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Olmert endgültig ein Politiker auf Abruf

Israel bekommt neuen Premier oder Neuwahl

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Israels Regierungschef Ehud Olmert steht vor dem Aus. Zwar ist ein Antrag auf die Selbstauflösung des Parlaments abgewendet, aber am 25. September will seine Partei einen neuen Vorsitzenden wählen und damit den Weg für seine Ablösung frei machen.

Es war eine Entwicklung in letzter Minute: Eigentlich hatte die Knesset am Mittwoch (25. Juni) im Laufe des Tages in der ersten von drei Lesungen über einen Antrag des rechtskonservativen Likud-Blocks auf die Selbstauflösung des Parlaments abstimmen sollen, und alles hatte so ausgesehen, als würde er durchgehen, denn die Fraktion der Arbeiterpartei, die an der Regierung beteiligt ist, hatte am Montag (23. Juni) beschlossen, geschlossen dafür zu stimmen.

Doch dann kam alles anders: Am späten Dienstagabend (24. Juni) versammelten sich überraschend mehrere Abgeordnete von Sozialdemokraten und Olmerts Partei Kadima im Tel Aviver Haus von Verteidigungsminister Ehud Barak zu einem Treffen, das nach stundenlangem Schlagabtausch mit einem Deal endete: Die Arbeiterpartei wird doch nicht für die Selbstauflösung stimmen und Kadima dafür am 25. September, also in genau drei Monaten, einen neuen Parteivorsitzenden wählen. Dem Likud blieb damit nichts anderes übrig, als den Antrag zurückzuziehen – wäre er abgelehnt worden, wäre dem Gesetz nach ein erneuter Antrag erst wieder in einem halben Jahr möglich gewesen.

Damit ist die Koalition für die kommenden drei Monate gerettet – ein Erfolg für den Regierungschef, wie sein Lager am Mittwoch nicht müde wurde, zu betonen. Und auch in der Fraktion der Arbeiterpartei herrscht Erleichterung: Zum einen hatte Olmert damit gedroht, die Minister der Sozialdemokraten zu feuern, sollten sie für die Selbstauflösung stimmen; zum anderen hätte ein Ja des Parlamentes bedeutet, dass die Israelis in drei Monaten an die Urnen gerufen worden wären. Und Neuwahlen sind weder im Interesse von Kadima noch der Arbeiterpartei. Denn den Umfragen zufolge wären die Aussichten beider Parteien, in der Wählergunst ganz oben abzuschneiden, jenseits der Nachweisbarkeitsgrenze: Die Meinungsforscher sagen eine deutliche Mehrheit des rechten Lagers voraus.

Aber eigentlich dürfte Olmert auch jetzt wenig Grund zur Freude haben. Denn Verteidigungsminister Barak hat bekommen, was er vor einigen Wochen in einem Ultimatum forderte. Kadima hat Schritte eingeleitet, um den im Mittelpunkt von mehreren Korruptionsermittlungen stehenden Regierungschef aus dem Amt zu drängen. Die Übereinkunft hat zwar die Koalition gerettet, aber auch gleichzeitig seine Restamtszeit auf nur noch wenige Monate begrenzt. Denn nach den Parteistatuten Kadimas darf nur der Vorsitzende Regierungschef sein, auch wenn das nach israelischem Recht nicht Pflicht ist – und Olmert wird mit einiger Sicherheit nicht erneut zum Vorsitzenden gewählt werden, obwohl er antreten will.

Am wahrscheinlichsten ist, dass die Koalition nach der Wahl des Parteivorsitzenden versuchen wird, »das Pferd im Rennen« auszutauschen. Dies sähe dann so aus: Entweder tritt Olmert freiwillig zurück, oder man spricht ihm das Misstrauen aus. Im Anschluss daran könnte dann jeder Abgeordnete zum Präsidenten gehen, und ihn auffordern, ihn mit der Bildung einer neuen Regierung zu beauftragen. Dafür gibt es dann 42 Tage Zeit. Gibt es danach keinen neuen Regierungschef, werden am letzten Dienstag vor dem Ablauf von 90 Tagen Neuwahlen abgehalten. Allein dies wäre genug Zeit für Kadima und die Arbeiterpartei, ihre Reihen zu schließen, um die Wählergunst zu werben, um dann an den Urnen zu bestehen.

Doch ob es überhaupt dazu kommen wird, ist fraglich, denn im Moment sieht es danach aus, als könnte der Coup gegen Olmert gelingen. Dem Vernehmen nach würde sich die Arbeiterpartei mit einer Kandidatur von Außenministerin Zippi Livni, der wahrscheinlichsten Kandidatin für den Kadima- Vorsitz, abfinden; die beiden Koalitionspartner – die Rentnerpartei und die populistische Jisrael Beitenu – haben ohnehin eine Heidenangst vor Neuwahlen, und die religiöse Schas hat nur einen Wunsch: mehr Kindergeld.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Juni 2008


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