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Der Mossad

Hobby: Köpfe abschneiden

Von Alfred Hackensberger *

Seit Mitte Januar ein Hamas-Führer tot in einem Dubaier Hotel aufgefunden wurde, hat der israelische Geheimdienst in Israels Bevölkerung fast schon Kultstatus erlangt. Wo mischt der Mossad überall mit?

Die israelische Supermarktkette Mahsa­ney Kimat Hinam wirbt derzeit mit Killerspielen. In einem Werbespot streichen undurchsichtige Gestalten mit Sonnenbrillen, Perücken und Baseballmützen durchs Geschäft - alles durch die Augen der Überwachungskameras gefilmt.

Die Supermarktkette hat sich von den gefilmten Vorbereitungen zur Ermordung des Hamas-Mitglieds Mahmud al-Mabhouh in Dubai inspirieren lassen, das die Behörden des Emirats kurz nach der Tat am 20. Januar veröffent­licht hatten. Es wird vermutet, dass hinter der Ermordung Mahmud al-Mabhouhs der israelische Geheimdienst Mossad steckt.

Begehrte Sonnenbrillen

Seit dem Attentat in Dubai herrscht in Israel eine regelrechte Mossad-Manie. Ungewöhnlich viele Leute haben in den vergangenen Wochen die Website des Mossads angeklickt, um zu erfahren, wie man Agent oder Agentin wird. Gleichzeitig verkaufen sich Mossad-Accessoires wie nie zuvor; und die Optiker­Innen bieten Sonnenbrillen an, wie sie die mutmasslichen TäterInnen getragen haben. Vergangen sind die Zeiten, in denen man den Namen des Geheimdienstes, der bereits 1949 vom ersten israelischen Premierminister, David Ben Gurion, gegründet worden war, besser nicht in den Mund nahm - und in denen der Name Mossad auch nicht in Zeitungen erschien.

Der Mossad ist en vogue; und zurückzuführen ist dies auf Meir Dagan, 65 Jahre alt und derzeit Mossad-Chef. Bekannt ist er in Israel auch als der «Mann mit dem Messer zwischen den Zähnen» und als «Strassenkämpfer», der mit Terroristen kurzen Prozess macht. 2002 hatte ihn der damalige israelische Premierminister Ariel Scharon ins Amt berufen. «Wegen seiner immensen Erfahrung und seines Hobbys, Arabern den Kopf abzuschneiden», wie Aluf Ben Ahed, der Chefkommentator der israelischen Tageszeitung «Haaretz», damals schrieb. Der Journalist spielte damit auf die Zusammenarbeit von Scharon und Dagan bei militärischen Operatio­nen, die im Gazastreifen, aber auch im libanesischen Bürgerkrieg für einen «Gross­teil der Blutes verantwortlich waren, das dort vergossen wurde», so der «Haaretz»-Journalist.

Scharon hatte sich «frischen Wind» von seinem alten Mitstreiter er­hofft - und den bekam er auch. Dagan verabschiedete sich von der defensiven Strategie seines Vorgängers Ephraim Halevy (1998-2002), der risikoreiche Operatio­nen vermieden hatte, um das Image des Mossad international nicht weiter zu ramponieren. Der Geheimdienst hatte nach einigen Skandalen wie dem gescheiterten Attentat auf den Hamas-Führer Chaled Maschal 1997, bei dem ein israelischer Agent verhaftet worden war, international stark an Reputation eingebüsst.

Dagan hingegen setzte wieder auf die Politik der Abschreckung. Das probateste Mittel: die gezielte Tötung in aufwendigen Auslandoperationen; dabei wird an den Mythos angeknüpft, der Mossad könne das Unmögliche möglich machen. Die beiden anderen israelischen Dienste, der Schin Bet und der militärische Geheimdienst, die für Israel und die palästinensischen Gebiete zuständig sind, sind weit weniger mythenträchtig - obwohl sie ihrem bekannten Bruder Mossad in nichts nachstehen. Verbunden sind die drei Organisatio­nen durch die «Forschungs- und Analyseabteilung», in der alle wichtigen Informationen zusammenkommen. Hier werden auch die Ziele und Prioritäten für die drei israelischen Geheimdienste festgelegt.

