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Der Sieg der Handlungsunfähigkeit

Israel: Regierung Netanjahu sucht ihr Heil in Neuwahlen

Von Oliver Eberhardt *

Israel steht vor Neuwahlen. Bereits kommende Woche will sich das Parlament auflösen; gewählt werden soll am 4. September. Den Umfragen zufolge wird der Likud von Premier Netanjahu die stärkste Fraktion stellen – und es mit einer veränderten politischen Landschaft zu tun bekommen.

Bereits seit Monaten war spekuliert worden, dass Regierungschef Benjamin Netanjahu die Wähler lange vor dem eigentlichen Wahltermin am 22. Oktober 2013 an die Urnen rufen würde, um sich so eine günstigere Ausgangslage für eine Wiederwahl zu verschaffen.

Denn im Falle einer Wiederwahl Barack Obamas bei den Präsidentschaftswahlen in den USA Ende des Jahres hätte Israels Premier mit schärferem Gegenwind aus Washington rechnen müssen, weil sich Obama keinem weiteren Votum mehr stellen müsste.

Am Ende war es dann doch die Innenpolitik, die das vorzeitige Ende der 31. Regierung des Staates Israel einläutete: Anfang der vergangenen Woche erwies sich die seit drei Jahren andauernde Stabilität der Koalition, derer sich der Stab Netanjahus immer wieder gerühmt hatte, als Illusion.

Nachdem der Oberste Gerichtshof das sogenannte Tal-Gesetz gekippt hatte, dass die Freistellung ultra-orthodoxer Juden vom Militärdienst ermöglicht, war Netanjahu der Spielraum ausgegangen, die Bedingung der beiden religiösen Parteien zu erfüllen, die ihm die Mehrheit sichern. Gleichzeitig hatte Außenminister Avigdor Lieberman, Chef der rechtspopulistischen Jisrael Beitenu, und der zweite Mehrheitsbeschaffer, den Auszug aus der Regierung angekündigt, falls Netanjahu nicht endlich gegen Iran durchgreife.

Und so war eine seiner letzten Amtshandlungen, sich zuerst mit den Koalitionsparteien und dann mit der Opposition darauf zu verständigen, dass sich die Knesseth auflöst – ein Schritt, der in diesem Multi-Fraktionen-Parlament nur möglich wurde, weil die von Netanjahus Leuten gerühmte »Stabilität « außerhalb seiner Reihen als »komplette Handlungsunfähigkeit « gesehen wird. »Es ist wohl unbestritten, dass diese Regierung die lethargischste in der Geschichte des Landes war«, schreibt Joel Marcus in der Zeitung »Haaretz «. In allen wichtigen Fragen habe sich in drei Jahren »absolut nichts« bewegt: »Nicht in den Verhandlungen mit den Palästinensern und nicht in den sozialen Fragen, die die Jugend beschäftigen. « Und ein Kommentator der Zeitung »Jedioth Ahronoth« fasst zusammen: »In all den Jahren, die ich schon über die Knesseth berichte, habe ich noch nie eine solch einmütige Erleichterung über Neuwahlen erlebt.«

Dennoch sieht es aktuell so aus, als könnten Netanjahu und seine Partei gestärkt aus den Wahlen am 4. September hervorgehen. Bis zu 31 der 120 Parlamentssitze, also vier mehr als im Moment, sagen die Umfragen voraus – damit würde der Likud mit großem Abstand vor der sozialdemokratischen Arbeitspartei, die von derzeit acht auf bis zu 19 Sitze klettert, die stärkste Fraktion stellen. Kadima, die derzeit stärkste Kraft in der Knesseth, würde bei nur noch elf Sitzen landen, nachdem Ex-Außenministerin Zipi Livni, die Ende März den Parteivorsitz an den ehemaligen Generalstabschef Schaul Mofas verlor, am Dienstag überraschend ihren Abschied aus der Politik bekannt gegeben hatte. Ein Abschied, der wohl auch Verteidigungsminister Ehud Barak bevorsteht: Seine Partei Haatzmaut, eine Abspaltung von der Arbeitspartei, hat kaum eine Chance, ins Parlament zurückzukehren.

Doch außerhalb des Parlaments formieren sich Kräfte, die die politische Landschaft erschüttern könnten: Zum einen hat der ehemalige Moderator Jair Lapid eine eigene Partei namens Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) ins Leben gerufen (Parteigründer unter anderen: seine Mutter, sein Fitnesstrainer, seine Kosmetikerin), der bis zu zehn Sitze vorausgesagt werden. Zum anderen beginnen in wenigen Wochen die Semesterferien – und damit wohl auch eine neue Runde von Sozialprotesten, denn am Auslöser der Demonstrationen im vergangenen Jahr, den hohen Wohnungspreisen, hat sich nichts geändert. Vor allem deshalb denkt die Nationale Studentenvereinigung derzeit darüber nach, mit einer eigenen Wahlliste anzutreten. Täte sie dies, wären ihr ebenfalls bis zu zehn Sitze sicher.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 5. Mai 2012

Schimpfspecht des Tages: Ehud Barak **

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak hat am Donnerstag gewettert: »Die Olmert-Bande reist rund um die Welt und spricht in einer Weise, die dem Iran dient.« Die so attackierte Dreierbande besteht aus ehemaligen Mitgliedern der israelischen Führungsspitze: Ehud Olmert war von 2006 bis 2009 Premierminister, nachdem er schon in den Jahren 1988 bis 1992 und 2003 bis 2006 der Regierung angehört hatte. Juwal Diskin leitete von 2005 bis 2011 den Inlandsgeheimdienst Schin Bet. Und Meir Dagan war Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad in den Jahren 2002 bis 2010.

Allen drei nimmt Barak übel, daß sie in mehr oder weniger scharfer Form seinem ungestümen Drängen auf einen »Präventivkrieg« gegen Iran widersprochen haben. Das sei die dümmste Idee, von der er je gehört habe, erklärte Dagan. Diskin sagte, er mißtraue Barak und Premier Benjamin Netanjahu, weil ihre Kampagne gegen Iran von »messianischen Gefühlen« bestimmt sei. Darüber hinaus warf er ihnen vor, die Öffentlichkeit irrezuführen: Ein Angriff auf Iran werde dessen Atomprogramm wahrscheinlich nicht verhindern, sondern beschleunigen. Olmert hingegen hatte hauptsächlich gefordert, daß Israel in einem Krieg gegen Iran nicht die Führung übernehmen, sondern diese den USA überlassen sollte.

Olmert, der freilich mit mehreren Strafgerichtsverfahren wegen Korruption am Hals selbst im Glashaus sitzt, reagierte auf Baraks Schimpfkanonade, indem er ihn als jemanden bezeichnete, »der mit Sicherheit bald von der politischen Landkarte Israels verschwinden wird«. Tatsächlich bestehen gute Chancen, daß der 70jährige, der im Januar 2011 den Vorsitz der Arbeitspartei abgab, um eine eigene Partei namens »Unabhängigkeit« zu gründen, die für Spätsommer oder Herbst geplanten Neuwahlen politisch nicht überleben wird. (kt)

** Aus: junge Welt, Samstag, 5. Mai 2012


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