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Kein Baumaterial für Gaza

Weiter Unklarheit über "Lockerungen der Blockade" durch Israel

Von Karin Leukefeld *

Erstmals seit drei Jahren, so hieß es am Montag (21. Juni), habe Israel die Blockade des Gazastreifens auf dem Landweg gelockert. Doch noch am selben Tag lehnte Verteidigungsminister Ehud Barak nach einem Gespräch mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York weiterhin die Einfuhr von Baumaterial wie Beton und Eisenträger in das palästinensische Gebiet ab. Damit könnten auch militärische Anlagen gebaut werden, erklärte er. »Wir halten uns an die Entscheidung des israelischen Kabinetts, die Einfuhr von Waren zu erleichtern, solange sie humanitären Bedürfnissen dienen und nicht der Kriegsführung», sagte er vor Journalisten. Dagegen machten Bewohner des Gazastreifens geltend, sie brauchten dringend Baustoffe, um die zerstörte Infrastruktur wieder aufzubauen.

Weitgehend Unklarheit herrschte in Gaza auch am Dienstag (22. Juni), welche Güter in Zukunft von Israel durchgelassen werden. Erwartet wurde die Einfuhr von »Ersatzteilen für Autos, Maschinenöl, Reifen, Ersatzteilen für landwirtschaftliche Maschinen, Möbel, Make-up und Parfüm«, wie eine Reporterin des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira International berichtete. Wenn erst einmal die Liste von verbotenen Gütern veröffentlicht werde, dann läge der Teufel vermutlich im Detail. Doch immerhin sollten am Dienstag erstmals 130 Lastwagenladungen die Grenze in den Gazastreifen passieren – bei jW-Redaktionsschluß blieb unklar, ob das auch tatsächlich geschah.

Das sogenannte Nahostquartett, zu dem die USA, Rußland, UN und EU gehören, bezeichnete den Schritt Israels zur Lockerung der Blockade trotzdem als »einen guten Anfang«. Im Gegensatz dazu war seitens der UN-Hilfsorganisationen vor Ort auch Kritik zu hören. Christopher Gunnes, Sprecher der UN-Hilfsmission für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), wies darauf hin, daß offen ist, ob Israel es zulassen werde, daß aus dem Gazastreifen auch wieder Produkte exportiert werden dürften. Die Bevölkerung von Gaza sei zu 80 Prozent auf Hilfslieferungen angewiesen, weil Israel mit der Blockade die palästinensische Wirtschaft stranguliere. Ziel müsse es aber sein, von Hilfslieferungen unabhängig zu werden, vor allem durch mehr Handel. Die Blockade müsse nicht nur gelockert, sondern vollständig aufgehoben werden, so Gunnes.

Nach Meinung von EU- und US-Vertretern dürfe nicht die im Gazastreifen regierende islamische Hamas von der Lockerung der Blockade profitieren. Vielmehr solle Mahmud Abbas, der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörede, durch die neue Entwicklung gestärkt werden. Hamas-Sprecher Ahmed Yousef verwies auf »Tricks und Fallen«, mit denen Israel internationale Kritiker der Blockadepolitik hinters Licht führen wolle. Er gehe nicht davon aus, daß sich die Situation für die 1,5 Millionen Einwohner des Gebiets verbessern werde. Auch John Ging, UN-Koordinator für die humanitäre Hilfe in Gaza, äußerte sich skeptisch. Man müsse abwarten, was die Lockerung der Blockade in Zukunft tatsächlich bedeute, sagte Ging.

Auf der Webseite des Washingtoner Außenministeriums werden derweil US-Bürger vor Reisen in den Gazastreifen gewarnt. Ausdrücklich heißt es, daß humanitäre Helfer und Journalisten nicht nach Gaza reisen sollten, weil die Möglichkeiten der Botschaft begrenzt seien, US-Bürgern gegenüber den Maßnahmen der israelischen Armee zu helfen. Außerdem sei es im Gazastreifen insgesamt sehr gefährlich. Am Dienstag kündigte die israelische Armee an, ein bereits angekündigtes libanesisches Schiff mit Hilfsgütern für den Gazastreifen nicht passieren zu lassen. Ebenso werde man »Widerstand gegen eine neue Solidaritätsflotte« leisten.

