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Massenabschiebungen spalten Israel

Kinder von Arbeitsmigranten "beschädigen die jüdische Identität des Staates"

Von Karin Leukefeld *

Um den „jüdischen Charakter der israelischen Gesellschaft zu schützen“, will Israel mindestens 1200 nicht jüdische Kinder abschieben. Sollte das nicht geschehen, werde er die Leitung der Einwanderungsbehörde abgeben und an den Ministerpräsidenten überstellen, drohte Israels Innenminister Eli Yishai, der auch Vorsitzender der ultraorthodoxen Schas Partei ist. Den rund 200.000 Arbeitsmigranten, die mit Vertrag nach Israel kommen, ist es verboten, Kinder zu haben. Frauen, die schwanger werden, werden abgeschoben. Viele Kinder werden dennoch in der Illegalität geboren, die Bildungsbehörden gehen derzeit von rund 2000 solcher „illegaler“ Kinder aus. Die Eltern "nutzen die Kinder um einen legalen Status in Israel" zu erzwingen, schimpfte Innenminister Yishai. Sie nutzten die "Freundlichkeit des israelischen Staates aus".

Eine massive Abschiebung, die am 1. August beginnen sollte, war wegen Protesten um drei Monate verschoben worden und sollte im November beginnen. Aus „humanitären Gründen“ stimmte Yishai nun erneut einer Verschiebung der Deportation der Kinder auf Mitte 2010 zu, um sie nicht mitten im Schuljahr aus den Klassen zu reißen. Danach aber werde es keine Verzögerungen mehr geben, betonte der Innenminister. Auf keinen Fall werde den Kindern ein Aufenthaltsrecht oder gar die israelische Staatsbürgerschaft gegeben, denn das „beschädigt die jüdische Identität des Staates, stellt eine demographische Gefahr dar und erhöht die Gefahr der Assimilation“, erklärte Yishai gegenüber der israelischen Tageszeitung Haaretz.

Die Likud Partei (Benjamin Netanyahu) ist über die Abschiebungen uneins. Die Kinder seien in Israel geboren und in anderen Ländern fremd. Außer Hebräisch könnten sie keine andere Sprache und hätten das Recht zu bleiben, ist die Meinung vieler Mitglieder. Auch Präsident Shimon Perez sprach sich gegen die Abschiebung der Kinder aus. 2006 hatte die Regierung in einem ähnlichen Fall 567 Familien mit Kindern im schulpflichtigen Alter die Staatsangehörigkeit erteilt. Die Stadtverwaltung von Tel Aviv gewährt rund 17.000 Flüchtlingen aus Darfur und Eritrea sogar freie Gesundheitsversorgung und einen Kindergartenplatz für die Kinder. Menschen, die sich in Israel befänden, hätten das Recht auf diese Versorgung, so der stellvertretende Bürgermeister von Tel Aviv, Yael Dayan. Die Leiterin der Bialik Rogozin Schule in Tel Aviv, Karen Tal berichtete gegenüber Journalisten, von den 784 Kindern der Schule seien 302 von Abschiebung bedroht. Unsicherheit und Angst vor der Zukunft belaste die Kinder. Nach einem offiziellen Bericht der abschiebenden Einwanderungsbehörde sollen seit dem 1. Juni 2009 700 illegale und kinderlose Arbeitsmigranten abgeschoben worden sein. 2000 hätten im gleichen Zeitraum das Land „freiwillig verlassen“.

