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Die Wirtschaftsmisere trifft auch Israel

Der Krieg allein ist nicht Schuld daran

Von Hans Lebrecht

Es wäre allzu einfach, die militärischen Gewaltmaßnahmen gegen die Palästininenser und deren Widerstand alleine als Grund für die schlimme Wirtschaftsmisere in welche die regierenden Kreise Israel hineinmanövriert hat anzuführen. Es stimmt schon, dass die 22 Monate der gegenwärtigen Intifada und der Wahnwitz der Regierung, diese nicht auf diplomatischen und friedlichen Wegen zu beenden, sondern zu versuchen, den Palästinensern mit brutaler Gewalt das israelische Kolonialregime aufzuzwingen, den Staatssäckel stark belastet. Die politisch-ökonomische Anpassung der israelischen Außenpolitik und Wirtschaft an die Interessen der globalisierenden transnationalen Monopolgesellschaften haben mindestens den selben Stellenwert bei den Hintergründen der katastrophalen Lage.

Richtig, Wirtschaftsexperten schätzen zur Zeit, dass der schon nahezu zwei Jahre andauernde und unmöglich zum Erfolg führende Versuch, das um seine Befreiung von israelischer Besatzung und unmenschlicher Schikanierung kämpfende Palästinenservolk mit brutaler Supermilitärgewalt in die Kniee zu zwingen, den Staatssäckel, Experten zufolge, bereits etwa 57 Milliarden Schekel (NIS) (ca. 12.7 Mrd Euro) gekostet hat. Selbst wenn man davon die jährliche "Hilfe" der USA Regierung für Rüstungszwecke (die meistens in israelische Aufträge an die Rüstungsindustrie in den USA angelegt werden) abzieht, so bleiben immer noch nahezu 30 Mrd NIS (nahezu 7 Mrd Euro) auf den Schultern der israelischen Steuerzahler lastende Kosten. Dazu kommt, dass als ganz geradlinige Folge der durch die Politik der Regierung aufs schwerste erschütterten Sicherheitslage in Israel ganze Wirtschaftszweige, wie die Touristik, Gastgewerbe und der Kleinhandel, die Bauindustrie, der landwirtschaftliche und Hi-Tech Export schwer getroffen wurden.

Aber bei diesen Überlegungen sollte nicht vergessen werden, dass eingentlich schon immer der im Umlauf gehende Witz, derzufolge wenn jemand in der New-Yorker Börse nießt, die Tel-Avivder Börse an einer schwerem Grippe leidet. Und wie in allen kapitalistisch regierten Ländern richtet sich der Wirtschaftsindex nicht danach, wie es mit der Lebenslage der arbeitenden Bevölkerung steht, sondern wie es mit den Profiten der Börsianer und der Banken geht. Dazu muss man auch rechnen, dass zumindest ein Teil des gegenwärtigen Wirtschaftsdebakel auch der ernsten Lage der kapitalistischen Monopolgesellschaft zuzurechnen ist. Ist doch die israelische Wirtschaft eng mit der globalen kapitalistischen Wirtschaft verknüpft.

Im Verlauf der Angleichung der israelischen Wirtschaftspolitik an die Globalisierung auf dem kapitalistischem Weltmarkt sind einige, früher in Israel führend gewesene Wirtschaftszweige völlig, oder nahzu völlig verschwunden. Dazu gehört vor allem die Textilindustrie, sowie die seit dem Vorjahr in einer tiefen Krise steckende Hi-Tech Industrie, welche während der vergangenen zwei Jahrzehnte zu einer wichtigen israelischen Industrie Export Branche herangewachsen war und gegenwärtig zu nahzu 50 Prozent still liegt.

Gerade die Textilindustrie gibt ein anschauliches Beispiel ab. 1991 gab es noch zwei größere, 200 mittelgroße und 2,100 kleinere Herstellerbetriebe in der Textilbranche. Diese Textilbetriebe waren zum großen Teil, entsprechend einer ehemaligen (vor dem 1967 Eroberungskrieg) geltenden Politik der Ausbreitung der jüdischen Bevölkerung in so genante "Entwicklungsstädte" im Süden und Norden des Landes mit kräftigen Kapitalszusschüssen von Seiten der Regierung angelegt worden. Alle diese Betriebe, eventuell mit ganz geringen Ausnahmen, haben ihre Tore geschlossen. Ihre Unternehmer, oder vor allem durch Verschuldung an Banken von diesen gezwungen, verlegten die Betriebe zunächst in neue jüdische Siedlungen in den seit 1967 besetzten Gebiete. Dort fanden sie damals äußerst billige Arbeitskräfte aus den benachbarten palästinensischen Städten und Dörfern fanden, deren Bewohner ihre Arbeit auf den von Israel geraubten Ländereien verloren hatten. Außerdem wurden viele Betriebe in die, insbesondere von dem so genannten "Shimon-Peres Friedenszentrum" propagierten Industrie-und-Handelsparks im besetzten Westjordangebiet (das jetzt brachliegende bei Dschenin) und an der Grenze zum Gazastreifen (Karmi) verlegt, wo ebenfalls billige palästinensische Arbeitskraft zur Verfügung stand. Weitere solche "Parks" wurden (und werden) mit Unterstützung des Peres Zentrums und im Rahmen der vor allem von der USA imperialistischen Globalisierungspolitik in Kuweit, in Oman und den arabischen Golf Emiraten geplant, auch schon angelegt und teilweise in Betrieb. Damit war es mit der ehemals blühenden israelischen Textilindustrie zu Ende.

