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Israels Mauer und die Wasserressourcen

Von Clemens Messerschmid

Seit Ende 2002 baut Israel seine sogenannte Trennmauer. Im Juli 2003 sollen die ersten beiden Teile der Mauer fertiggestellt sein. Sie bestehen aus einem nördlichen Abschnitt von Salem im Norden der West Bank bis Elkana, 10 km südöstlich von Qalqiliya (128 km Länge) und dem Jerusalem-Envelope zwischen Ramallah und Bethlehem (22 km). In der zweiten, bereits im Januar 2003 beschlossenen Phase soll der nördliche Abschnitt bis nach Tayasir erweitert werden. Zwei weitere Abschnitte sind in Planung.
Der Wall besteht aus einem 35-50m breiten Streifen mit zwei Drahtverhauen außen und Gräben und Beobachtungsstreifen sowie einer Patrouillierstrasse dazwischen. In der Mitte befindet sich entweder eine bis zu acht Meter hohe Mauer oder ein elektronisch gesicherter Zaun, der auf Berührung, Durchschneiden, Übersteigen und Schütteln reagieren soll. Zusätzlich werden Beobachtungsmittel wie Kameras, Nachtsichtgeräte und Radar eingesetzt. Die Gesamtlänge der Mauer soll 600 km betragen. Pro Kilometer werden etwa 2 Mio. Euro verbaut (Haaretz, 9.5.03).


Der Nordabschnitt der Mauer (1) zwischen Salem und Elkana verläuft im Grenzgebiet zwischen der West Bank und Israel, wo die Ausläufer des Hügellandes des großen West Bank-Sattels in die westliche Küstenebene übergehen. 83 km2 Land wurden enteignet, kostbare Agrarfläche und Hinterland vieler Dörfer im Mauerstreifen. 8.4 km2 Obst- und Olivenhaine wurden gerodet. Die nun kahlrasierten Olivenhaine sind für Israel wertvolles Bauland und ein unverhofftes Geschenk für die Städteplaner Israels in der dicht besiedelten Küstenebene - machen doch die bislang enteigneten Gebiete im nördlichen Mauerabschnitt bereits 2% der West Bank-Fläche aus. Zudem werden 16 Dörfer mit 13.386 Einwohnern westlich der Mauer liegen und 238 km2 Agrarland von den Bauern isoliert. Die Agrarflächen von 53 Dörfern mit einer Fläche von fast 142 km2 werden zusätzlich von der Mauer betroffen sein. Tausende verlieren mit dem Land ihre einzige Einkommensquelle.(2)

Geographisch-hydrologischer Hintergrund

Neben Jericho mit seinen starken Oasenquellen ist das Mauergebiet der Schwerpunkt palästinensischer Bewässerungslandwirtschaft in der West Bank: 37% der Agrarproduktion entstammen den Bezirken Jenin, Tulkarem und Qalqiliya. Bewässerung ist der limitierende Faktor in der Landwirtschaft dieser Region. Während hier im Jahr 2000 im Regenfeldbau nur 319 Tonnen pro km2 erwirtschaftet wurden, warfen bewässerte Flächen 6.960 Tonnen und einen Ertrag von 430.000 $ pro km2 ab.

Seit Beginn der israelischen Besatzung 1967, herrscht aufgrund des weitgehenden Fehlens von Industrie eine besondere strukturelle Abhängigkeit der Lohnarbeit von der seinerzeit geförderten Wanderarbeit in Israel, zumeist auf dem Bau. Etwa seit dem zweiten Golfkrieg 1991 und verschärft seit den Verträgen von Oslo 1993, brauchen jedoch alle Palästinenser, die in Israel arbeiten wollen, eine Sondergenehmigung, die so schwer zu bekommen ist, daß die Zahl der in Israel beschäftigten Arbeiter auf einen Bruchteil ihres früheren Wertes gesunken ist. Wer seit Beginn der Abriegelung nicht wieder in der Landwirtschaft sein Auskommen gefunden hat, ist deshalb hier im Grenzstreifen beinahe mit Sicherheit zu Dauerarbeitslosigkeit seit nunmehr 10 Jahren verdammt: 77,3% sind als arbeitslos eingestuft. Die Beschäftigungsrate in der Landwirtschaft ist hier überraschend niedrig, denn nur 6% der Flächen stehen unter Bewässerung. Deshalb sind auch nur 11% der Beschäftigten im Agrarsektor tätig, während es in der gesamten West Bank im Schnitt 43% sind. Das wird sich erst ändern, wenn mehr Wasser für Bewässerung zur Verfügung steht.

Hydrologisch gesehen verläuft die Mauer im Gebiet des Westlichen Bergaquifers (Westlicher Aquifer), einem Grundwasserbecken, dessen Nährgebiet in den Höhen der West Bank liegt, dessen Hauptpumpgebiet jedoch in einem Streifen parallel zur Grünen Linie von 1948 verläuft. Durch die natürlichen Flußverhältnisse des Grundwassers ist nur ein schmaler Streifen in der Westbank vielversprechend für Brunnenförderung.

Der Westliche Aquifer ist der größte und wichtigste Aquifer in Israel und Palästina mit Pumpraten um 360 Mio. Kubikmeter pro Jahr. In trockenen Jahren steigt die Förderrate auf bis zu 572 Mio. m3 pro Jahr.(3) Er hat somit ein höheres Wasserdargebot als die beiden anderen Grundwasserbecken, die der West Bank entspringen (das östliche und das nordöstliche Becken) zusammen. Zudem zeigen diese beiden Becken deutlich ungünstigere Bohr- und Pumpbedingungen. Anders der Westliche Aquifer. In ihm vereinen sich flachgründige Wasserstände mit hohen Pumpraten. Er wurde in Israel, v.a. in den 1950er und 1960er Jahren kräftig entwickelt. In der West Bank unterband die israelische Besatzung seit 1967 beinahe jegliche Bohrtätigkeit. Nur 23 Brunnen durften in der gesamten West Bank von den Palästinensern zwischen 1967 und 1990 gebohrt werden, 20 davon ausschließlich für Trinkwasserzwecke und oftmals unter indirekter israelischer Besatzungskontrolle. Während jedoch Israel den Palästinensern in Oslo einige neue Bohrungen im Osten und Nordosten zugestand, blieb es in Bezug auf den Westlichen Aquifer hart. Sämtliche palästinensischen Brunnen stammen deshalb hier noch aus jordanischer Zeit. Aufgrund dieser politischen Bedingungen ist die Nutzung des westlichen Aquifers besonders ungerecht aufgeteilt: Es existieren rund 500 starke Tiefbrunnen in Israel, wohingegen die Palästinenser sich mit ihren 159 alten Brunnen begnügen müssen, die außerdem weniger tief und produktiv sind.

Interessenkonflikt um den Aquifer

Viele der israelischen Brunnen im Westlichen Aquifer sind mit dem National Water Carrier verbunden: Das Wasser ist mobil und für das gesamte Land nutzbar. Viele palästinensische Dörfer haben hingegen nur sehr unzureichende oder gar keine eigene Wasserversorgung. Diese Gebiete werden meist durch die israelische staatliche Wasserfirma Mekorot versorgt, wobei eine zusätzliche Ungleichbehandlung in Umfang, Service und Preis der Wasserlieferungen zu beobachten ist. Als zukünftige Entwicklungsperspektive haben die palästinensischen Einwohner dieser Region keinerlei Ausweichmöglichkeit auf andere Grundwasservorkommen. Deshalb und aufgrund der o.a. Ungleichverteilung ist dieses Becken das am heißesten umstrittene in den Wasserverhandlungen.

Im internationalen Recht ist Grundwasseraufteilung ein schwieriges Thema und es gibt kaum Präzedenzfälle, nach denen ge- und verhandelt werden kann. Es kann an dieser Stelle nicht vertiefend auf diesen Aspekt eingegangen werden, es sei nur soviel gesagt: Israel wechselt seine Argumentation häufig, bzw. verschiedene Interessensgruppen in Israel argumentieren auf unterschiedliche Weise. Eine häufig benutzte Argumentation beruft sich auf den established water use. Dies übersieht jedoch, daß die gegenwärtige Nutzung nicht organisch gewachsen, sondern eine Folge der Besatzung ist. Die Palästinenser hingegen berufen sich oft auf den internationalen Grundsatz des am Oberlauf liegenden Anrainers (analog zu den häufigen Streitfällen um Flüsse), denn 90% der Wiederauffüllung des Aquifers durch Regen findet innerhalb der West Bank statt. Israel lehnt diese Argumentation im Falle des Westlichen Aquifers ab, beruft sich aber darauf im Falle des Jordan-Flusses, dessen Oberlauf es kontrolliert. Erfolg in den Verhandlungen setzt für die Palästinenser nicht nur gute technische Vorbereitungen voraus. Es ist auch essentiell, daß die Bedeutung der Mauer international bekannt wird und dadurch internationaler Druck auf Israel entsteht.

