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Interne Kritik an Israels Regierung

Papier des Außenministeriums sorgt für Aufregung

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Mitten im Wahlkampf gerät Israels Koalition von unerwarteter Seite unter Beschuss: In einem Bericht wirft die Verwaltung des Außenministeriums der Regierung von Premier Benjamin Netanjahu vor, ihre Außenpolitik untergrabe die Legitimität des jüdischen Staats »mehr als jede internationale Kampagne«.

Dass es brodelt, war schon seit sehr langer Zeit kaum übersehbar: Hinter vorgehaltener Hand sprachen Außenamtsmitarbeiter der mittleren und höheren Ebene darüber, wie frustrierend es sei, immer und immer wieder den »Scherbenhaufen« aufkehren zu müssen, den Außenminister Avigdor Lieberman und – noch viel mehr als er – sein Vize Danny Ajalon Tag für Tag aufs Neue auf dem diplomatischen Parkett hinterlassen. Da platzierte Ajalon den türkischen Botschafter bei einem Pressetermin so, dass er auf den Pressebildern wie ein kleiner Schuljunge aussah. Und in den vergangenen Monaten wurde das Außenministerium von Lieberman darauf eingeschworen, kräftig Wahlkampf für den republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney zu betreiben, der sich mit Premier Netanjahu unter anderem einige einflussreiche Wahlkampfspender teilt. »Wir sind Diplomaten, keine Wahlhelfer und keine Nannies für hyperaktive Politiker«, klagte ein Botschaftsmitarbeiter in einem EU-Land, der natürlich lieber namenlos bleiben möchte.

Doch nun haben ausgerechnet die Mitglieder einer Arbeitsgruppe des Außenministeriums, die die Reaktion auf internationale Kampagnen planen soll, diesen Unmut in eine Brandschrift gegossen, und nicht nur das: Sie haben auch dafür gesorgt, dass dieses interne Schriftstück den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat. Ursprünglich war die Arbeitsgruppe auf Geheiß von oben Mitte 2011 eingerichtet worden, um Israels Kampagne gegen den palästinensischen Antrag auf Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen zu koordinieren. Nachdem dieser Antrag Ende des Jahres den direkten Weg vom UN-Sicherheitsrat in die Schublade genommen hatte, sollte sich das Gremium auf die Suche nach Strategien gegen andere internationale Initiativen machen, die nach Ansicht der rechtskonservativ-religiösen Koalition darauf zielen, die Legitimität Israels zu untergraben.

»Eine unlösbare Aufgabe«, schreiben nun die Autoren des offiziell an Regierungschef Netanjahu und Außenminister Lieberman adressierten Memorandums. Man sehe sich mit der Erwartung konfrontiert, Rechtsauffassungen zu vermitteln, an denen man erhebliche Zweifel hege, heißt es beispielsweise zum sogenannten Levy-Bericht, in dem ein Regierungsausschuss die Ansicht äußert, die israelischen Siedlungen seien gar nicht illegal, weil das Westjordanland nicht besetzt sei. Zudem fordern die Autoren eine Rückkehr an den Verhandlungstisch. Es wäre einfacher, auf internationale Kritik zu antworten, wenn die Regierung eine klare, nachvollziehbare Politik formulieren würde.

Ein Sprecher des Außenministeriums bezeichnet das Papier lediglich als »Denkanstoß«. Dennoch stellt es nun ein Problem für die Regierung dar: Ende Januar wird gewählt, gerade haben sich die Parteien Netanjahus und Liebermans zu einer gemeinsamen Liste vereint, die im Wahlkampf für sich in Anspruch nimmt, vor dem Hintergrund des Atomstreits mit Iran mehr als die Mitbewerber die Sicherheit des Staates gewährleisten zu können.

Das Dokument liefert den anderen Parteien nun auf 40 Seiten reichlich Munition gegen diese Behauptung. Denn das Außenministerium gilt im durch sehr häufige Regierungswechsel geprägten Israel als eine »unpolitische« Konstante. Wenn sich seine Mitarbeiter äußern, dann hat dies bei den Wählern Gewicht.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 07. November 2012


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