Politische Attentate

Der Mossad ist allerdings die einzige der drei Agenturen, für die keinerlei rechtliche Regeln gelten. Er ist einzig dem Premierminister unterstellt, der für wichtige Operationen grünes Licht geben muss - in Fragen der nationalen Sicherheit spielen demokratische Grundsätze in Israel nur eine untergeordnete Rolle.

Nach Meir Dagans Amtsantritt dauerte es zwei Jahre, bis der erste Anschlag verübt wurde - wobei die israelische Regierung, wie üblich, die Urheberschaft weder bestätigte noch dementierte. Am 19. Juli 2004 starb im Libanon der Hisbollah-Funktionär Ghaleb Awali durch eine Autobombe, kurz nachdem er seine Wohnung in Südbeirut verlassen hatte. Am 12. Februar 2008 wurde in Damaskus dann ein viel bedeutenderer Hisbollah-Mann getötet, ebenfalls durch eine Autobombe: Imad Muchniya, «der für die gesamte Verteidigungsstrategie der im Libanon zuständig war», wie Ronen Bergman sagt. Bergman ist Sicherheitsexperte und hat mehrere Bücher über die israelischen Geheimdienste veröffentlicht. Die Tötung Muchniyas sei ein Beispiel für die Effektivität politischer Attentate, sagt Bergman im Gespräch mit der WOZ. Die Hisbollah habe es bis heute nicht geschafft, angemessenen Ersatz für den Hamas-Mann zu finden.

Sechs Monate später, am 2.August 2008, wurde der syrische General Mohammed Suleiman auf der Veranda seines Wochenendhauses in Tartus an der Mittelmeerküste erschossen. Der General arbeitete als Berater des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und war, so Bergman, für den Waffenschmuggel an die Hisbollah im Libanon verantwortlich.

Letzten Dezember und im Januar schliesslich explodierten in der libanesischen Hauptstadt zwei Bomben, die mehrere Hamas-Mitglieder verwundeten - bevor am 20. Januar Mahmud al-Mabhouh in seinem Zimmer im Al Bustan Rotana Hotel in Dubai tot aufgefunden wird. «Der israelische Geheimdienst», so Bergmans Fazit, «ist wieder stärker geworden.»

Im Iran sind dem Mossad bisher keine Fehler unterlaufen. Das dürfte am Fokus liegen, den Dagan bei seinem Amtsantritt 2002 festlegte: Der Iran, dessen Regierung seit Jahren an einem Atomprogramm bastelt, hat für Dagan oberste Priorität - dafür verwendet er auch den Grossteil der Ressourcen. Die libanesische Hisbollah sowie der Islamische Dschihad und die Hamas in Palästina geraten dabei nicht aus dem Blickfeld - denn sie sind politisch nicht weit vom Iran entfernt. Alle wurden in den letzten Jahren zunehmend von Teheran mit Geld, Logistik und Waffen unterstützt. Für den Mossad, so Bergman, geht es letztlich nur um ein Thema: Iran, Iran und nochmals Iran.

Insider im Atomprogramm

Laut Bergman liest sich das Ergebnis der geheimdienstlichen Arbeit in der islamischen Republik etwa so: zwei iranische Labors, die in die Luft fliegen; zwei Flugzeuge der Revolutionären Garden, die vom Himmel fallen; zwei spurlos verschwundene Ingenieure und ein dritter, der im Januar durch eine Bombe getötet wird, die an seinem Motorrad befestigt war. «Viele solche Vorfälle der letzten zwei, drei Jahre im Iran sind das Resultat der neuen Mossad-Politik.» Er glaubt, dem Mossad sei es gelungen, einen Insider innerhalb des Atomprogramms zu platzieren, der versucht, die iranischen Pläne zu sabotieren. Das, sagt Bergman, wäre ohne Mithilfe anderer Geheimdienste nicht möglich gewesen. Bergman meint damit nicht nur eine Unterstützung durch den CIA, sondern auch durch die Diens­te arabischer Staaten, die offiziell keine freundschaftlichen Beziehungen zu Israel unterhalten. Weder Saudi-Arabien noch Marokko, Jemen oder die Arabischen Emirate sind vom regionalen Machtanspruch Teherans begeistert. Keines dieser Länder möchte sich den iranischen Machtansprüchen unterordnen müssen. Genauso wenig haben sie ein Interesse daran, dass in Palästina die Hamas und im Libanon die Hisbollah an Macht gewinnen.

