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"Der Zentralrat hat sich nicht als Sprachrohr der israelischen Regierung zu verstehen" - "Hier geht es um die Verteidigung einer Demokratie, und die ist nun mal Israel"

Kontrovers: Evelyn Hecht-Galinski, "Europäische Juden für einen gerechten Frieden", kontra Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

Die Kritik von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul an Israel, es habe in den letzten Kriegstagen im Südlibanon verstärkt Streubomben eingesetzt, hat den Zentralrat der Juden in Deutschland auf den Plan gerufen. Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch warf ihr - und Oskar Lafontaine von der Linksfraktion im Bundestag - vor, sie "unterstützen die Antistimmung gegen Juden in Deutschland." Vizepräsident Salomon Korn blies ins selbe Horn. Er beklagt erneut einen "Affront gegen Israel". Israel sei seit Jahren aus dem Libanon angegriffen worden. Und nun besuche Wieczorek-Zeul als erstes den Staat, "der mit einer Terrororganisation zusammenarbeitet", und erwecke durch ihre Äußerungen "den Eindruck, als sei Israel der Aggressor und der Libanon ist das Opfer", kritisierte Korn am 31. August.
Dagegen setzen sich aber zunehmend einzelne Mitglieder von jüdischen Gemeinden zur Wehr. Erst war es Rolf Verleger von der Lübecker Gemeinde und selbst Mitglied im Direktorium des Zantralrats, der dem Zentralrat eine Brief schrieb, worin er die israelische Kriegspolitik u.a. mit den Worten kritisierte: "Das glaubt mir doch heute keiner mehr, dass dies das eigentliche Judentum ist, in einer Zeit, in der der jüdische Staat andere Menschen diskriminiert, in Kollektivverantwortung bestraft, gezielte Tötungen ohne Gerichtsverfahren praktiziert. (...) Ich kann doch wohl vom Zentralrat der Juden erwarten, dass das wenigstens als Problem erkannt wird." (Zit. n. Hess. Allgemeine, 2.09.2006) Am 1. September antwortete Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des früheren Zentralratsvorsitzenden Heinz Galinski, auf die Schelte von Knobloch und Korn. Hecht-Galinski ist auch Mitglied der Organisation "Europäische Juden für einen gerechten Frieden" (EJJP).
Im Folgenden dokumentieren wir

  • zentrale Äußerungen aus dem Interview mit Evelyn Hecht-Galinski und
  • zentrale Äußerungen aus einem Interview mit Salomon Korn vom 2. September.


"Sprachrohr der israelischen Regierung"

(Moderation: Friedbert Meurer)

Evelyn Hecht-Galinski auf die Frage, warum sie den Zentralrat kritisiere:
"Weil es für mich besonders unerträglich ist und auch für viele meiner jüdischen Mitstreiter, dass sich der Zentralrat zum wiederholten Male als Sprachrohr der israelischen Regierung in Deutschland versteht, anstatt sich um die sozialen Belange der Gemeindemitglieder in den jüdischen Gemeinden in Deutschland zu kümmern. Das ist die eigentliche Aufgabe. Ich möchte nicht von einem Zentralrat vertreten werden, der nur die israelische Politik vertritt. Jetzt kommen heute wieder in den Zeitungen die Antisemitismusvorwürfe von Frau Knobloch und Herrn Korn. Nicht diejenigen, die Israels Politik kritisieren, fördern den Antisemitismus, sondern diejenigen, die schweigen und damit zulassen, dass das Bild von hässlichen Israeli und inzwischen auch von hässlichen Juden, was ja nicht gleich ist, weil Jude gleich Israeli, das muss einmal ganz scharf getrennt werden, das wird leider vom Zentralrat alles kaputt gemacht."

Evelyn Hecht-Galinski auf die Frage, ob Sie nicht Verständnis dafür habe, dass der Zentralrat auf Israelkritk besonders empfindlich reagiere:
"Empfindlich schon, aber nicht abbügeln oder abbürsten jeglicher Kritik. Zum Beispiel wurde Dr. Verleger, der Mitglied im Direktorium des Zentralrats war, nach seiner Kritik - der hat ja auch nur gesagt die Vergehen im Libanon, in Gaza, gezielte Tötung, unverhältnismäßige Bombardierung und dergleichen - gleich von seiner Gemeinde als Delegierter im Zentralrat abgesetzt. Dann die Buchvorstellung von Rupert Neudeck, den man ja auch sehr oft im Deutschlandfunk hört. Die wurde verhindert von der Frankfurter jüdischen Gemeinde. Die evangelische Kirche hatte einen Raum zur Verfügung gestellt. Die mussten das absagen, weil die Frankfurter Gemeinde unter Arno Lustiger und Herrn Graumann das verhindert hat, dass er dort sein neues Buch vorstellen konnte, das sich ja mit diesem Thema beschäftigt. Und so geht es ja immer schon. Jegliche Kritik wird als Antisemitismus verurteilt, und dadurch ist ja schon fast jeder mundtot gemacht worden. Frau Wieczorek-Zeul wird ja von Frau Merkel auch schon als alleinige SPD-Stimme quasi hingestellt."

