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Landraub per Gesetz

Israelische Sicherheitskräfte räumen palästinensisches Protestlager gegen illegalen Siedlungsbau

Von Karin Leukefeld *

Nach einem Beschluß des Obersten Gerichtshofes in Israel haben israelische Streitkräfte am Mittwoch ein Protestlager palästinensischer Aktivisten östlich von Jerusalem geräumt. Hunderte Palästinenser hatten in der vorherigen Woche mit dem Aufbau der Zelte ihren Widerstand gegen die anhaltende Siedlungspolitik im besetzten Westjordanland bekundet. Sie gaben ihrem Camp den Namen »Bab Al-Shams«, Tor zur Sonne.

Am vergangenen Sonntag hatten israelische Sicherheitskräfte Aktivisten aus dem Zeltlager vertrieben, das in dem von Israel als »E 1« (East 1) bezeichneten Gebiet errichtet worden war. Das Areal umfaßt rund zwölf Quadratkilometer und wird von Israel als besonders wichtig angesehen. Die Bebauung dieses Gebietes – geplant sind 15000 Wohneinheiten – würde die illegal errichtete Siedlung Maale Adumin praktisch verdoppeln und den Palästinensern den Zugang zu Ostjerusalem weiter erschweren. Dies soll die Hauptstadt eines zukünftigen Staates Palästina werden.

Der Abriß des Zeltlagers war zunächst verhindert worden, weil Palästinenser dem israelischen Gericht Dokumente vorgelegt hatten, wonach das Gebiet von Al-Tur, das Israel »E 1« nennt, historisch und juristisch ihr Eigentum sei. Die Richter stimmten allerdings rasch der Argumentation der israelischen Regierung zu, die vorgebracht hatte, das Lager könne als Basis für gewalttätige Palästinenser dienen. Die Aktivisten von Bab Al-Shams wiesen das vehement zurück und erklärten, ihre Aktion sei ein vollständig gewaltfreies Mittel, um die Rechte der Palästinenser durchzusetzen.

Vor dem Abriß des Zeltlagers in der Nacht zu Donnerstag waren zunächst sämtliche Zugänge von israelischen Militär- und Polizeikräften mit Zementblöcken versperrt worden. Dann begannen sie mit Unterstützung von Dutzenden Siedlern, die Zelte nach Personen zu durchsuchen. Anschließend zerstörten vier Bulldozer und Militärfahrzeuge das Camp. Der Sprecher der israelischen Polizei, Micky Rosenfeld, erklärte anschließend, alle Zelte seien von dem Gebiet entfernt worden, es habe »keine Störungen« gegeben. Mahmud Zawahra, der dem Dorfrat von Bab Al-Shams angehört, sagte der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan News, man werde bald damit beginnen, das Lager wieder aufzubauen.

Die israelische Friedensorganisation Peace Now legte in dieser Woche eine umfangreiche Studie über den illegalen Siedlungsbau Israels im Westjor¬danland vor. Daraus geht hervor, daß die Zahl erteilter Genehmigungen und Ausschreibungen für den Siedlungsbau nie so hoch war wie im vergangenen Jahr 2012. Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe in dessen Amtszeit vor allem »Geld eingeworben und Siedlungen gebaut«, erklärte Yariv Oppenheimer von Peace Now bei der Vorstellung der Studie am Mittwoch. Am gleichen Tag bewilligte das Kabinett erneut 198 Siedlungswohnungen in der Umgebung von Hebron (Westjordanland). Die Daten zeigen Schwankungen im Siedlungsbau zwischen 2002 und 2005 während der Regierungszeit von Ariel Scharon. Die höchste Zahl lag damals bei 2508 (2003), die niedrigste bei 689 (2002). Unter Ministerpräsident Ehud Olmert (2006–2009) ging die Errichtung solcher Quartiere im Westjordanland deutlich zurück, während der Bau in Ostjerusalem, einhergehend mit Hauszerstörungen und Vertreibung der Palästinenser, zunahm. Während eines vereinbarten Moratoriums von zehn Monaten 2009 gab es keinen Siedlungsbau. Seit 2010 stieg er aber massiv an und erreichte 2012 mit der Genehmigung von 3148 Ausschreibungen zum Bau von Wohneinheiten seinen vorläufigen Höhepunkt. Die Dachorganisation der jüdischen Siedler in der Westbank, der Siedlerrat (Yesha Rat), begrüßte die Entwicklung ausdrücklich und erklärte: »Wir hoffen, daß sich in den kommenden Jahren die Zahlen im Siedlungsbau verdoppeln.«

Das Osloer Abkommen (1995) zwischen Israel und der PLO hatte das Westjordanland in drei Zonen zerteilt. Die Zone A umfaßt 18 Prozent des Gebietes, die unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) stehen. Weitere 20 Prozent, die Zone B, unterstehen zwar offiziell auch der PA, Sicherheitsfragen allerdings werden dort von der Besatzungsmacht entschieden. 62 Prozent des Westjordanlandes, die Zone C, unterstehen der Zivil- und Militärverwaltung der Okkupanten. Mit einer Fülle von Sondergesetzen und dem völkerrechtlich illegalen Bau einer Sperrmauer hat Israel den Palästinensern weiteres Land gestohlen und ihre Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 19. Januar 2013


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