"Was bleibt noch von Palästina?"
Der Palästinenser Fathi Khdirat und der Israeli Jeff Halper im Gespräch über die Mauer und den "Konvergenzplan" der israelischen Regierung
Am Wochenende 18./19. November 2006 fand in Berlin eine Konferenz statt, die sich mit dem israelischen Mauerbau und dessen Folgen für die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten befasste. Am Rande der Konferenz wurden zwei Interviews geführt, die wir im Folgenden dokumentieren.
Wir widerstehen, um zu überleben"
Fathi Khdirat [1]: Die Hoffnung auf einen lebensfähigen Staat schwindet
Sie kommen aus dem Westjordanland und haben geschildert, wie Israel dort die Lebensgrundlagen
der Palästinenser systematisch zerstört. Hoffen Sie noch auf einen lebensfähigen palästinensischen
Staat?
Die Hoffnung wird Schritt für Schritt zerstört. Schon im so genannten Osloer Friedensprozess ging
es nicht darum, wie man internationales Recht umsetzen könnte, sondern um Absichtserklärungen.
Israel, das eindeutig alle Macht besitzt, musste diese mangels internationalem Druck nicht einlösen.
Gerade damals wurde deshalb der Siedlungsbau, der gegen internationales Recht verstößt, rasant
vorangetrieben. Die palästinensische Seite setzte man in Camp David (II) mit einem »Angebot«
unter Druck, das endgültigem Verzicht auf alle Rechte gleichkam und nicht angenommen werden
konnte. Daraufhin hieß es, Israel habe unter den Palästinensern »keinen Partner« für
Verhandlungen. Seither sind die Palästinenser der Gewalt des israelischen Militärs und der Politik
der einseitigen Schritte ausgesetzt. Die internationale Gemeinschaft setzt sich nicht zu ihrem Schutz
ein, im Gegenteil.
Wie beeinflusst das Verhalten der internationalen Gemeinschaft Ihrer Meinung nach die Situation
der Palästinenser?
Niemand hält Israel davon ab, die widerrechtliche Apartheidmauer zu errichten Durch diese Barriere
werden uralte Olivenhaine, von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt, zerstört;
Hunderttausende Palästinenser werden von Israel und vom Rest des palästinensischen Territoriums
abgeschnitten; 120.000 Ostjerusalemer verlieren ihr Wohnrecht, und große Teile des bisher
landwirtschaftlich genutzten Bodens gehen uns verloren. Angesichts der Karten mit den
Siedlerstraßen, die das Westjordanland durchschneiden, mit den ummauerten Ghettos der
Palästinenser dazwischen und mit den mächtigen Siedlungsblocks, fragen wir uns: Was bleibt noch
von Palästina, wie soll da ein lebensfähiger Staat entstehen?
Geben Sie auf?
Auf der Konferenz in Berlin haben wir mit israelischen, europäischen und deutschen Aktivisten
diskutiert, was wir tun können, um der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Wir geben nicht
auf. In der ersten Intifada kämpften wir unter dem Motto, das für uns immer noch gilt: »To exist is to
resist.« Um weiterzuleben, müssen wir Widerstand leisten. Wir haben keine andere Wahl. Wir
glauben immer noch an Gerechtigkeit und internationale Solidarität.
Der Preis ist aber sehr hoch ...
Ja, der gewaltlose Widerstand gegen die Apartheidmauer wird mit Tränengas, aber auch mit
gefährlicheren Gasen bekämpft, mit denen die Armee experimentiert, teils wird scharf geschossen.
Viele von uns, auch Israelis und internationale Unterstützer, die mit uns demonstrieren, wurden
schon verletzt, manche schwer. Menschen, die Bulldozern entgegentreten, um die Zerstörung ihrer
Häuser zu verhindern, riskieren, überrollt oder erschossen zu werden.
Sie sprachen in Berlin über die Palästinenser in Israel, die »48er Palästinenser«. Sie selbst leben
doch aber im Westjordanland?
Von dem Unrecht sind alle Palästinenser betroffen, auch wenn sie aufgrund israelischer
Maßnahmen unter unterschiedlichen Bedingungen und getrennt voneinander leben müssen.
Koloniale Herrschaft funktionierte immer nach diesem Teilungsprinzip. Auch die Palästinenser, die
israelische Staatsbürger sind, leben unter rassistischen Gesetzen. Alle Juden der Welt dürfen
zurückkehren, nicht aber die Palästinenser. Bei Landerwerb, Häuserbau und vielem mehr
unterliegen sie Israels Diskriminierungen.