Evelyn Hecht-Galinski auf den Einwand, Frau Merkel habe ja nur gesagt, das sei Wieczorek-Zeuls Privatmeinung gewesen:
"Wo sind wir denn? Was heißt denn Privatmeinung? Frau Bundesministerin Wieczorek-Zeul, die uns jetzt im Moment in Stockholm auf dieser so genannten Geberkonferenz vertritt, was auch schon ein Hohn ist. Israel zerstört 80 Prozent der Infrastruktur im Libanon, und wir dürfen wieder aufbauen großzügigerweise oder vielleicht jetzt Soldaten hinschicken. Wir sollten Soldaten hinschicken für den Wiederaufbau, aber nicht um die Arbeit für Israel dort zu verrichten und die Grenzen zu schützen, damit die nicht wieder einen Krieg anfangen. Das sind alles Sachen, die für mich den Antisemitismus wirklich fördern. Ich kriege so viele Zuschriften von sehr, sehr engagierten Deutschen, die absolut nicht in der rechten Ecke sind, die sich aber schon gar nicht trauen, den Mund aufzumachen. Die sagen immer, sie können das mit ihrem Namen, aber wenn wir das sagen, sind wir sofort Antisemiten. So weit ist es in Deutschland leider schon gekommen."

Evelyn Hecht-Galinski auf das Argument des Zentralrats, man müsse bei der herrschenden "Stimmung" im Land, die "heftig antiisraelisch" sei, doch auch "gegensteuern":
"Die Stimmung ist antiisraelisch, weil Israel Sachen, eine Politik betreibt, die durch nichts mehr zu rechtfertigen ist. Jeden Tag ist in Gaza eine Tötung. Acht demokratisch gewählte Hamas-Minister, egal ob mir das jetzt passt oder nicht passt, sind verhaftet worden, sitzen ohne Gerichtsbeschluss. Im Westjordanland wird jede Nacht getötet. Diese aggressive Siedlungspolitik, diese ganze Verunglimpfung der Palästinenser, diese ganze Politik, die schafft Antisemitismus, aber sicherlich nicht eine berechtigte Kritik."

Evelyn Hecht-Galinski auf die Frage, was sie in dieser Situation denn vom Zentralrat der Juden erwarten würde:
"Ich würde verlangen und für gut befinden, wenn einmal die Sachen angeprangert werden, die Israel falsch macht. Das heißt, wie ich gerade sagte, den Mauerbau, die Siedlungen. Was heißt denn hier diese verschleppten Soldaten? Erst mal weiß man bis heute nicht, wo diese Soldaten sich wirklich befanden, auf welchem Boden. Zweitens Mal war das nur eine vorgeschobene Sache. Sie haben ja heute über die Demonstration in Tel Aviv berichtet. Da verlangen jetzt die Bürger auf einmal, dass man sich um die Soldaten kümmert. Auf einmal soll angeblich verhandelt werden über einen Gefangenenaustausch. Das wurde ja vorher immer abgelehnt. Der Zentralrat hat sich hier nicht als Sprachrohr wie gesagt der israelischen Regierung und Propagandamaschinerie zu verstehen. Das sehe ich nicht so, weil wir sind deutsche Juden und wir sind hier keine Israelis. Ich möchte das noch einmal betonen. Ich möchte nicht in diesen Topf geworfen werden. Israel ist für mich ein Ausland, auch wenn ich der jüdischen Religion angehöre, ist Israel nicht mein Bürgerland, und ich möchte nicht vom Zentralrat vertreten werden, indem ich die israelische Politik immer erklärt bekomme."

Quelle: Deutschlandfunk, 1. September 2006; www.dradio.de


Korn: Wieczorek-Zeul hat versagt

(Moderation: Jürgen Zurheide

Salomon Korn auf die Frage, ob er sich die Vorwürfe von Frau Hecht-Galinski "anziehe":
"Nein, der Zentralrat versteht sich nicht als das Sprachrohr Israels. Der Zentralrat vertritt die Interessen der Juden in Deutschland, oder der deutschen Juden, wie sie sich auch nennen. Und er vertritt die Interessen Deutschlands. Ich meine, dass da natürlich manches Mal die Emotionen hochgehen, muss eigentlich verständlich sein. Was das Thema Israel anbelangt, kann in Deutschland niemand, Juden oder Nichtjuden, neutral sein. Wir sind einfach verwoben in dieses Problem, das aus der Geschichte gewachsen ist. Juden haben Verwandte in Israel oder sehen es als Zufluchtsort. Nichtjuden haben häufig ein ambivalentes Verhältnis, entweder schlechtes Gewissen, Scharm, Schuld, oder aber einen versteckten Antisemitismus, klammheimliche Freude, was immer auch die Motive sein mögen. Also hier denke ich, ist es ganz schwierig eine neutrale Position einzunehmen. Aber der Zentralrat bemüht sich, diese Position einzunehmen. Und wenn er Kritik übt, dann versucht er das auch möglichst sachlich zu tun."

