Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Abschied für zwei Gesichter von Meretz

Beilin und Cohen gehen - tiefe Frustration in der linksliberalen Partei Israels

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Israels linksliberale Meretz-Partei befindet sich in der Krise - auch weil zwei ihrer profiliertesten Gesichter, Ran Cohen und Jossi Beilin, zur vorgezogenen Wahl im Februar wohl nicht mehr auf den Plakaten zu sehen sein werden. Cohen wird sein Mandat sogar schon am Sonntag aufgeben.

Betretenheit, Schock, Verzweiflung: Die Gesichter der Angehörigen der Meretz-Fraktion im israelischen Parlament brachten all dies zum Ausdruck, als sich die Politiker am Mittwoch mit der Parteispitze zu einer Krisensitzung trafen. »Es ist gar keine Frage«, sagt Zehawa Gal-On, eine der prominentesten Abgeordneten der linksliberalen Partei, »wir befinden uns mitten in einer Katastrophe und können von Glück sprechen, wenn wir sie rechtzeitig unter Kontrolle bringen können.«

Auslöser sind zwei Politiker, die die Partei wie kaum ein anderer geprägt haben: Der 60jährige Jossi Beilin und der 71jährige Ran Cohen. Innerhalb von nur einer Woche kündigten die Beiden an, sich aus dem politischen Leben zurückziehen zu wollen. Cohen wird sein Mandat bereits am Sonntag an Parlamentssprecherin Dalia Itzik zurückgeben; Beilin wird bei den kommenden Wahlen am 10. Februar nicht wieder antreten. Vor allem sein Weggang ist schmerzhaft für die Partei: Beilin, einst Mitglied der Arbeiterpartei, gehörte in den 90er Jahren als Generaldirektor im Justizministerium zu den Architekten der Osloer Übereinkünfte mit den Palästinensern und wurde so zum »Gesicht« von Meretz, einer Partei, die sich für einen gerechten Friedensvertrag mit den Palästinensern einsetzt.

Offiziell sagen Beide, sie wollten nach Jahrzehnten in der Politik Jüngeren Platz machen: »Ich diene der Gesellschaft seit 31 Jahren und denke, dass es nun an der Zeit ist, mich neu zu orientieren«, sagt Beilin, der nach dem Ende seiner Amtszeit in die Geschäftswelt gehen will. »Es ist sehr einfach, sich an seinen Ämtern festzuklammern, aber vor allem in der Situation, in der sich Israel und unsere Partei heute befinden, ist es wichtig, dem Nachwuchs eine Chance zu geben. Wir brauchen neue Impulse.«

Und dennoch: Letzten Endes dürfte es tiefe Frustration sein, die Beilin und Cohen dazu gebracht hat, das Ende ihre ihrer politischen Karriere einzuleiten. Anders als Beilin spricht Cohen, der einstige Minister für Handel und Industrie, offen über seinen Unmut bezüglich der Vorgänge in der Partei. Jahrelang hatte er sich um den Vorsitz bemüht, war immer wieder übergangen worden. Er sei die ständigen Grabenkämpfe leid, sagt er: »Es fällt mir zunehmend schwer, zu begründen, warum ich in meinem Alter trotz allem noch dabei bleibe«, sagt der ehemalige Oberst, der sich nach dem Ende seiner Dienstzeit der Arbeit für den Frieden verschrieb, und fügt an, er wolle künftig für seine Familie und Freunde da sein. Die Partei habe eine Richtung eingeschlagen, mit der er sich nicht mehr identifizieren könne.

Das größte Problem, nicht nur für die Beiden, sondern auch für andere in der fünfköpfigen Fraktion, ist eine auf den ersten Blick positive Neuerung in den Parteistatuten: Künftig müssen alle, die auf die Wahlliste wollen, von mindestens 60 Parteimitgliedern unterstützt werden. Damit hatte die Partei es für junge Politiker leichter machen wollen, ins Parlament einzuziehen und gleichzeitig die aktuellen Abgeordneten für ihre Arbeit zur Verantwortung zu ziehen.

Tatsächlich jedoch führte die neue Regelung dazu, dass die meisten der derzeitigen Meretz-Parlamentarier in der nächsten Knesseth nicht mehr vertreten sein dürften. »Im Prinzip finde ich diese Regel ja gut,« sagt Cohen, »aber sie führt eben auch dazu, dass erfahrene Politiker, die der Partei ihr Image gegeben haben, künftig möglicherweise aufs Abstellgleis geschoben werden.«

* Aus: Neues Deutschland, 7. November 2008


Zurück zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage