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Ehud Olmerts gefährliches Spiel

Palästinenser im Westjordanland erwarten von Israels Premier mehr als schöne Worte

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Es ist ein gefährliches Spiel: Israels Premier Ehud Olmert will den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas stärken, während die Armee gegen Brigadisten, auch jene, die der Fatah nahestehen, vorgeht. Dabei starben am Wochenende mindestens 13 Menschen.

Die Zeit droht abzulaufen. »Es wird immer davon geredet, dass sich unser Leben jetzt bessern soll«, sagt Marwan, der im Zentrum von Dschenin einen Gemischtwarenladen betreibt, »bis jetzt ist aber alles beim Alten geblieben.« In der Nacht zuvor waren wieder Soldaten in der Stadt und hatten den 25-jährigen Mohammed Abu al Heija getötet. Er soll ein örtlicher Führer der Al-Aksa-Brigaden gewesen sein, die der Fatah-Fraktion von Präsident Mahmud Abbas nahe stehen. »Die Leute sind sauer«, sagt Marwan, »wenn das so weiter geht, kippt die Stimmung hier.«

Das allerdings wäre fatal für die Bemühungen Israels, Abbas und seine Regierung zu stützen und ein Übergreifen der Unruhen im Gaza-treifen auf das Westjordanland zu verhindern. »Wir brauchen mehr als schöne Worte«, fordert ein Mitarbeiter des Präsidenten. »Wir müssen wenigstens ein paar freigelassene Gefangene vorweisen können, und vor allem müssen wir Leute bezahlen.« Bis jetzt aber ist nichts dergleichen geschehen. Im Fall der Mehrwertsteuer- und Zoll-einnahmen, die Israels Regierung eingefroren hatte, habe es daran gelegen, dass man sich mit den Palästinensern über die Überweisungsmodalitäten habe einig werden müssen, sagt eine Sprecherin des israelischen Premierministers: »Ein paar hundert Millionen trägt man nicht in der Aktentasche mit sich rum. Da ist viel Papierkram zu erledigen, das kann in einer Bürokratie dauern. Wahrscheinlich geht es aber heute endlich los.«

Schwieriger ist die Einlösung des Olmertschen Versprechens, 250 Gefangene frei zu lassen und Kontrollpunkte im Westjordanland abbauen. Das Militär und der Inlandsgeheimdienst Schin Beth stellen sich quer. Olmert spiele mit der Sicherheit des Staates, kritisierten hochrangige Offiziere bei einem Treffen mit dem Regierungschef in der vergangenen Woche laut Medienberichten. Und dem Sicherheitsapparat falle es schwer, Gefangene zu finden, die »kein Blut an den Händen haben« oder nicht verdächtigt werden, sich künftig mit Blut beflecken zu können. »Alles in allem sind die Sicherheitsdienste vorsichtiger als in der Vergangenheit«, sagt Ariel Pines vom zweiten israelischen Fernsehkanal. »Damit steht Olmert jetzt vor einem großen Problem: Er hat Zusagen gegeben, die er nicht einhalten kann, die er aber einhalten muss, weil Abbas sonst ausgesprochen schlecht da steht, und daran besteht auch kein Interesse.«

Denn Abbas hat im Laufe der vergangenen Wochen viel getan, um gegen die mit der Fatah verfeindete, radikalislamische Hamas vorzugehen. Die Sicherheitsdienste im Westjordanland nehmen Funktionäre der Organisation fest, Imame dürfen Moscheen nicht mehr zur Verbreitung politischer Botschaften benutzen. Alle Einrichtungen der Hamas mussten sich bis zum vergangenen Wochenende um eine neue Lizenz bemühen. Wenn jetzt aus Richtung Israel nichts kommen sollte, stünde Abbas bei seinen Landsleuten als Kollaborateur da, was wiederum die im Westjordanland mittlerweile sehr geschwächte Hamas wieder erstarken lassen könnte und ein Übergreifen der Unruhen aus dem Gaza-Streifen ins Westjordanland wahrscheinlicher machen würde. »Ich denke, dass sich die Regierung am Ende über die Bedenken der Sicherheitsleute hinwegsetzen wird«, sagt Pines: »Es ist einfach das kleinere Übel. Eine Verschlechterung der Lage im Westjordanland wäre eine viel größere Gefahr für Israel.«

Denn an der Grenze zum Gaza-Streifen könnte das Militär bald wieder eine Menge zu tun bekommen: Im Laufe des Wochenendes schlugen wieder drei Raketen auf israelischem Gebiet ein – obwohl die politische Führung der Hamas den bewaffneten Flügel mehrmals aufgefordert hatte, den Beschuss zu unterlassen. Das sei die Antwort auf die Militäroperationen im Westjordanland, erklärten die Essedin-al-Kassam-Brigaden, und kündigten weitere Angriffe an. Kenner glauben, dass sich die Kämpfer um die Stellung der Hamas im Gaza-Streifen sorgen: Wenn sie nicht reagierten, so ihr Argument, dann könnte die Organisation Probleme mit der Bevölkerung bekommen.

Die politische Hamas-Führung sieht das anders: Sie will alles verhindern, was einen israelischen Angriff auf Gaza heraufbeschwören könnte. Denn nach Monaten der Unruhe ist die Organisation gerade dabei, das Leben im Gaza-Streifen nach ihren Vorstellungen zu organisieren. Seit einigen Tagen patrouillieren Hamas-Mitglieder in Polizeiuniformen auf den Straßen; erstmals seit Monaten ist es ruhig. Mittlerweile läuft auch die Lieferung von Hilfsgütern problemlos; eine Versorgungskatastrophe ist erst einmal abgewendet.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Juli 2007


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