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Zehntausende in Israel prangerten soziale Ungerechtigkeit an

An diesem Wochenende konzentrierten sich die Proteste auf kleinere Städte im ganzen Land *

In Israel haben am Sonnabend (13. Aug.) erneut Zehntausende Menschen gegen hohe Lebenshaltungskosten und soziale Ungerechtigkeit demonstriert. Sie fordern Preis- und Steuersenkungen sowie eine gerechtere Verteilung des Wohlstands.

Das vierte Wochenende in Folge demonstrierten Zehntausende Israelis gegen hohe Mieten und Lebenshaltungskosten. Die Organisatoren der Sozialproteste hatten dieses Mal zu Kundgebungen in kleineren Städten im Norden und Süden des Landes aufgerufen. Nach Polizeiangebane beteiligten sich landesweit über 70 000 Menschen an den Demonstrationen, die Veranstalter sprachen von 100 000 Teilnehmern. »Das ist ein viel größerer Erfolg, als wir erwartet hätten«, zitierte die Zeitung »Haaretz« Roi Neuman, einen der Organisatoren. »Wir sind froh, dass ganz Israel und nicht nur Tel Aviv seine Stimme erhoben hat.«

Nachdem sich vor einer Woche 250 000 Menschen in Tel Aviv an einem der größten Sozialproteste in der Geschichte Israels beteiligt hatten, gingen dieses Mal Menschen in 15 kleineren Städten auf die Straße. Die größte Kundgebung mit etwa 25 000 Teilnehmern wurde aus Haifa gemeldet. In der Hafenstadt nördlich von Tel Aviv riefen die Menschen »Wir wollen soziale Gerechtigkeit« und »Die Regierung ist Schuld an dieser Krise«.

In Beerscheba im Süden des Landes am Rand der Negev-Wüste, wo die Hauptkundgebung stattfand, gingen 15 000 Menschen auf die Straße, wie Polizeisprecher Micky Rosenfeld sagte. Die Veranstalter sprachen dagegen von 40 000 Teilnehmern. Demonstranten entrollten ein riesiges Transparent mit der Aufschrift »Der Negev wacht auf«. Auf einem anderen Plakat stand »Der Süden in Wut«. Viele Demonstranten riefen auch den Slogan der Protestbewegung »Das Volk fordert soziale Gerechtigkeit«, der seit Beginn der Proteste Mitte Juli in der Zeltstadt auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv gerufen wird.

Weitere Demonstrationen gab es unter anderem in Afula, in Modiin und Eilat. Im Mittelpunkt der Kritik stand erneut der konservative Regierungschef Benjamin Netanjahu. »Leider hat der Ministerpräsident der Öffentlichkeit bisher keine Lösungen präsentiert. Ich habe keine Ahnung, warum Bankmanager 100 000 Schekel (20 000 Euro) und mehr verdienen müssen. Ich werde diesen Kampf bis zum Ende durchhalten«, sagte einer der Demonstranten in Haifa.

Zwar hatte es schon an den drei Sonnabenden zuvor Demonstrationen auch in kleineren Städten gegeben, aber sie waren angesichts der Großdemonstrationen in Tel Aviv kaum wahrgenommen worden. In Tel Aviv, mit seinen umliegenden Vorstädten das mit Abstand größte urbane Zentrum Israels, gab es nun erstmals seit dem Beginn der Proteste keine größere Demonstration.

Die Aktionen hatten im Juli mit einem kleinen Zeltlager im Zentrum Tel Avivs als Ausdruck des Protests gegen hohe Mieten begonnen. Inzwischen sind die Forderungen viel umfassender und zum Teil auch unübersichtlicher geworden. Es geht nicht mehr nur um das Wohnungsproblem, sondern auch um die Gesundheitsversorgung, das Bildungssystem und die Steuerlast. Zudem wurden Forderungen nach einem neuen Gesellschaftsvertrag für mehr sozialen Ausgleich laut.

* Aus: Neues Deutschland, 15. August 2011

Trajtenberg stattet Zeltstadt Überraschungsbesuch ab

Am 15. August 2011 teilte die israelische Botschaft in Berlin per Newsletter mit:

Prof. Manuel Trajtenberg, der Vorsitzende der von Ministerpräsident Binyamin Netanyahu eingesetzten Sonderkommission für soziale und ökonomische Reformen, hat am späten Sonntagabend (14. Aug.) der Zeltstadt auf dem „Kikar ha-Medina“ in Tel Aviv einen Überraschungsbesuch abgestattet.

Trajtenberg erklärte den Protestierenden, er sei von der in Israel herrschenden politischen Aufbruchsstimmung sehr beeindruckt. Es sei nun an der jüngeren Generation, den Wandel herbeizuführen. „Ich kann dabei nur behilflich sein“, so Trajtenberg.

Trajtenberg erklärte, ihm blieben nur wenige Wochen, um die sozialen und ökonomischen Veränderungen in die Wege zu leiten. Er betonte, solche Initiativen seien nur deshalb erfolgreich, weil die Proteste in der Öffentlichkeit so breite Unterstützung hätten.

Ein Sprecher der Trajtenberg-Kommission hat erklärt, dass die Treffen der verschiedenen Runden Tische, zu denen die Kommission einlädt, online übertragen werden. Die Treffen werden auf der Internetseite des Ministers für die Verbesserung der Dienstleistungen der Regierung, Michael Eitan, anzusehen sein.

In der vergangenen Woche hatten Mitglieder der Kommission bereits Zeltstädte in Tel Aviv, Jerusalem und Modi’in besucht.

(Jerusalem Post, 15.08.11)


In einer Pressekonferenz haben heute (15. Aug.) auch die Initiatoren der Proteste ein eigenes Team vorgestellt, dass Vorschläge für Reformen erarbeiten soll. Prof. Trajtenberg erklärte, er sehe dies durchaus positiv. „Niemand hat ein Monopol auf kluge Ideen“, so Trajtenberg.

(Haaretz, 15.08.11)




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