Eine der traurigen Folgen davon ist, dass die ehemals "Entwicklungsstädte" getauften Kleinstädte im südlichen Negeb Bezirk und im Norden Israels von Arbeitslosigkeit bis zu 20 und 35 Prozent der arbeitswilligen Bevölkerung betroffen sind. Besonders im von einer Mehrheit arabisch-palästinensischer Bürger bewohnten Nordbezirk (Galiläa), in welchem schon vor 50 und 40 Jahren Israel weitgehend deren landwirtschaftlichen Boden beschlagnahmt hatte, waren bis vor dieser Verlegung der Textilbetriebe, vor allem tausende von Frauen in Kleinbetrieben oder Heimarbeit beschäftigt, welche jetzt Arbeit suchen. Dies, zusammen mit der die arabische Minderheit aufs Gröbste benachteiligende Arbeitsbeschaffung überhaupt, trug wesentlich zu der schlimmen Arbeitslosigkeit in diesen "außenliegenden" Bezirken bei. Von den 20 am Schlimmsten betroffenen Städten in Israel mit mehr als 25 Prozent Arbeitslosigkeit der arbeitenden Bevölkerung sind 14 von arabischen Bürgern bewohnte, vier der "Entwicklungsstädte" und zwei "gemischte" jüdisch-arabische Städte. Die landesweite Arbeitslosigkeit beläuft sich auf etwa 310,000 oder 11,4 Prozent der zivilen Arbeitskraft.

Im Juni dieses Jahres wurde von der Scharon Regierung und seinem Finanzminister Silwan Schalom durch die Knesset gepeitschte 11.5 Mrd Schekel (2,6 Mrd Euro) Kürzungen vom diesjährigen Staatshaushalt gekürzt. Diese betrafen vor allem die staatlichen Sozialleistungen. Im Klartext heißt das, dass die Alters- und Invalidenrenten, das Kindergeld für kinderreiche Familiem, die Arbeitslosenrenten und Sozialzuschüsse für Aufbesserung der Einnahmen durch Löhne bis zum amtlichen Mindesteinkommen usw pauschal um vier Prozent gekürzt wurden. Bei der Kürzung der Kindergelder ließ sich die Mehrheit der rechtradikalen Gesetzgeber eine besondere rassistische Gemeinheit einfallen:
Das Kindergeld wurde pauschal um vier Prozent gekürzt. Für Familien aber, in welchem keiner der Eltern in der Armee oder anderen "Sicherheitsdiensten" ohne eine amtliche Befreiung dienten, wird das Kindergeld um 24 (ja, vierundzwanzig) Prozent gekürzt. Das betrifft beinahe ausschließlich den arabischen Bevölkerungsteil, der von den Regierungsämtern als Muslims oder Christen, auch wenn sie sekulär sind, registriert sind (etwa 17 Prozent der israelischen Bürger). Ob diese wollen oder nicht, werden sie gar nicht zum Militärdienst aufgerufen und dienen deshalb auch nicht.

Die hauptsächlich vom Massenkonsumenten getragene Mehrwertsteuer wurde um ein Prozent von 17 auf 18 gesteigert. Die von Patienten getragenen Anteile an amtlicher Eigenbezahlung für von bei den Krankenkassen erworbenen und vom staatlichen Gesundheitsdienst bezahlten Arzneien, für Arztbesuche und Krankenhausdienste, wurden erheblich erhöht. Ein dieser Tage veröffentlichter Bericht des staatlichen Überwachungsamtes der Krankenkassen stellte fest, dass ein wesentlicher Teil der Rentner die für sie verordneten permanent benötigte Arzneien entweder gar nicht, oder nur zum kleinen Teil erwirbt, da sie das Geld dafür nicht haben.

Vorige Woche hat die Regierung mit einer Mehrheit der rechtskonservativen und rechtsradikalen Minister gegen die Stimmen der sephardischen ultra-orthodoxen Schass und der Arbeitspartei Minister den vom Finanzministerium vorgelegten Staatshaushaltplan für das Jahr 2003 adoptiert. Da sollen weitere 8.7 Mrd Schekel eingespart werden. Diese "Einsparungen" bedeuten weitere drastische Kürzungen der Sozialhilfeleistungen eingeplant.