Salomon Korn auf die "Grundfrage", wo die Grenzen der Kritik an Israel lägen:
"Zunächst erstmal beginnen wir bei der Fragestellung. Ob Israel kritisiert werden darf, ist schon die falsche Fragestellung. Israel muss kritisiert werden. Und zwar muss es so kritisiert werden wie jeder demokratische Staat. Denn würde man Israel von der Kritik aussparen oder würde man es wohlwollend kritisieren, wäre das eine positive Diskriminierung. Da bin ich dagegen.
Also insofern ist Israel zu behandeln wie jeder andere Staat, aber auch mit den gleichen Maßstäben. Israel muss genauso mit den selben Maßstäben, und eben nicht mit anderen Maßstäben, kritisiert werden. Und man darf nicht vergessen, Israel liegt in einem Meer von Diktaturen. Sie können sich als Demokratie natürlich besonders gut demokratisch verhalten, wenn ihre Nachbarn demokratische Staaten sind. Aber wenn ihre Nachbarn laufend gegen das Völkerrecht verstoßen, und sie werden sozusagen ans Völkerrecht gefesselt, und zwar wird von ihnen dann verlangt bis zur Selbstaufgabe, bis zur Selbstvernichtung sich ans Völkerrecht zu halten, da beginnt eigentlich dann sozusagen eine Notwendigkeit der Realität in Kraft zu treten, die manches Mal eben gegen das Völkerrecht tragischerweise verstoßen muss um die eigene Existenz zu retten. Also da bitte ich einfach sachlich zu bleiben.
Ansonsten, was Frau Wieczorek-Zeul anbelangt, nicht ihre Forderung, einen Untersuchungsausschuss gegen die Streubomben einzurichten, ist verwerflich, überhaupt nicht, das ist vollkommen legitim. Nur, dass sie ausschließlich einen Untersuchungsausschuss gegen Israel fordert, ist sehr merkwürdig, denn auf der anderen Seite im Libanon wurde auch gegen das Völkerrecht verstoßen. Und man darf nicht den Fehler machen, Hisbollah und Libanesen auseinanderzudividieren, denn Hisbollah sind Libanesen. Da gibt es eine sehr geschickte Rollenteilung zwischen der libanesischen Regierung und der Hisbollah. Aber Frau Wieczorek-Zeul darf nicht vergessen, wenn sie in das Land reist, dass den Angriff ausgelöst hat - zuerst dorthin reist und nicht in das Land, das angegriffen wurde -, dann ist das bereits eine Gewichtung. Und sie reist in das Land, in dessen Regierung eine Terrororganisation sitzt, die Israel angegriffen hat. Mit anderen Worten, sie verhandelt und spricht mit einer Regierung, in der eine Terrororganisation vorhanden ist, mitregiert. Und sie geht nicht zuerst in das Land, das angegriffen wurde: also eine Frage des Augenmaßes, eine Frage der Fairness, eine Frage der Gleichgewichtung. Und da hat Frau Wieczorek-Zeul versagt. Ich will aber gleich hinzufügen: Ich halte Frau Wieczorek-Zeul nicht für antisemitisch, wie das da so gelegentlich gesagt wurde, keineswegs, aber ein gewisser antiisraelischer Reflex, den muss ich allerdings registrieren."

Salomon Korn zur bevorstehenden Entscheidung der Bundesregierung über eine militärische Beteiligung im Libanon und der Bewertung, dies sei eine "Rückkehr zur Normalität":
"Nun, es ist immer dasselbe. So lange wir von der Normalität sprechen, so lange wir sie beschwören, so lange wir sie benutzen, haben wir natürlich keine Normalität. Es wäre normal gewesen, wenn Deutschland dieser Aufgabe sich annähme unter einen ganz anderen Gesichtspunkt. Nämlich: Hier gibt es ein Demokratie, die einzige Demokratie in dieser Region, und wir als Demokratie, wir als Europa, als Westen müssen daran interessiert sein, dass eine solche Demokratie weiterhin lebensfähig bleibt. Und in diesem Sinne treten wir für den Erhalt einer Demokratie ein, die hier nun mal zufällig Israel ist. Natürlich kann man es nicht aus dem historischen Kontext herauslösen, dass das eine besondere Beziehung ist, ist ganz klar. Nur: der Schwerpunkt hätte nicht darauf liegen müssen, dass man sagt, wir haben eine historische Verantwortung - denn die kann man positiv und negativ wenden, die kann man dazu verwenden einzugreifen, oder wegzubleiben -, sondern das Argument, hier geht es um die Verteidigung einer Demokratie, hätte im Vordergrund stehen müssen. Und das vermisse ich bisher."

Quelle: Deutschlandfunk, 1. September 2006; www.dradio.de


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