Zusätzlich rückt der Westliche Aquifer ins Zentrum der Auseinandersetzungen, falls Israel sich weigern sollte, die Verantwortung für die Versorgung Gazas wenigstens teilweise mit zu übernehmen. Dort ist die Nutzung bereits seit langem im roten Bereich und drastisches Überpumpen hat jetzt schon katastrophale Auswirkungen, sowohl ökonomisch und ökologisch als auch gesundheitlich. Sollte also die West Bank im Ergebnis kommender Verhandlungen Gaza mitversorgen müssen, so kommt hierfür nur der Westliche Aquifer in Frage. Es ist unmöglich bzw. widersinnig, Wasser von der Ostseite der West Bank nahe dem Toten Meer mehr als 1.000 m hoch über die Berge Hebrons zu pumpen und für Milliarden Euro Rohrleitungen zu verlegen, wenn die natürlichen Flussverhältnisse das Wasser im Westlichen Aquifer Gaza sozusagen vor die Haustür liefern.

Seit langem fordern die Palästinenser mehr Wasser, sowohl in Form von Trinkwasser als auch für die wirtschaftliche Entwicklung. Ökonomisch ist Palästina weit von einem Industriestaat entfernt. Zumindest für eine längere Übergangsperiode wird es sich daher stark auf die Landwirtschaft stützen müssen, v.a. nahe der Grünen Linie, wo seit der Sperrung Israels besonders viele Menschen arbeitslos sind. Wasser ist hierfür zentral. Dies bedeutet, daß wenn über die Auswirkungen der Mauer gesprochen wird, nicht nur der Verlust bestehender Nutzung sondern auch zukünftigen Entwicklungspotentials Beachtung geschenkt werden muß.

Die Mauer im israelisch-palästinensischen Wasserkonflikt

Der bislang gebaute Abschnitt zwischen Salem und Alkana läßt 47 Brunnen in der Gegend zwischen Tulkarem und Qalqiliya auf die unerreichbare Seite westlich der Mauer fallen.

Viele Palästinenser - und auch die ausländische Berichterstattung - argwöhnen nun, dies geschehe mit der bewußten Absicht Israels, sich diese Brunnen und ihre Förderung einzuverleiben. Diese Ansicht erscheint jedoch kaum haltbar, vergegenwärtigt man sich die physische Struktur der Wasserressourcen, ihrer Nutzung und der technischen Anlagen:

Zum einen sind die Brunnen nicht tief und nicht ergiebig, denn sie liegen in weniger gutem Pumpgebiet als die Brunnen auf israelischer Seite.

Zum anderen macht die direkt betroffene Menge an Wasser insgesamt nur rund 5 Mio. m3 pro Jahr aus. Zählt man die Brunnen dazu, die bedroht sind, wenn Israel, so wie in Gaza, einen etwa 1 km breiten Streifen östlich der Mauer zu einem Sicherheits-Sperrgebiet erklärt, so treten noch 60 weitere Brunnen mit 10.3 Mio. m3 Fördermenge hinzu. Diese 15 Mio. m3 pro Jahr machen zusammengenommen gerade viereinhalb Prozent der jährlichen israelischen Förderrate aus und liegen damit weit unterhalb der saisonalen und jährlichen Schwankungen, welche sich im Bereich von bis zu Hunderten von Millionen Kubikmetern bewegen.

Schließlich darf auch nicht vergessen werden, daß die meisten palästinensischen Brunnen zur Bewässerung gebaut wurden. Anders als die meisten israelischen Brunnen haben sie deshalb keinen unterirdischen Anschluß an Leitungsnetze, um das Wasser in weiter entfernte Gebiete zu pumpen, oder gar in den National Water Carrier einzuspeisen. Genau aus diesem technischen Grund ist jedoch andererseits schon absehbar, daß die palästinensischen Brunneneigner ihres Wassers vollständig verlustig gehen werden: Sie kämen an das Wasser selbst dann nicht heran, wenn ihre Brunnen auf der anderen Seite weiterliefen.

Und endlich muß hier Erwähnung finden, daß Israel in der Lage ist, diese 15 Mio. m3 weitgehend für sich zu nutzen, indem es einfach die Pumpraten in seinen eigenen weiter westlich gelegenen Brunnen leicht erhöht. De facto wird Israel somit in der Lage sein, das Wasser auf sozusagen "unsichtbare Weise" zu nutzen, ohne die palästinensischen Brunnen selbst auch nur anzurühren. Für die Palästinenser machen die erwähnten 5 bzw. 15 Mio. m3 pro Jahr etwa 23-75% der durchschnittlichen Förderrate im Westlichen Aquifer aus und sind damit ein schmerzhafter Verlust, der die Landwirtschaft in ihren Möglichkeiten extrem beschneidet. In erster Linie sind die unmittelbar im Mauerstreifen liegenden Dörfer und Städte betroffen.

