Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein Hoffnungsschimmer auf Feuereinstellung im Nahen Osten

Aber noch viel Skepsis. Ein Bericht von Hans Lebrecht (Kibbutz Beit Oren)

Die erneute Einmischung der USA und die Nahost Resolution des EU Gipfels entfachten einen neuen Funken von Hoffnungsschimmer auf eine Feuereinstellung im Nahost Konflikt. Das Busch-Powell Weißes Haus Team fand eine neu entdeckte Realität, nämlich, dass der Nahost Konflikt ihre eigenen Kriegspläne in der Region stören könnte, dass das Palästenservolk eben doch ein Anrecht auf einen eigenen Staat an der Seite Israels hat. Deshalb der von ihnen eingebrachte entsprechende Sicherheitsratsbeschluss. Deshalb die erneute Entsendung ihres Abgesandten, General Anthony Zinni, nach Jerusalem und Ramallah, um nach dem Rechten zu sehen. Gleichzeitig erklärte die in Barcelona getagt habende EU Gipfelkonferenz ihre Unterstützung für die von dem saudischen Kronprinzen Abdullah eingebrachte Initiative für eine friedliche Regelung des Konflikts. Die EU Resolution fordert beide Seiten auf, Israel und die Palästinenser, ihre Gewaltaktionen zu zügeln. Insbesondere wird Israel aufgerufen, seine "Anwendung übermäßiger Gewalt" einzustellen. Allerdings wird diese neueste Entwicklung, angesichts der Erfahrungen mit Scharon und seinem noch Generalstabschef Mofas, in Israel und Palästina mit großer Skeptik betrachtet.

Gleichzeitig mit den ersten Scharon-Zinni Gesprächen am Freitag (15. März) abend ordneten der israelische Regierungschef Scharon und sein Kriegsminister Ben-Elieser den Rückzug ihrer Okkupationsarmee aus drei palästinensischen Städten, Ramallah, Tul Karm und Qalqilijeh an und die etwa 200 dabei eingesetzten Panzer und die Elite Truppen sich zu einer Umzingelung dieser und anderer Städte im Westjordangebiet neu zu formieren. Die teilweise Besatzung anderer palästinensischer Städte im Westjordangebiet und im Gazastreifen bleiben einstweilen unverändert. Die beiden Herren versprachen Zinni außerdem, die Luftangriffe auf Ziele in den palästinensischen Städten, sowie die außerjuridischen Exekutionen von mutmaßlichen "Terroristen", vorläufig einzustellen. Allerdings warnte Scharon, daß Israel palästinensische mörderische Terroraktionen auch weiterhin mit aller Wucht vergelten werden würde. Ob Scharon "gnädigerweise" Arafat zu dem nächste Woche in Bedirut stattfindenden Gipfel der arabischen Staaten ausreisen lassen wird, steht auch noch offen. Auf der anderen Seite erklärte der Palästinenser Präsident Arafat und seine Sprachrohre eindeutig, dass sie nicht bereit seien, sich mit einer israelischen Delegation zu Feuereinstellungsgesprächen, mit oder ohne Zinni, zu treffen, solange Israel sich nicht aus allen Teilen der unter palästinensischer Verwaltung stehenden Gebieten in Stadt und Land (Area "A") vollständig zurückgezogen hätten. Was den Friedensprozess betrifft, so bestehen alle palästinensischen Politiker darauf, damit würde ihrerseits absolut kein Hindernis im Wege stehen, wenn Israel sich aus allen, seit 1967 besetzten Gebieten, auch innerhalb von Jerusalem, zurückziehen werde, wie es das Völkerrecht und die diversen UNO und Sicherheitsrats Beschlüsse vorschreiben.

Zahlreiche israelische, dem Friedenslager angehörende Beobachter, darunter auch einige Medien Analytiker, zeigten Skeptik gegenüber dem jetzt, zu Ehren des U.S. Envoys Zinni von Scharon aufgesetzten "Sinneswandel" von Scharon. Der teilweise Rückzug der Okkupationsarmee aus Teilen der jüngst wiedereroberten Städten sei ganz offensichtlich nur ein taktisches Scheinmanöver zum Zwecke der Irreführung der internationalen öffentlichen Meinung. Scharons in Wort und Tat geltendes strategisches Grundprinzip war doch schon seit seinen ersten Offizierskommandos als Major der außerhalb der Grenzen Israels Araber mordenden "101 Einheit" Kommandos der frühen 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts, als Oberkommandierender General der 1967 die Sinai Halbinsel eroberende Südarmee und deren Massenmord an ägyptischen, sich nach dem Waffenstillstand ergebenden Armeeangehörigen, der "Säuberung" weiter Teile des Gazastreifen von palästinensischen Beduinen und anderer Ureinwohner zum Zwecke der Ansiedlung von Israelis dort, dann während der von ihm 1982 als "Verteidigungs"minister orchestrierten Libanon Invasion und der Greueltaten in den dort befindlichen Flüchtlingslagern Ein-el-Hilweh, Sabra, Schatila und anderen, und so weiter, war und bleibt die Fortsetzung der 1948-49 nicht vollendeten "Säuberung" von ganz "Eretz-Israel" westlich des Jordanflusses von Arabern. Daran können weder Busch, Powell, Cheney oder Zinni und auch nicht die europäischen Staatsmänner ändern. Sollen die Palästinenser doch, wie er zur Zeit der Libanoninvasion offen erklärte, ihren Staat in Jordanien oder einer Wüstengegend eines anderen arabischen Staates errichten.

