilweise unterirdisch liegende archäologische Anlage, dem das palästinensische Viertel Silwan zum Opfer fallen würde

* Eine gekürzte Version dieses Artikels erscheint am 9. Oktober in der "jungen Welt"


Zurück zur Israel-Seite

Zur Palästina-Seite

Zurück zur Homepage