Ein politischer Islam, der für soziale Gleichheit eintritt, ist nichts für die Könige, Emire oder Präsidenten auf Lebenszeit. So scheint es im sonst so verfahrenen Nahostkonflikt zumindest einen gemeinsamen Nenner zu geben - nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Im Iran wurde in den letzten zwei Jahren mehrmals die Verhaftung von Mossad-Spionen gemeldet. Im November 2008 sprach die Nachrichten­agentur Fars von einem «Netzwerk, das militärische Organisationen ausspioniert». Im iranischen Radio bestätigte der Chef der Revolutionären Garden, Muhammad Ali Dschafari, die Verhaftungen, ohne jedoch genaue Zahlen bekannt zu geben. Das Netzwerk habe versucht, Informationen über das Atomprogramm, die Revolutionären Garden sowie über Militär- und Sicherheitsoffizielle zu sammeln.

Fremde Dienste in Israel

Kurz zuvor, ebenfalls im November 2008, war Ali Aschtari, ein iranischer Geschäftsmann, wegen Spionage für den Mossad gehängt worden. Er war seit zehn Jahren der erste Iraner, den ein iranisches Gericht als israelischen Spion verurteilt hatte. Der 45-jährige Elektrohändler hatte landesweit Militär- und Sicherheitszentren beliefert. «Mit der Hinrichtung Aschtaris wollen wir zeigen», zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Irna einen Vertreter der iranischen Gegenspionage, «dass ein neuer geheimdienstlicher Kampf mit den Feinden des Irans begonnen hat und diese Kämpfe nun ernster werden.»

Im Gegenzug unternimmt der Iran grosse Anstrengungen, um in Israel an Informationen zu kommen. Den Iran interessieren vor allem militärische Ziele, die man als Vergeltung für einen israelischen Angriff bombardieren könnte. 2008 wurde ein Israeli verhaftet, den man beschuldigte, für den Iran zu spionieren. Er soll in Istanbul iranische Agenten getroffen und ihnen Informationen übergeben haben. Ein Jahr zuvor beschuldigte der Inlandsgeheimdienst Schin Bet den iranischen Geheimdienst, Israelis mit iranischen Wurzeln als Agenten anwerben zu wollen. 135000 von Israels BürgerInnen stammen aus dem Iran - in dem noch immer 23000 JüdInnen leben.

Neben iranischen AgentInnen ist auch die Hisbollah im jüdischen Staat aktiv. Während des Libanonkriegs 2006 fanden israelische Soldaten in Bunkern der schiitischen Miliz Aufklärungsfotos ihrer eigenen Luftwaffe. «Die Hisbollah holt sich ihre Informationen aus dem Internet, etwa aus israelischen Medienberichten», glaubt Bergman. «Aber sie wissen auch, wie man sich bei Drogenhändlern bedient.» Das Bekaa-Tal im Libanon ist traditionell ein Opiumanbaugebiet und gleichzeitig Umschlagplatz für Heroin und Kokain, die über die Südgrenze des Landes auch nach Israel geschmuggelt werden - oft mithilfe israelischer Militärs, die damit viel Geld verdienen.

Nach den diplomatischen Querelen zwischen Israel und jenen EU-Staaten, deren Pässe beim Anschlag in Dubai benützt worden waren, sind israelische ParlamentarierInnen dazu übergegangen, Dagans Rücktritt zu fordern. Der Mossad-Chef scheint jedoch von der Kritik kaum beeindruckt - nicht zuletzt auch wegen der derzeitigen Mossad-­Begeisterung, die in der israelischen Öffent­lichkeit herrscht.

Ronen Bergman

Der politische und militärische Analytiker Ronen Bergman (37) schreibt für Israels grösste Tageszeitung «Aharonoth» hauptsächlich über Sicherheitsfragen und Geheimdienstarbeit im Nahen Osten. Er gilt in Israel als einer der wichtigsten Experten auf diesem Gebiet. Er veröffentlicht auch in der «New York Times», im «Wall Street Journal», in der «Süddeutschen Zeitung» sowie der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Bergman ist Autor mehrerer Bücher unter anderem über die Palästinensische Autonomiebehörde, den Yom-Kippur-Krieg 1973 und das iranische Atomprojekt. Sein letztes Buch, «The Secret War with Iran», erschien 2008.



* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 18. März 2010


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