Finanzminister Schalom verteidigte vor allem die vorgesehene Kürzung der Arbeitslosenunterstützung mit der althergebrachten großkapitalistischen Verleumdung, derzufolge die Arbeistlosen selbst an ihrem Schicksal schuld seien. Ein großer Teil von ihnen seien einfach zu faul um zu arbeiten und lebten auf Staatskosten von den Arbeitslosengeldern, das müsse eingesgtellt werden, verkündete er. Sein Konzept zur Abhilfe für diesen "unerträglichen Zustand" sei, den Bezug von Arbeitslosengeld zeitlich drastisch zu kürzen. Außerdem soll ein Arbeitsloser, welcher sich weigert eine Stelle, die ihm beim Arbeitsamt angeboten wird, anzunehmen, weil sie weit entfernt von seinem Heimatort ist, oder weil sie unter seinem professionellen Niveau sei, künftighin überhaupt keine Unterstützung mehr beziehen. Das gelte auch für Akademiker, welche sich weigern, ungelernte Notstandsarbeiten anzunehmen. Von der unglaublich frech verleumderischen Streichung von Arbeitslosengeldern alleine verspricht sich Schalom eine Einsparung im nächsten Jahr von etwa 2.2 Mrd Schekel (490 Mil Euro).

Im Klartext heißt das: So wie nach Ansicht von Scharon die Palästinenser selbst an ihrem durch die israelische Besetzung ihrer Heimat und ihre daraus entstandenen Schwierigkeiten schuld sind, sollen jetzt nach Ansicht seines Finanzministers auch die Arbeitslosen für die durch die kapitalistische Profitsucht und die Wirtschaftspolitik entstandene Massen Abeitslosigkeit bestraft werden. Außerdem sind weitere Kürzungen für Rentner und andere Sozialfürorge Empfänger vorgesehen.

Allerdings bedeutet die Annahme der Regierung dieses neuen, weitere einschneidende Kürzungen verheißenden Staatshaushaltplanes für das nächste Jahr noch lang nicht, daß dieser auch von der Knesset so angenommen werden wird, wie er durch die Regierung adoptiert worden ist. Der parlamentarische Weg zur Umsetzung des Staatshaushaltplans in die Tat ist lange. Wahrscheinlich dauert er seine sieben Monate. So kann man erfahrungsgemäß mit Sicherheit annehmen, dass zum Beispiel die aus populistischen Gründen darin enhaltene drei-Milliarden Kürzung des sogenannten Verteidigungsetats für Rüstungszwecke nicht realisiert, oder aber durch neue Auflagen ausgeglichen werden wird.

Ebenso kann angenommen werden, dass das neue Steuergesetz, das vor Kurzem von der Knessetmehrheit angenommen wurde nicht in die Tat umgesetzt werden wird. Dieser aus propagandistischen Gründen im Vorfeld der erneuten drastischen Kürzungen der Sozialhilfe angenommene Abänderung entsprechend, soll ab Mitte 2003 ein bis zwei Prozent Einkommensteuer von Börsen- und anderen Kapitalgewinnen eingezogen werden. Bis jetzt waren und sind immer noch jede Art von Kapitalgewinnen von Steuern und Abgaben an den Staat vollständig befreit. Wetten, dass dieses Gesetz bis zu seiner vorgesehenen Ausführung vom Tisch sein wird.

Für die Lösung der schweren politischen, wie auch der wirtschaftlichen Krise gibt es nach Anschauung der progressiven Mehrheit der öffentlichen Meinung nur ein Rezept: Israel muss bereit sein, sich aus den noch besetzt gehaltenen palästinensischen und syrischen Gebieten zu den Linien von vor 1967 zurückzeihen. Die illegal, im Widerspruch zum Völkerrecht in den besetzten Gebieten errichteten jüdischen Siedlungen müssen evakuiert werden. Das allein wird Unsumen von Staatsgeldern für deren militärischen Schutz einsparen. Nach einer dieser Tage von der Schalom-Achschav (Frieden-Jetzt) Bewegung veröffentlichten Meinungsumfrage unter den Einwohnern dieser jüdischen Siedlungen sind mehr als 63 Prozent davon bereit, im Gegenzug von Bereitstellung von Wohnungen im israelischen Heimatland ihre Wohnungen in den Siedlungen aufzugeben. Ebenso sollte es Israel aufgeben, die für die israelische Wirtschaft so schädliche Rolle eines Vorreiters des globalisierenden Finanzkapitals im Nahen Osten zu spielen. Nur die Realisierung dieses Konzepts wird sowohl die Sicherheitsprobleme, als auch die politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten lösen können.

Hans Lebrecht, Kibbutz Beit-Oren, 4. August 2002


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