Was hat Scharon nicht alles schon probiert, um diesem, seinem strategischen Ziel näher zu kommen. Während der vergangenen Wochen war es wiederum zügellose militärische Gewalt, einschlieslich des Einsatzes hunderter von schweren Panzern, von Raketen feurnde Apatsche Kanpfhubschrauber und F-16 Kampfflugzeuge, sowie schauerlicher und unmenschlicher Greueltaten an Einwohner von Flüchtlingslagern und deren Heimstätten. Szenen von zusammengetriebenen Männern und Jugendlichen, deren gefesselte Abschleppung nach israelischen Haftlagern, ja sogar Einprägung von Nummern auf die Unterarme der Verhafteten, die Zerstörungen von tausenden von Häuserwänden und verwüsteten Wohnungen und noch Vieles mehr, erschütterten Zuschauer von Fernsehreportagen in allen Teilen der Welt. Allein in diesem Monat März, der noch nicht zu Ende ist, mussten bereits mehr als 200 Palästinenser und 62 Israelis den Scharonwahnwitz mit ihrem Leben bezahlen!

Bleibt nur noch die Anwendung des in Israel vorhandenen Arsenals von nuklearen Waffen, wenn nichts anderes helfen sollte, bemerkte Doron Rosenblum in seinem Kommentar in der bürgerflichen Ha'aretz Tageszeitung vom 17. März. Das würde ja nur mit den neuestens veröffentlichten, aus den USA kommenden nuklearen Plänen der USA "Terrorbekämpfer" zusammenpassen.

Zinni kommt und Zinni geht, aber Scharon und die mit Losungen für einen noch extremeren Gewaltkrieg gegen die Palästinenser trommelnden Kolonialisten Siedler und ihre rassisisch-faschistischen Politiker in Scharons eigener Likudpartei und rechts davon, bleiben. Die am 9. März auf dem Rabinplatz stattgefundene Massenkundgebung der "Jesha" Siedler Kriegstreiber, zu welcher sie per Busse und anderer Fahrzeuge mehr als 60,000 Teilnehmer, hauptsächlich aus ihren Siedlungen auf palästinensischen Gebiet angeschleppt hatten, musste als Menetekel für den zu erwarteten horrent blutigen Krieg gewertet werden. Da kann auch Zinni nicht helfen. Haben doch in Meiunungsumfragen bereits 46 der befragten Israelis sich für einen "Transfer", d.h., für die Vertreibung der Palästinenser nach Jordanien oder sonstwohin ausgesprochen.

Allerdings verstärken demgegenüber auch die Friedenskräfte ihre Aktionen. Außer den alltäglich vorkommenden Kundgebungen versammelten sich viele Tausende Anhänger der Friedenskoalition, in welcher sich nahezu alle Organisationen und Gruppierung der verschiedenen Teile des Friedenslagers zusammengeschlossen haben, am Samstag (16. März) abend gleichzeitig zu einem Sternmarsch in Jerusalem zu einer Massenkundgebung vor der Residenz von Scharon, einer Großkundgebung in Tel-Aviv und einer weiteren in Haifa. Ihre Forderung nach bedingungslosem Rückzug aus den seit 1967 besetzten Gebieten und der Respektierung der nationalen Rechte beider Völker Israels und Palästinas gewinnt zusehends an Stärke. Damit spitzt sich die politische Auseinandersetzung über die Zukunft Israels und der Palästinenser zusehends schärfer, der Widerstand gegen Scharon sowohl von rechtsradikaler Seite, welche Scharon vorwerfen, nicht radikal genug seine eigenen Ziele zu verfolgen, als auch von Seiten der linken und liberal-bürgerlichen Kräfte, zu.

Welche der Seiten die Oberhand gewinnen kann, ist nicht zuletzt auch von der internationalen Öffentlichkeit abhängig. Solidarität und Freundschaft sollte nicht in Richtung der israelischen Kriegstreiber im Scharonkabinett und den Siedler "Pionieren" gerichtet sein, sondern der Förderung der Friedenskräfte in Israel und Palästina, der dringend notwendigen materiallen und finanziellen Unterstützung der durch die Okkupationswillkür leidenden palästinensischen Massen, sowie für den zukünftigen Wiederaufbau der von Israel vernichteten ökonomischen Infrastruktur in Palästina dienen.

Ob der dieser Tage neu entzündende Funke eines Hoffnungsschimmers, zumindest auf eine Feuereinstellung und der Aufnahme von Friedensgesprächen tatsächlich den Weg zu Frieden und gutnachbarlichen Verhätnissen in unserer Region öffnen wird, oder ob es Scharon und seinen Kriegstreiber Gesellen gelingen wird, diesen Weg weiterhin zu verstellen, muss noch abgewartet werden. Jedenfalls darf man dieses Abwarten nicht mit den Händen im Schoß verbringen, sondern die Friedensinitiativen verstärkt zu fördern.

Kibbutz Beit Oren, 17. März 2002


Zur Israel-Seite

Zur Nahost-Seite

Zurück zur Homepage