Interessenszonen Israels: Westbankwasser und Siedlungen

Noch einschneidender sind jedoch die indirekten, zukünftigen Verluste. Denn in wasserwirtschaftlicher Hinsicht gehen nicht nur 47 bzw. 107 Brunnen verloren. Für die Zukunft ist v.a. wichtig, daß hiermit auch jegliche Aussicht auf eine zukünftige Förderung aus neuen Brunnen (nach erfolgreichen Verhandlungen) unterbunden wird. Der Streifen westlich der Mauer, der von Israel de facto annektiert wird, fällt mit dem beinahe einzigen Gebiet zusammen, in dem vielversprechende Standorte für zukünftige Brunnen liegen. Alle Gebiete weiter östlich liegen bereits an den Hängen der West Bank und zählen aus hydrogeologischer Sicht nicht mehr zum Pumpgebiet, sondern liegen im Übergangsbereich zwischen dem Wiederauffüllungsgebiet in den Bergen und den Pumpgebieten in der Ebene. Die Wasserspiegel sind dort nur in großen Tiefen anzutreffen, die grundwasserführenden Schichten sind nur teilweise saturiert und könnten deshalb höchstens in sehr schwachen Brunnen mit hohen Wasserspiegelabsenkungen erbohrt werden. Die Palästinenser verlieren also nicht nur ein bzw. drei Viertel ihrer gegenwärtigen Nutzung aus dem Westlichen Aquifer. Sie verlieren zusätzlich die Aussicht auf eine weit größere Menge, nämlich beinahe 100% des potentiell zu erschließenden Grundwassers.

Genau dieser Aspekt dürfte für die israelischen Planer von Bedeutung sein. Israel hat bereits in Oslo eine besonders harte Linie im Bezug auf den Westlichen Aquifer gefahren. Während den Palästinensern im östlichen und nordöstlichen Aquifer Bohrgenehmigungen im bescheidenen Rahmen zugestanden wurden (zusammen etwa 70-80 Mio. m3 für die Interimsperiode) bestand Israel beim Westlichen Aquifer darauf, daß die Palästinenser keinen Tropfen neu erschließen. Bereits Mitte der 90er Jahre, lange vor Camp David, haben israelische Hydrologen Maps of Water Interests gezeichnet, in denen die Gebiete, die nun hinter die Mauer fallen, zu den strategischen Interessenzonen Israels gezählt wurden. In diesen Gebieten sollte eine zukünftige palästinensische Erschließung unterbunden werden. Es ist daher nicht überraschend, daß der jetzige Verlauf der Mauer diesen Karten stark ähnelt. Einschränkend soll hinzugefügt werden, daß für Israel natürlich noch andere Faktoren eine strategische Rolle spielen - an vorderster Stelle wären hier die ständig expandierenden und nach internationalem Recht illegalen Siedlungen zu nennen. Es besteht also ein Unterschied zwischen Siedlungen und Wasser. Während erstere fortwährend ausgedehnt werden, will Israel im Wasserbereich, zumindest im Westlichen Aquifer vor allem den Status quo mit seiner extrem ungerechten Verteilung wahren. Sein Hauptanliegen ist hier, jegliche zukünftige und potentielle Erweiterung der palästinensischen Kapazitäten von vornherein zu unterbinden. Wenngleich dieser Aspekt in der Berichterstattung keinen großen Raum einnimmt, so ist er für die Lebenswirklichkeit von Millionen Palästinensern zentral.

Fußnoten
  1. Der endgültige Verlauf der Mauer steht noch nicht fest. Daher wird sich dieser Artikel auf den nördlichen, bereits im Bau befindlichen Teil konzentrieren.
  2. Vgl. Inamo Nr. 32, Winter 2002, S. 10.
  3. Vgl. Inamo Nr. 27, Herbst 2001, S. 15.
* Clemens Messerschmid lebt und arbeitet seit 6 Jahren als Hydrogeologe in Ramallah. Seit 2 Jahren ist er bei der PWA als Berater für Forschung und Koordination im Projekt "Die nachhaltige Bewirtschaftung der West Bank und Gaza Aquifere" (SUSMAQ) tätig.


Dieser Beitrag erschien in: inamo (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Nr. 34, Juli 2003, S. 42-44

Die Zeitschrift inamo erscheint vier Mal im Jahr und ist zu beziehen bei:
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