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Heiliger, unheiliger Jordan

Wem gehört das immer knapper werdende Wasser des Flusses?

Von Susanne Götze *

Wasser im Nahen Osten ist ein Segen. Doch es wird knapp: Quellen versiegen, Trinkwasserreserven schrumpfen und der einst reißende Jordan ist ein armseliges Bächlein. Zudem sorgt die ungerechte Verteilung in den palästinensischen Gebieten für immer mehr Verdruss. Amnesty international gibt in einem Bericht Israel die Schuld an dem Wasserdebakel.

Der Jordan ist der Ganges des Christentums. Millionen Pilger reisen jedes Jahr an seine Ufer. In Yardenit verlassen sie die Reisebusse, werfen sich weiße Gewänder über und steigen unter Gebeten und Gesängen in die heiligen Fluten. Passagen aus der Bibel werden andächtig verlesen.

Diese Idylle bliebe wohl ungetrübt, gäbe es nicht Mira Edelstein. Die israelische Umweltschützerin hat es sich zur Mission gemacht, den anderen, den »unheiligen« Jordan zu zeigen. Sie fährt ihre Besucher wenige Kilometer flussabwärts von Yardenit zum Alumot-Damm. Dort ist der Jordan nur noch ein kleines stinkendes Bächlein. Keine Spur mehr von Heiligkeit. Oberhalb des Dammes staut sich sauberes Wasser, in dem sich die Pilger taufen. Das wird auch auf die anliegenden Bananenfelder gepumpt. Auf der anderen Seite des Dammes fließen noch Salz- und Abwässer aus rostigen Stahlrohren ins Flussbett: Die übel riechende Mischung, weiterhin Jordan genannt, fließt noch knapp 200 Kilometer bis ins Tote Meer.

Durst der Plantagen und fehlender Regen

»Das ist die traurige Wahrheit des sogenannten heiligen Flusses«, erklärt Edelstein, die für Friends of the Earth Middle East arbeitet. Schon an der Mündung des Sees Genezareth sei der Jordan fast ein stehendes Gewässer. Kaum vorstellbar, dass dieses Rinnsal zu Zeiten Jesu ein reißender Fluss war.

Grund für das jammervolle Schicksal des Jordans ist der Durst seiner Anrainer. Allein Israel pumpt jedes Jahr rund 200 Millionen Kubikmeter aus dem See Genezareth - durch den der Jordan fließt - in seine Versorgungsarterien, den »National Water Carrier«. Dieser versorgt von Tel Aviv bis in die Negev-Wüste ganz Israel mit Trinkwasser.

Doch der Verbrauch der Israelis steigt. Im See kommt wegen der anhaltenden Dürre und des Fehlens von Winterregen immer weniger Wasser an. Schon auf den von Israel besetzten Golanhöhen, aus denen zahlreiche Zuflüsse des Jordans kommen, die im See Genezareth münden, klagen die Einwohner über versiegende Quellen und rationierte Wassermengen.

Die Kloake, die der untere Jordan südlich des Alumot-Damms ist, bleibt er mehr oder weniger auch. Sämtliche Zuflüsse, die südlich des Sees Genezareth in den Fluss mündeten, sind mittlerweile fast trocken. Ihr Wasser wurde durch Dämme und Pumpen schon lange vorher auf Bananen- oder Orangenplantagen verteilt. Immer mehr Wasser wird gebraucht, immer weniger fließt aus den Quellen nach.

Der untere Jordan interessiert niemanden mehr. Er ist nicht viel mehr als die Grenze zu Jordanien: Ein kaum mehr vier Meter breiter, übel riechender Kanal, umgeben von Minenfeldern und Stacheldraht. Vor 60 Jahren rauschten noch 1,3 Milliarden Kubikmeter Wasser jährlich durch das Flussbett - nun sind es kaum mehr 100 Millionen. Etwas zynisch meint die Umweltschützerin Edelstein: »Ohne das zugeleitete Ab- und Salzwasser gäbe es den Jordan gar nicht mehr.« Eben deshalb trocknet auch das touristisch so beliebte Tote Meer aus: Sein wichtigster Zufluss versiegt.

Im Westjordanland gab es noch vor der israelischen Besetzung unzählige Felder, auf denen palästinensische Bauern Obst, Gemüse und Kräuter anbauten. Doch das ist lange vorbei. Eine der ersten Handlungen der israelischen Armee nach dem Sechstagekrieg 1967 sei die Kappung der Wasserleitungen vom Jordan zu den Feldern gewesen, erklärt der palästinensische Ingenieur Nader Hatab. Derzeit werde nur noch ein Bruchteil der früher bewässerten Flächen bewirtschaftet: Es mangele schlicht am Nass.