* Aus: junge Welt, 23. Juni 2010


Verniebelung

Steinmeier kritisiert Israel-Kritiker

Von Werner Pirker **


Zwar heißt es stets, Kritik an Israel sei zulässig, wenn nicht sogar erwünscht, sofern es sich um solidarische Kritik handle. Die Grenzen des Zulässigen werden allerdings immer enger gezogen. Das hat mit Dirk Niebel nun auch ein deutscher Politiker zur Kenntnis nehmen müssen, der sich bisher als besonders enger Freund des jüdischen Nahost-Staates wähnen durfte. Als ihm die israelische Regierung die Einreise in den Gazastreifen verweigerte, wo er ein deutschen Entwicklungshilfeprojekt einweihen wollte, hatte er seinem Unmut ziemlich deutlich Ausdruck verliehen, was ihm wiederum nicht nur von den Israelis, sondern auch von Teilen der deutschen Öffentlichkeit sehr übel genommen wurde.

Als schärfster Kritiker des Israel-Kritikers wider Willen tat sich der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stephan Kramer hervor, der mit seinen pauschalen, praktisch an die gesamte deutsche Öffentlichkeit gerichteten Antisemitismusvorwürfen ohnedies bereits jedes Maß verloren zu haben scheint. Niebel surfe auf der Welle der Empörung nach dem Stopp der Gaza-Flottille, so Kramer, wobei er den unausgesprochenen Vorwurf anklingen ließ, daß der FDP-Politiker wie einst der verblichene Jürgen Möllemann niedrige Instinkte seiner deutschen Landsleute bediene. Kaum weniger heftig ging SPD-Bundestagsfraktionsführer Steinmeier mit dem Entwicklungshilfeminister ins Gericht, dem er Hemdsärmeligkeit und einen Hang zu vordergründigen Inszenierungen vorwarf.

Die aufgeregte Debatte darüber, ob der Minister sich gegenüber den Israelis im Ton vergriffen habe, »verniebelt« das Wesentliche, drängt die längst fällige Auseinandersetzung um die Legitimität der israelischen Politik erneut in den Hintergrund. Nach dem Überfall israelischer Militärs auf die Gaza-Solidaritätsflotte haben sich selbst die mit Israel verbündeten Mächte der Forderung nach einer Beendigung der Belagerung des Gazastreifens angeschlossen. In diesem Sinn wollte auch Niebel seine an Israel gerichtete Aufforderung, nicht allein auf eine Politik der Stärke zu setzen, verstanden wissen. Inzwischen ist er voll des Lobes darüber, daß Israel seine Blockade zu lockern gedenkt. Die Forderung nach einer völligen Aufhebung der Abriegelung des dichtest besiedelten Landstreifens der Welt klingt nur noch halb so laut. Daß der widerrechtlichen Besatzung von Gaza dessen widerrechtliche Belagerung folgte - was der Bevölkerung, für deren Versorgung die Besatzungsmacht aufkommen müßte, noch größere Leiden zufügt -, wird allen rechtlichen Bedenken zum Trotz dem »Recht Israels auf Selbstverteidigung« zugeschrieben.

Eine Verurteilung als Antisemit ist Dirk Niebel gerade noch erspart geblieben. Der Vorwurf »mangelnder Sensibilität« blieb ihm freilich nicht erspart. Als einer, der davor mit Israel-Kritikern genau auf diese Art umzuspringen beliebte, hat er ihn sich redlich verdient.

** Aus: junge Welt, 23. Juni 2010 (Kommentar)


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