Olmert steht vor einem Scherbenhaufen
Regierungskoalition droht nach Rückzug von Israel Beitenu die Erosion / Eskalation im Gaza-Streifen
Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *
Zwei Tage nach Beginn neuer Friedensgespräche über die Kernfragen in Nahost ist in Israel die
Koalitionskrise perfekt. Auslöser: Der Rückzug von Israel Beitenu aus der Regierung.
Israels Premierminister Ehud Olmert steht vor dem Verlust der Regierungsfähigkeit. Die Partei Israel
Beitenu (Israel unser Haus) hat die Regierung verlassen, die Arbeitspartei und die religiöse Schas-
Partei denken ebenfalls darüber nach und Rettung ist nicht in Sicht – denn die Linke winkt wegen
der Lage in Gaza ab.
Ist was? »Nein, da ist nichts«, sagt Mark Regev, Sprecher von Israels Premierminister Ehud Olmert.
Gerade hat sich Avigdor Lieberman, Vorsitzender der rechtspopulistischen Israel Beitenu in einer
Pressekonferenz mit heftigem Gepolter gegen Araber und Linke aus der Regierung verabschiedet.
Selbst in den rechten Parteien rümpft man darob die Nase. Im Lager des Regierungschefs ist
dennoch von Panik nichts zu spüren: »Die Mehrheit ist sicher und wird es auch bleiben.«
Auch Olmert lässt sich nichts anmerken: Er besucht Kindergärten, spricht von Frieden und
Fortschritten in den Verhandlungen mit den Palästinensern und bekommt Schützenhilfe von US-Präsident
George W. Bush. Der gab gestern in der ägyptischen Hauptstadt Kairo zu Protokoll, er sei
fest davon überzeugt, dass die israelische Regierung auch nach dem Austritt von Israel Beitenu
stabil und zu einem Friedensschluss mit den Palästinensern fähig sei.
Oberflächlich betrachtet, hat das was für sich, denn Israel Beitenu ist vor allem für die nicht
mehrheitsfähige Forderung nach einer Ausgliederung arabischer Landesteile und deren
Unterstellung unter die Palästinensische Autonomiebehörde bekannt. Skepsis ist jedoch angebracht,
denn Olmert hat zwar immer noch 67 der 120 Abgeordneten hinter sich, aber diese Zahl ist nicht in
Stein gemeißelt – die religiöse Schas mit zwölf Abgeordneten ist genauso wie Israel Beitenu gegen
Zugeständnisse an die Palästinenser und könnte ihr schon bald folgen, wenn der Regierungschef
nicht einen Weg finden sollte, Schas in der Regierung zu halten. Im Falle der religiösen Parteien in
Israel sind das meist finanzielle Anreize für die Wählerschaft dieser Gruppierungen,
Aber es könnte noch schlimmer kommen: Ende Januar wird der Bericht der Winograd-Kommission
zum Libanon-Krieg im Sommer 2006 veröffentlicht werden, und die Arbeitspartei denkt darüber
nach, ihre 18 Abgeordneten danach aus der Koalition abzuziehen. Damit will sie eine
Regierungsumbildung ohne Neuwahlen ansteuern und möglicherweise sogar einen
Zusammenschluss mit der Kadima-Partei Olmerts befördern, die in Neuwahlen so gut wie keine
Überlebenschancen hätte.
Der Regierungschef scheint jedoch nicht ans Aufgeben zu denken und umwirbt im Hintergrund den
linksliberalen Meretz/Jachad-Block. Dessen sechs Abgeordnete winken im Moment allerdings ab,
denn sie haben eine Menge zu verlieren:
Im Laufe der vergangenen Woche hat die Armee die schwersten Militärschläge auf den GazaStreifen
seit über einem Jahr verübt und dabei Dutzende Menschen getötet. Unterdessen stehen die
israelischen Städte in der Nachbarschaft des Gaza-Streifens in einem Raketenhagel, und vieles
deutet darauf hin, dass sowohl die Armee als auch die radikalislamische Hamas, die im Juni 2007
die Kontrolle in dem Landstrich übernahm, in einen Strudel der Gewalt gezogen werden. Enden
könnte das alles in einer groß angelegten israelischen Militäroperation im Gaza-Streifen. Für
Meretz/Jachad, ohnehin an Wählerschwund leidend, aber würde die Beteiligung an einer Regierung,
die solches zulässt, Umfragen zufolge zu weiteren Verlusten führen.
So ist bei Kadima die Hoffnung groß, die Sozialdemokraten, die in Person Ehud Baraks den
Verteidigungsminister stellen, in der Regierung zu halten. Zur Not ist man sogar bereit, den eigenen
Vorsitzenden abzusägen. »Wenn der Untergang bevorsteht, müssen wir darauf vorbereitet sein, die
Partei in eine Ära ohne Ehud Olmert zu führen«, sagt ein Kadima-Abgeordneter mit Hinblick auf den
Bericht der Winograd-Kommission.
Auf palästinensischer Seite werden Regierungskrise und Eskalation in Gaza mit Sorge beobachtet.
Die öffentliche Meinung in den palästinensischen Gebieten droht sich gegen Präsident Mahmud
Abbas und die Regierung im Westjordanland zu wenden. Wenn dazu auch noch Neuwahlen in
Israel, ein Wahlsieg der Rechten und das Ende der Friedensverhandlungen kämen, wäre dies auch
das Aus für die palästinensische Notstandsregierung.
* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2008
Meretz wird die Regierung stützen
Die linksliberale Bürgerrechtspartei Meretz wird nicht in die Regierung Olmert eintreten, sie aber von außen stützen. Dies versicherte am Mittwoch (16. Jan.) der Parteivorsitzende Yossi Beillin im Anschluss an die Entscheidung von Avigdor Liebermann, die Koalition mit seiner Partei Israel Beitenu zu verlassen.
Der Meretz-Chef sagte, dass sowohl der zweite Libanonkrieg als auch die gesellschaftspolitische Ausrichtung der Regierung in Bezug auf Religion und Staat seine zurzeit fünf Abgeordnete zählende Partei vom Eintritt in die Koalition abhalten würden. „Ich sehe uns nicht diese Politik kollektiv unterstützen. Es ist besser sowohl für die Regierung als auch für uns, wenn unsere Unterstützung von außen kommt.“
Beilin räumte ein, dass er keine Neuwahlen in diesem Jahr wolle, da diese die politische Rechte stärken und damit die Friedensverhandlungen einfrieren würden.
Die Unterstützung durch Meretz und die israelisch-arabischen Parteien würde Olmert die notwendige 70-Sitze-Mehrheit auch dann sichern, wenn die religiöse Shas-Partei seine Regierung verlassen würde.
(The Jerusalem Post, 16.01.07); Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft, 17. Januar 2008
Zurück zur Israel-Seite
Zur Palästina-Seite
Zurück zur Homepage