Seit Jahren dauert der Streit in Israel über den Umgang mit den rund 200.000 ausländischen Gastarbeitern, die mit festen Verträgen aus lateinamerikanischen, asiatischen oder afrikanischen Staaten kommen. Für wenig Geld arbeiten sie als Garten- und Haushaltshilfen oder als Reinigungskräfte in Büros und Hotels. Frauen arbeiten zudem häufig im Altenpflegedienst in privaten Haushalten. Die 40jährige Mila Valdez aus den Philippinen, über die das britische Magazin TIME berichtet, lebt heute illegal in Israel. Ihr Visum lief aus, als sie ein Kind zur Welt brachte. Der Vater des Sohnes und Ehemann von Mila Valdez wurde 2007 abgeschoben. Mit ihrem siebenjährigen Sohn lebt Mila Valdez heute in einer Dreizimmerwohnung in der Nähe des zentralen Busbahnhofes in Tel Aviv. Mutter und Sohn teilen sich die Wohnung mit acht weiteren Migranten. Vor dem Haus hängt ein Plakat der Polizei mit der Aufforderung an die Anwohner, ihre Nachbarn zu denunzieren, falls sie keinen gültigen Aufenthaltsstatus haben.

Die Stimmung, die das Innenministerium mit der Jagd auf Migranten auslöse, sei menschenverachtend und rassistisch, kritisieren israelische Menschenrechtsgruppen. Wenn es der Regierung passe, würden sie sich ihrer Menschenrechtspolitik rühmen, kritisierte Ran Cohen von der Organisation Ärzte für Menschenrechte, die in Jaffa nicht versicherte Menschen in einer Klinik versorgt. „Als die Flüchtlinge aus dem Sudan kamen, haben sie sie in eine israelische Fahne eingewickelt und den Vereinten Nationen in Genf präsentiert.” Inzwischen setzt die israelische Regierung Ägypten unter Druck, auf Flüchtlinge zu schießen, die versuchen, auf dem Sinai den Zaun nach Israel zu überwinden. Allein in diesem Jahr starben dort 26 Flüchtlinge aus dem Sudan.

Der Leiter der Sonderabteilung Oz (Stärke) bei der Einwanderungsbehörde, Tsiki Sela, erklärte derweil in einem Interview mit der Tageszeitung Ma’ariv, Migranten und diejenigen, die ihnen helfen, „wollen Israel zerstören.“ Die 1200 Kinder der illegalen Arbeiter „sind hier ohne rechtliche Grundlage, das ist alles. Sie sind Gäste, mehr nicht.“ Sein Dienstherr, Innenminister Yishai nahm Sela in Schutz: „Er hat sein Leben lang diesem Land gedient, viele Jahre in der Armee“, verteidigte er Äußerungen von Sela über die Migranten. Er begreife seine Arbeit, „Migranten zu deportieren und dafür zu sorgen, dass sie nicht wieder einreisen“, als „zionistische Mission von größter Bedeutung für den Staat Israel.“ Die Israelis sollten ihm dafür dankbar sein. Je härter man gegen die Illegalen vorgehe, desto mehr halte man andere davon ab, zu kommen und desto mehr würden freiwillig ausreisen. Ansonsten würden „Zehntausende als Touristen einreisen, den Israelis die Arbeit wegnehmen und Kinder kriegen.“ Aus 30.000 Arbeitsmigranten würden innerhalb kürzester Zeit mehr als 1 Million, so der Innenminister.

Shevy Korzen von der „Hotline für Arbeitsmigranten“ (www.hotline.org.il/) verurteilte das Behördenvorgehen gegen die Migranten und die Äußerungen als „rassistisch und vulgär“. Fremdenhass in Israel käme nicht aus der Gesellschaft, sondern werde von der politischen Führung geschürt, sagte sie. Auch Kav LaOved (www.kavlaoved.org.il/), eine weitere „Arbeiterhotline“ hat die „erbärmlichen Äußerungen“ der Innenbehörde scharf kritisiert. Die „Arbeiterhotline“ werde weiterhin die Rechte aller Arbeiter in Israel verteidigen, heißt es in der Stellungnahme: „die Rechte der israelischen Arbeiter, die der Arbeitsmigranten, der palästinensischen Arbeiter, der Flüchtlinge und derjenigen, die Asyl beantragt haben.“ Nur so könne es eine offene Debatte in Israel über die Verhaftungs- und Ausweisungspolitik“ der Regierung geben.

Eine gekürzte Version dieses Artikels erschien unter dem Titel "Deportation von Kindern" am 28. Oktober 2009 in der "jungen Welt"


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