Versiegen auch noch die natürlichen Quellen, stehen die Menschen vor dem Nichts. So geschehen in der Gemeinde Ouja bei Jericho. Die meisten Haushalte hier sind noch nicht einmal an das Leitungssystem angeschlossen, so wie rund ein Drittel aller palästinensischen Dörfer. Vor 30 Jahren wurde den Bauern der Zugang zum Jordan genommen. Nun versiegt auch die natürliche Al-Ouja-Quelle.

Die Folgen der israelischen Wasserpolitik sind offensichtlich: Im gesamten Westjordanland sieht man kaum grüne Flecken oder gar Gewächshäuser, die auf Landwirtschaft hindeuten. Die Gegend ist kahl, bedeckt mit weißem Gestein und einigen verdorrten Olivenbäumen. Passiert man den Kontrollposten zum israelische Kernland, wechselt das Bild schlagartig: Rechts und links der Straße liegen Felder wie grüne Teppiche, voluminöse Gewächshäuser, Dattel- und Bananenplantagen erstrecken sich, so weit das Auge reicht.

»Die Israelis haben sehr schnell begriffen, was in dieser Region am wertvollsten ist«, erklärt der deutsche Hydrologe Clemens Messerschmidt: »Kein Wunder, dass sie sich nach dem Krieg 1967 zuerst die Wasserhoheit in den besetzten Gebieten sicherten.« Dazu gehörten die oberen Zuflüsse des Jordans in den Golanhöhen und die unterhalb liegenden Trinkwasservorkommen. »Als erste Amtshandlung führten sie das Permit-System ein: Danach müssen alle Palästinenser Anträge stellen, wenn sie auch nur eine Schraube für eine Wasserleitung haben wollen«, erläutert Messerschmidt sichtlich erbittert. Eine Erlaubnis brauche man in Sachen Wasser für alles: um Brunnen zu bohren, Zisternen zu bauen und Leitungen auszubessern.

Ohne Israels Erlaubnis keine Brunnen

»Alle Anträge können ohne Begründung abgelehnt werden«, fährt Messerschmidt fort. Die Chance, einen Brunnen genehmigt zu bekommen, sei sehr gering. Deshalb hätten es internationale Hilfsorganisationen aufgegeben, sich um Wassererschließung zu kümmern. »Dabei wäre das genau die Hilfe, die die Bauern hier dingend brauchen: Druck von außen auf die israelischen Behörden.«

»Ich bin der Chef von virtuellem Wasser«, klagt Dr. Shaddat, Leiter der palästinensischen Wasserbehörde. Er sei ausschließlich damit beschäftigt, das von den israelischen Behörden zugewiesene Wasser zu verteilen. »Palästinensische Bauern aus dem ganzen Land kommen hier nach Ramallah und bitten mich um mehr Wasser - doch ich kann ihnen nicht helfen.«

Israel beansprucht laut dem jüngsten Amnesty-Bericht mehr als 80 Prozent der unterirdischen Wasservorräte des Westjordanlandes für sich. Israel bestimmt auch, wie viel davon an Palästinenser verteilt wird. Der errechnete Verbrauch beider Völker spricht für sich: Laut Amnesty nutzt ein Israeli durchschnittlich 300 Liter pro Tag; bei einem Palästinenser sind es gerade mal 70, in armen Regionen 20 Liter, die pro Person und Tag zur Verfügung stehen. Die israelischen Wasserbehörde bestreitet die Angaben von Amnesty und wirft der Organisation einseitige Berichterstattung vor.

»Es trifft immer zuerst die Ärmsten einer Gesellschaft«, sagt Messerschmidt. In Ramallah, dem Sitz der palästinensischen Autonomiebehörde, sei von der Wasserkrise nichts zu merken. »Ich lebe schon seit zwölf Jahren in Ramallah, und es kam immer Wasser aus dem Hahn.« Solange die herrschende Schicht das Problem nicht hautnah erlebe, werde sich auch nichts ändern - das sei in Palästina wie in jedem anderen Land. Enttäuscht ist der Hydrologe aber vor allem von Europa: Die westlichen Entwicklungsorganisationen drückten sich um die Auseinandersetzung mit Israel. »Der Konflikt um das Wasser ist ein leiser, aber er ist existenziell«, so Messerschmidt.

Dabei sind die Widersprüche offensichtlich: Im oberen Teil des israelischen Jordantals wird sogar zum Wassersport geladen. Kreischende Schulklassen aus ganz Israel tummeln sich im kühlen Nass des »Jordan River Park«. Hundert Kilometer südlich würden Besucher nicht einmal mehr ihren kleinen Finger in die Brühe stecken. Doch im Westjordanland ist es ohnehin verboten, auch nur in die Nähe des Flusses zu kommen. Kein Wunder, dass man in Israel nichts vom Jordan und seinem Schicksal weiß. Eine israelische Zollbeamte fragte bei der Ausreise verblüfft: »Über den Jordan? Was gibt es denn über den zu schreiben?«

* Aus: Neues Deutschland, 18. November 2009


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