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Obamas Wende

Von Aluf Benn *

US-Präsident Barack Obamas Kampagne einer Umwerbung Israels bringt eine grundsätzliche Wende in der amerikanischen Nahostpolitik zum Ausdruck. Die Prioritäten der USA haben sich gewandelt, und an ihrer Spitze stehen heute die eskalierende Auseinandersetzung mit dem Iran und die Sorge vor einem Führungswechsel in Ägypten und Saudi-Arabien. In dieser Situation wird Israel als „lebenswichtiger Bündnispartner“ betrachtet, wie es der stellvertretende Außenminister Andrew Shapiro ausgedrückt hat, und nicht als Hindernis bei der Annäherung der USA an die islamische Welt, wie es zu Beginn von Obamas Amtszeit den Anschein hatte.

Die Amerikaner haben ein vorrangiges Interesse im Nahen Osten: die erreichbare und preisgünstige Versorgung mit Öl. Ihre Sicherung hängt von der Bewahrung der „Stabilität“ ab, die sich auf zentralistische Regimes stützt, deren Überleben von Amerika abhängt und deren Verteidigung der amerikanischen Rüstungsindustrie wichtige Märkte bietet.

Seit die Verteidigung des Nahen Ostens Großbritannien aus den Händen genommen worden ist – mit der Eisenhower-Doktrin von 1957 (nach der Suez-Krise) – bekämpfen die USA jeden, der die regionale Ordnung erschüttert und die Ölversorgung gefährdet, von Jamal Abd el-Nasser und seinen sowjetischen Patronen bis hin zu Saddam Hussein und Osama Bin Laden.

Israel hat verschiedene Funktionen in der amerikanischen Strategie erfüllt. Mal wirkt es wie ein Aktivposten, mal wie eine Bürde. In rosigen Zeiten unterstrichen die Amerikaner die „besonderen Beziehungen“ und die „gemeinsamen Werte“, und in dunklen Zeiten setzten sie Israel in Sachen Dimona zu und danach in der Siedlungsfrage. Diese Einstellung ist bei ihnen gang und gäbe: Als die Amerikaner China gegen die Sowjetunion brauchten, ignorierten sie Taiwan und sahen von Maos Menschenrechtsverstößen ab. Wenn China als Bedrohung angesehen wird, geben die USA Waffenverkäufe an Taiwan bekannt, bewirten den Dalai Lama und entdecken, dass es in Peking Zensur gibt und Regime-Gegner verfolgt werden.

In den Beziehungen mit Israel übernehmen die Siedlungen die Rolle, die Taiwan und Tibet in den Beziehungen mit China spielen, als bleibender Anstoß, den man je nach Bedarf hervorhebt oder vernachlässigt. Man ärgert sich über den Ministerpräsidenten? Dann erinnert man Sheikh Jarrah, Revava und Yitzhar. Braucht man Israel oder will man es wegen eines weiteren Pseudo-Fortschritts im Friedensprozess loben? Dann lässt man die Baukomitees in Judäa und Samaria und Jerusalem in Ruhe.

Als Obama sein Amt antrat, ging er davon aus, dass Amerika im Nahen Osten geschwächt sei und hoffte auf eine Übereinkunft über die Aufteilung des Einflusses mit der aufsteigenden regionalen Großmacht, Iran. Daher zeigte er sich kühl gegenüber Israel und holte den abgegriffenen Knüppel der Siedlungen aus der Rumpelkiste. Aber dies hat nicht funktioniert. Die Iraner winkten gegenüber Obamas Gesten des guten Willens ab, und die arabischen Staaten entfernten sich von der palästinensischen Frage und erklärten die iranische Bedrohung für wichtiger. Der Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate in Washington drückte es vergangene Woche so aus: „Ein militärischer Angriff auf den Iran, egal von welcher Seite, wäre ein Unglück. Aber ein Iran mit Atomwaffen wäre ein noch größeres Unglück.“

Das ist der Hintergrund der Wende in der Haltung Obamas. Statt „Drisch auf Israel ein, und ernte Beifall von den Muslimen“, verhärtet sich die Haltung gegenüber dem Iran. Die Sanktionen wurden verschärft, und die Rhetorik eskaliert. Israel ist von einer bedrückenden Last zu einem erwünschten Partner geworden, vielleicht aus Mangel an Alternativen, da in Kairo und Riad Umstürze erwartet werden mit dem Generationswechsel an der Macht. Die Zusammenarbeit mit den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (ZAHAL) ist enger geworden, und die Amerikaner heben sie hervor, ganz im Gegenteil zu dem Herunterspielen in der Vergangenheit. Israel ist zum Hit in Washington geworden, so dass Vizeaußenminister Shapiro beim Lob der sicherheitspolitischen Beziehungen vor Begeisterung so weit ging zu erzählen, die Präsidenten John Adams und sein Sohn, John Quincy Adams, hätten die jüdische Heimstätte schon Jahrzehnte vor Herzl unterstützt. Der Zionismus kam im Weißen Haus zur Welt, und wir wussten es nicht.

Binyamin Netanyahu hat einen diplomatischen Erfolg zu verzeichnen. Bei seinem ersten Treffen mit Obama versuchte er ihn zu überzeugen, dass die iranische Bedrohung Vorrang vor allem habe, und Obama forderte von ihm, nicht mehr in Jerusalem zu bauen. Nun verkündet der Präsident, dass das iranische Atomprogramm sein „außenpolitisches Problem Nummer 1“ sei, und die Siedlungen erwähnt er bei seiner Rückkehr an die Seite Netanyahus nicht. Das geschah nicht ohne Preis: Netanyahu versicherte im Gegenzug, binnen eines Jahres ein festes Abkommen [mit den Palästinensern] zu erzielen, und signalisiert, dass das Ausmaß der Verzichte Israels sich am Ausmaß des Schlags ausrichten wird, den der Iran einstecken wird. Und sollte die späte Verliebtheit in Israel Obama und seiner Partei auch bei den nahenden Kongresswahlen helfen, würde sich das Geschäft aus seiner Sicht lohnen.

* Der Originalbeitrag erschien in Haaretz, 21.07.10;
Quelle der deutschen Übersetzung: Newsletter der Israelischen Botschaft in Berlin, 21. Juli 2010



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