Fragen: Sophia Deeg
[1] Fathi Khdirat ist Koordinator der Palästinensischen Kampagne gegen die Apartheidmauer im Jordantal
"Wir sollten es Apartheid nennen"
Jeff Halper [2] über den Konvergenzplan des israelischen Regierungschefs
Israels Ministerpräsident Ehud Olmert ist eigens nach Washington gefahren, um seinen
»Konvergenzplan« (Annäherungsplan) vor dem Kongress vorzustellen ...
Ja, und er hat 18 Mal stehende Ovationen erhalten! Die Besatzung ist keine rein israelischpalästinensische
Angelegenheit. Die USA haben, wie auch die EU, ein Interesse daran, dass Israel
weiterhin hoch technisierte Waffenkomponenten entwickelt und sie in den besetzten Gebieten
erprobt. In den USA selbst ist der militärisch-industrielle Komplex die stärkste pro-israelische Lobby,
weit vor jüdischen Organisationen wie dem American Israel Public Affairs Committee (AIPAC – mit
etwa 100 000 Mitgliedern eine einflussreiche Lobby-Organisationen in den USA - d. Red.).
Sie sehen in Olmerts Plan keinen Fortschritt, obwohl die Palästinenser eventuell mehr Land
bekommen könnten als sie zur Zeit haben?
Wie bei allen israelischen Vorschlägen ist das Ziel des Konvergenzplans letztlich die Verhinderung
eines lebensfähigen palästinensischen Staates. Es geht Israel in erster Linie nicht darum, wie viel
Land es weiterhin besetzt, sondern darum, dass dieses Land der Kontrolle über die Palästinenser
dient. Das Westjordanland wird von israelischen Korridoren durchzogen werden. Israel wird
versuchen, den Plan als Rückzug zu verkaufen. Wie gut das funktioniert, sehen wir in Gaza. Die
Welt glaubt das Märchen vom Rückzug, während Israel Gaza weiterhin kontrolliert, aushungert und
terrorisiert. In Israel wird, wenn es um eine Lösung geht, schon seit Jahren nur noch über
Lostrennung von den Arabern gesprochen. Das Ergebnis ist Apartheid, ein Kontrollsystem auf der
Grundlage ethnischer und religiöser Kriterien. Ethnische Säuberung als Option wird unter dem Titel
»Transfer« in Israel offen diskutiert. Sie wird nur deshalb nicht durchgeführt, weil Israel einen zu
großen Imageschaden befürchtet.
Und was hat das Ganze mit Konvergenz, also Annäherung, zu tun?
Die Annäherung besteht darin, dass die Lücke zwischen der optimalen Lösung für Israel –
Vertreibung – und der von den Palästinensern 1988 angenommenen Zweistaatenlösung überbrückt
wird. Dazu werden die Palästinenser aus ländlichen Gebieten, die Israel annektieren will, in die
Städte gedrängt, die die Kerne der palästinensischen Kantone bilden werden.
Gibt es dafür einen Beweis?
Ja, den Verlauf der Mauer. Sie soll die Kantone definieren. Dass sie eine politische Grenze ist, hat
Außenministerin Zippi Livni zugegeben: Die großen Siedlungsblöcke, das Jordantal und Jerusalem
sollen Teile Israels werden. Der Konvergenzplan von Ehud Olmert soll dazu führen, dass diese
Aufteilung international legitimiert wird. Israel versucht, den Begriff »Zweistaatenlösung« zu
kidnappen. Diese »Zweistaatenlösung« ist ein riesiger Landdiebstahl.
Wenn Israel aber die Zweistaatenlösung »kidnappt«, wie Sie sagen: Warum sollten die
Palästinenser und die Solidaritätsbewegung dann noch auf eine solche Lösung setzen?
Selbst die klassische Zweistaatenlösung ist keineswegs fair und gerecht. Trotzdem hat die PLO
1988 zugestimmt. Nur Israel will ihr nicht zustimmen. Die PLO ist die einzige Kraft, die noch an eine
Zweistaatenlösung glaubt. Eigentlich ist die Zeit der Zweistaatenlösung vorbei, es sei denn, man
akzeptiert die israelische Interpretation. Für die Einstaatenlösung gibt es keine Lobby, da Israel der
Umwandlung von einem jüdischen in einen demokratischen Staat nicht zustimmen wird.
Wir sollten uns vor allem für eine Situation stark machen, in der die Palästinenser überhaupt erst die
Möglichkeit hätten, sich für eine der Lösungen zu entscheiden.
Fragen: Paul Grasse
[2] Jeff Halper ist Koordinator des Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen (ICAHD)
* Aus: Neues Deutschland, 23. November 2006
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